Der Bundestag ist jünger geworden: Sowohl für die Grünen als auch für die SPD sind so viele Menschen unter 30 eingezogen wie noch nie. In allen Fraktionen sind es in dieser Wahlperiode 50 Abgeordnete in dieser Altersgruppe. Das Durchschnittsalter sinkt dadurch laut dem "Spiegel" auf 47,5 Jahre – und damit um gut zwei Jahre im Vergleich zum Beginn der vergangenen Legislaturperiode.
"Für die gesellschaftliche Anerkennung ist es sehr hilfreich, dass der Bundestag ein gutes Stück weit jünger, weiblicher und diverser geworden ist", erklärt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler und Dozent an der Universität Halle-Wittenberg. Viele der Entscheidungen, die aktuell getroffen würden, beträfen in ihren Konsequenzen besonders die jungen Generationen – beispielsweise in den Bereichen Klima oder Staatsverschuldung. Kolkmann meint:
Der Jugendforscher Simon Schnetzer rechnet damit, dass die jungen Abgeordneten Verbesserungen einfordern werden – zum Beispiel im Bereich Digitalisierung. "Die Corona-Erfahrungen zeigen die Versäumnisse in Sachen Digitalisierung in Bildung und Behörden auf, für jüngere Volksvertreterinnen ist das selbstverständlich ein Problem." schreibt er auf watson-Nachfrage.
Schnetzer fügt an:
Auch Benjamin Höhne, der stellvertretende Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung zeigt sich optimistisch. Er meint: "Es besteht die Hoffnung, dass das Thema Generationengerechtigkeit bei der Gesetzgebung eine größere Rolle spielen wird als bisher." Jüngere Menschen brächten außerdem "Erfahrungsschätze" und Sichtweisen mit, die die parlamentarischen Debatten bereichern könnten. "Ein soziostrukturell mehr durchmischtes Parlament kann auch dazu beitragen, dass das Vertrauen in das Herz der Demokratie steigt", schätzt er außerdem.
Eine von dem gemeinnützigen Sozialunternehmen "ProjectTogether" in Auftrag gegebene Studie aus dem Sommer kam zu der Erkenntnis, dass sich viele junge Menschen von den Parteien nicht repräsentiert sehen. Viele nähmen eine Lücke zwischen der eigenen Lebensrealität und der Politik wahr. In der Studienauswertung heißt es: "Sie fühlen sich missverstanden, nicht in ihren Interessen vertreten und können sich mit Politik, Politikerinnen und Politikern nicht identifizieren."
Ob sich diese Wahrnehmung durch einen verjüngten Bundestag verändern kann? Das ist möglich, zumindest aus Sicht von Politologe Kolkmann. Aber nur dann, wenn nicht nur die Präsenz jüngerer Menschen in den Parteien steige – sondern es bei Themen, die junge Menschen besonders betreffen, tatsächlich Fortschritte gibt. Als Stichworte nennt er in diesem Zusammenhang: Generationengerechtigkeit, Zukunft der Rente, Bildungspolitik, Bekämpfung des Klimawandels.
Dass die beiden Parteien, die besonders gut bei Wählern unter 30 angekommen sind – also FDP und Grüne –, nun mit großer Wahrscheinlichkeit Teil der Regierung sein werden, halten weder Höhne noch Kolkmann für eine Garantie, dass junge Themen stärker vertreten sein werden.
Höhne erklärt das so:
Jugendforscher Schnetzer ist optimistischer. Er geht davon aus, dass die jungen Parlamentarier bei Grünen und Liberalen sich ihre Positionen nicht nehmen lassen würden. Schnetzer erklärt: "Insofern glaube ich, dass junge Abgeordnete bei FDP und Grünen auch stärker als bisher junge Interessen in einer künftigen Regierung durchsetzen werden."
Verändern könnte sich aus Sicht von Kolkmann auch die Form, wie junge Menschen sich an politischen Prozessen beteiligen. Diese hätte sich in den vergangenen Jahren zu projektbasierten Partizipationsformen – beispielsweise dem Aktivismus bei Fridays for Future – entwickelt.
Durch den jüngeren und bunteren Bundestag könnte die Arbeit in Parteien auch für junge Menschen wieder attraktiver werden, schätzt der Politikwissenschaftler. Davon geht auch Schnetzer aus. Der Jugendforscher kann sich vorstellen, dass dadurch, dass viele junge Abgeordnete wegen ihrer Überzeugungen und Einstellungen Teil des Parlaments geworden sind, das Gefühl zurückkehren könnte, dass Demokratie etwas ist, an dem sich jeder beteiligen kann.
Die reine Verjüngung des Parlaments ist aus Sicht des Jugendforschers aber nicht ausreichen. Er meint:
Insgesamt ist es laut Schnetzer notwendig, nach der Pandemieerfahrung das Vertrauen in den Bundestag wiederherzustellen. Und das brauche Zeit und gehe nur durch stetige und persönliche Zuwendung der Abgeordneten. Auch, wenn ein diverseres Parlament ein erster Schritt sei.
Auch Höhne rechnet durch die Repräsentation junger Menschen im Parlament mit einer Chance auf eine Bereicherung der Demokratie – ob diese zu einer Demokratisierung führen kann, hält er für fraglich. "Es gibt schließlich auch junge Menschen, die für den Rechtspopulismus eintreten. Die haben eher ein Problem mit dem Pluralismus und der Parteienvielfalt", erklärt er.