Joe Biden hat das Vorwort zu seiner Präsidentschaft geschrieben. Kurz vor 18 Uhr deutscher Zeit hat er am Mittwoch seinen Amtseid als 46. Präsident der USA abgelegt – danach hat er seine "Inaugural Address" gehalten, die Antrittsrede als frisch gewählter Staatschef.
Die ersten Minuten von Bidens Präsidentschaft waren aufschlussreich. Biden ist in seiner Antrittsrede auf maximale Distanz gegangen zu seinem Vorgänger Donald Trump. Er hat über die beiden Themen gesprochen, für die seit zwei Jahren hunderttausende junge Menschen weltweit auf die Straße gehen.
Eine Analyse in vier Punkten.
Antrittsreden für US-Präsidenten liefern seit Jahrzehnten Zitate für die Geschichtsbücher, von Franklin D. Roosevelt über John F. Kennedy bis zu Donald Trump. Trump hielt am 20. Januar 2017 eine düstere Rede, in der er betonte, es werde jetzt nur noch um "America First" gehen, die USA vor allen anderen. Und in der er vom angeblichen "amerikanischen Gemetzel", Kriminalität und wirtschaftlichem Abstieg, sprach, das er beenden wolle. Joe Biden hat einen völlig anderen Ton angeschlagen.
Wo Trump über Zerstörung und Untergang sprach, redete Biden von Hoffnung und Einheit. "Das ist der Tag der Demokratie, ein Tag der Geschichte und Hoffnung", sagte Biden zu Beginn seiner Rede. "Zu dieser Stunde, meine Freunde, hat die Demokratie gesiegt", meint er dann. Das war ein Verweis auf den Sturm auf das Kapitol in Washington, der sich fast genau zwei Wochen vorher an exakt der Stelle abgespielt hatte.
An mehreren Stellen distanzierte sich Biden deutlich von seinem Vorgänger. "Politik muss kein zerstörerisches Feuer sein", sagte Biden an seiner Stelle. Er rief die US-Amerikaner auf, wieder an die "Wahrheit" zu glauben, "ja, die Wahrheit." "Wir müssen die Kultur ablehnen, in der die Fakten abgelehnt und manipuliert werden", meinte Biden an einer anderen Stelle.
Das alles waren klare Hinweise auf Trump, auf die vier Jahre der Faktenverdrehung und Verleumdung durch den abgetretenen Präsidenten: Begonnen hatten sie 2017 mit Trumps Falschbehauptung, bei seiner Amtseinführung seien so viele Menschen gewesen wie bei keiner zuvor. Gemündet war das alles in die große, dreiste Lüge, Trump habe die Wahl in Wahrheit gewonnen, nicht Biden.
Bemerkenswert daran: Biden nannte bei all dem Trump – der als erster abgelöster Präsident seit 152 Jahren nicht zur Vereidigung seines Nachfolgers kam – kein einziges Mal beim Namen.
Ein wichtiger Teil von Bidens Rede waren die Passagen, in denen es um die Risse in der US-amerikanischen Gesellschaft ging. "Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein", sagte Biden. Eigentlich die übliche Botschaft eines gewählten Präsidenten in einer Demokratie. Aber nach vier Jahren Trump, in denen der amtierende Präsident Journalisten wieder und wieder als "Volksfeinde" und politische Gegner als "Verräter" beschimpft hat, ist sie elementar.
Biden war eine Botschaft dabei besonders wichtig: der Aufruf zur Toleranz. Dazu, Menschen mit anderen Meinungen zu akzeptieren, ihnen zuzuhören, ohne sie zu hassen. Biden meinte: "Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein." Und er sagte, es gebe Werte, die alle US-Amerikaner vereinten. Er nannte "Chancen, Sicherheit, Freiheit, Würde, Respekt, Ehre und, ja, die Wahrheit".
Um das zu unterstreichen, benutzte Biden ein Wortspiel: Er sagte, im Original: "We must end this uncivil war". Das ist zum einen eine Abänderung von "civil war", Bürgerkrieg. Zum anderen bedeutet "uncivil" so viel wie "unzivilisiert". Bidens Botschaft: Die tiefen Gräben im Land, zwischen Stadt und Land und zwischen Republikanern und Demokraten, sollen zugeschüttet werden, nicht breiter werden.
Biden rückte zwei Themen in den Mittelpunkt seiner Rede: den systemischen Rassismus in den USA und den menschengemachten Klimawandel. Den Rassismus in den USA hatte sein Vorgänger Trump zum einen heruntergespielt, zum anderen angefacht. Den Klimawandel und die Erderhitzung hatte er geleugnet, das Pariser Klimaschutzabkommen verlassen, Umweltschutzgesetze drastisch zurückgefahren und die Förderung fossiler Brennstoffe vorangetrieben.
Biden hat versprochen, beide Probleme politisch anzugehen. Den Klimawandel nannte er einen "Überlebensschrei" der Natur, einen "Schrei, der verzweifelter und deutlicher nicht sein kann". Den systemischen Rassismus, also die systematische Diskriminierung von Schwarzen und People of Color in den USA von Polizeikontrollen bis zur Wohnungssuche, nannte er eine der dringenden Herausforderungen für die USA im Jahr 2021.
Es war eine Botschaft Bidens gerade an junge Menschen. Wegen beider Probleme sind in den vergangenen Jahren hunderttausende junger Menschen weltweit auf die Straße gegangen: Da waren im Sommer 2020 die antirassistischen Black-Live-Matters-Proteste nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in der US-Stadt Minneapolis. Und natürlich die Fridays-for-Future-Demos von New York bis Nürnberg, bei denen seit Anfang 2019 junge Menschen strengeren Klimaschutz fordern.
Dass der gerade angetretene US-Präsident ein offenes Ohr für die Sorgen junger Menschen hat, hat Evan Osnos, Autor einer Biografie Bidens, watson schon vor einigen Wochen in einem Interview gesagt.
Joe Biden hat sich in einer Passage seiner Rede auch an die Menschen außerhalb der USA gewendet. Die USA würden "ihre Bündnisse wiederaufbauen", um den "Herausforderungen von heute" zu begegnen, kündigte er an. Die USA würden durch ihr Beispiel führen, nicht durch ihre Macht. Diesen Satz hatte Biden schon bei seiner Siegesrede im November gesagt.
"We will be back", das war Bidens Botschaft an die Welt schon im Februar 2019. Damals war er in München zu Gast, bei der Sicherheitskonferenz. Und er versprach, nach Trump würden die USA wieder Verantwortung übernehmen in der Welt. Es wird sich zeigen, wie Biden das Versprechen einlöst.
US-Experte Thomas Jäger glaubt, dass viele Konflikte zwischen den USA und Deutschland bleiben werden. Gegenüber watson sagte Jäger: "Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland wird freundlicher und härter sein." Das sei kein Widerspruch: Zum einen werde Biden in manchen Bereichen stärker auf amerikanischen Interessen bestehen als Trump. Zum anderen werde er aber, anders als Trump, daran interessiert sein, einen Kompromiss mit befreundeten Staaten zu finden. Jägers ausführliche Analyse dazu, was Biden als Präsident erreichen kann, gibt es hier zu lesen.
Biden hatte schon vor Wochen versprochen, gleich zu Beginn seiner Amtszeit wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Weltgesundheitsorganisation WHO beizutreten. Beide hatte sein Vorgänger Trump verlassen.