Politik
Analyse

Seehofer: Islam gehört nicht zu Deutschland. Wen meint der Heimatminister?

Horst stellt klar: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland".
Horst stellt klar: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland".Bild: Getty Images Europe / montage watson.de
Analyse

Islam in Deutschland: Wen meinen Sie eigentlich genau, Herr Seehofer?

23.03.2018, 11:2223.03.2018, 12:18
Mehr «Politik»

Der Islam. Die Muslime. Und überhaupt.

Horst Seehofer hat in seiner Regierungserklärung an diesem Freitag klar gemacht, dass er weiterhin hinter seiner Aussage "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." steht.

"Da kann man ja im Ernst nicht bestreiten, dass das aufgeklärte Christentum dieses Land geprägt hat und dass viele Elemente des Islam dieses Land nicht geprägt haben."

Der neue Innenminister sagt: 

"Wir müssen auch die Interessen der einheimischen Bevölkerung im Blick haben."

Aber zu dieser Bevölkerung gehören eben auch Muslime.

Laut einer Studie von 2015 leben zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Das sind auf unsere Einwohnerzahl gerechnet gerade mal 5,4 bzw. 5,7 Prozent. 

Und den Islam gibt es so nicht. Weltweit und auch in Deutschland existieren zahlreiche Strömungen dieser Religion. Also wen meint unser Innenminister?

Erstmal ein bisschen Geschichte:

Sunniten und Schiiten
Grob gesagt: Die zwei größten Hauptströmungen sind die Sunniten und die Schiiten. 

Entstanden sind beide Strömungen durch einen Streit vor langer Zeit: Als der Prophet Muhammad 632 n.Chr. starb, fragten sich seine Anhänger, wer nun sein Nachfolger oder Stellvertreter (arabisch: khalifa) werden soll.

Zwei Lager entstanden: Das eine fand, der einzig logische Nachfolger und berechtigte Kalif sei Abu Bakr. Der Schwiegervater und Anhänger Muhammads der ersten Stunde hatte sich durch sein besonders frommes Auftreten hervorgetan. Dieses Lager wurden später die Sunniten.

Das andere Lager fand: Einzig Ali Ibn Talib, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten sei als Verwandter berechtigt die Nachfolge anzutreten. Dieses Lager wurden später die Schiiten.

Es wurde schließlich Abu Bakr, der zwei Jahre lang, bis 634 n.Chr. erster Kalif der muslimischen Gemeinde wurde.

Dieser Streit über die Nachfolge entzweit die beiden Hauptlager bis heute.

Also Herr Seehofer:

Meinen Sie Sunniten?

Die Sunniten bilden weltweit und auch in Deutschland die größte islamische Glaubensgemeinschaft.

2.640.000 Sunniten leben übrigens auch in Horst Seehofers Heimat (Stand 2015).

Die Sunniten gelten als traditionell. Alle Rechtsschulen der Sunniten sehen laut Zentralrat der Muslime das Kopftuch als religiöse Pflicht vor.

Meinen Sie Aleviten?

Ob Aleviten wirklich Muslime sind oder nicht, darüber streiten sich nicht nur andere islamische Religionsgruppen, sondern auch die Aleviten selbst.

Streng aus religionswissenschaftlicher Sicht könnte man sie nämlich als eigenständige, synkretistische Religion bezeichnen.

Denn die Aleviten sind zwar als Zweig der Schiiten entstanden (Anhänger Alis), haben aber ganz eigene Regeln und Ansichten, das Kopftuch ist beispielsweise für Aleviten keine Pflicht, so wie viele andere Regeln, die für Sunniten wichtig sind.

Deswegen herrscht Uneinigkeit darüber, ob Aleviten als Muslime zu sehen sind. An vielen Orten der Welt werden sie nicht anerkannt und daher verfolgt.

In Deutschland bilden Aleviten die zweitgrößte Gruppe an Muslimen mit 500.000 Anhängern. 

Profi-Tipp für Extra-Schlaue:

Aleviten ≠ Alawiten
Die (mehrheitlich aus der Türkei stammenden) Aleviten nicht mit den Alawiten (oder auch Nusairer) verwechseln, deren Religionsgemeinde auch der syrische Präsident Baschar al-Assad angehört.

Meinen Sie Schiiten?

Aus der weltweit zweitgrößten Glaubensgruppe leben in Deutschland 225.500 Mitglieder.

Innerhalb der Schiiten gibt es nochmal viele verschiedene Rechtsschulen und Ansichten, die sich über die Jahre herausgebildet haben. 

Mehrheitlich glauben Schiiten aber an 12 Imame (die "Zwölfer-Schia"), der letzte Imam lebt laut 12-er-Schiiten noch in Verborgenheit.

Schiiten haben eigene Feiertage, wie beispielsweise Muharram: An diesem Feiertag gibt es bestimmte Trauerrituale, da Schiiten dort dem Tod Husains in der Schlacht von Kerbela gedenken.

Husain war der Sohn von Ali, dem schon die Nachfolge verwehrt blieb. Aus Trauer geißeln sich einige Schiiten dann selbst.

Meinen Sie die Ahmadiyya-Gemeinde?

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Ahmadiyya-Gemeinde von Mirza Ghulam Ahmad ins Leben gerufen. Er verstand sich als Reformer und Nachfolger des Propheten Muhammad.

Unter anderem deswegen sieht der Großteil der Muslime die Ahmadiyya-Bewegung als "un-islamisch", da es für sie keine neuen Offenbarungen nach dem Propheten geben kann.

Die Ahmadiyyas halten sich an die traditionellen Quellen von Kora, Sunna und Hadith, aber eben zusätzlich an die Schriften ihres Gründers. Sie gelten als liberal, sind für Trennung von Religion und Staat, aber trotzdem wertekonservativ.

In Deutschland leben ungefähr 35.000 Ahmadiyya-Anhänger mit etwa 71 Gemeinden.

Meinen Sie Sufis?

Die Sufis sind nochmal eine ganz eigene Gruppe. 

Sufis haben viele mystische und spirituelle Elemente, meditieren, streben Erleuchtung an, glauben an die Einheit allen Seins und eine persönlichen Beziehung zu Gott. In Sufi-Ordenschaften haben sich bereits im 12. Jahrhundert Sufis gesammelt. 

Die nennt man meist Derwische. Aus einem dieser Sufi-Orden, den Kizilbash, sind sogar mal in späterer Konsequenz die Aleviten entstanden. Aleviten haben noch immer sufistische Elemente in ihrem Glauben. In Deutschland leben an die 10.000 Sufis.

Trance-Zustände helfen laut der sufistischen Lehre, die eigene Verbindung des Seins zu Gott herzustellen. Der Tanz der Derwische, der sema, bei dem sich die Tanzenden um die eigene Achse im Kreis drehen, ist da so ein Hilfsmittel.

Hier sieht man einen Tanz der Derwische

Wenn Sie also ein bisschen genauer sagen könnten, welchen Islam Sie meinen, Herr Heimatminister?

Anmerkung der Autorin: Danke für eure Mails und Rückmeldungen bisher! Diskutiert doch noch lieber mit mir in den Kommentaren
Bundeswehr-General Mais zeigt sich nach Russlands Raketen-Eskalation alarmiert

Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.

Zur Story