Die Präsidentschaftswahl in den USA ist so knapp, wie manche Beobachter das befürchtet hatten: Joe Biden und Donald Trump können – Stand Mittwochvormittag deutscher Zeit – derzeit noch Präsident werden. Was bedeutet diese unsichere Lage für Deutschland? Was kommt in den kommenden Wochen auf das Land zu?
Darüber haben sich am Mittwochmorgen mehrere renommierte USA-Experten bei einem virtuellen Meeting der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP) ausgetauscht. Watson hat daran teilgenommen – und fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Experten zusammen.
Donald Trump oder Joe Biden? Es bleibt unklar, wer die US-Regierung von 2021 bis 2025 als Präsident anführen wird. Cathryn Clüver Ashbrook, Politikwissenschaftlerin und Expertin für die US-deutsche Beziehung an der Harvard Kennedy School in Cambridge im US-Bundesstaat Massachussets, blickt auf die Entwicklung mit großer Sorge. Clüver Ashbrook sagt:
Man müsse sich, auch in Deutschland, "große Fragen" über die Vorbildfunktion der US-amerikanischen Demokratie stellen. Clüver Ashbrook wörtlich:
Wie wird die deutsche Bundesregierung auf das unsichere Wahlergebnis reagieren? Für Sebastian Groth, Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amts, ist klar: Solange es kein klares Resultat gibt, erst einmal gar nicht.
Wörtlich sagt er in der DGAP-Expertenrunde:
Seit Donald Trump Präsident ist, haben sich die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland verschlechtert: von seinen Tiraden gegen angeblich zu viele Autos auf US-Straßen über die Ausfälle von US-Botschafter Richard Grenell gegen Deutschland und den Handelsstreit mit der EU. Wie geht es damit jetzt weiter?
Die Experten in der DGAP-Runde sind sich weitgehend einig: Es bleibt ungemütlich.
Joseph Braml, Leiter des Amerika-Programms der DGAP nimmt das auch für den Fall an, dass Joe Biden Trump ablöst. Braml sagt:
Biden ein Protektionist – also jemand, der die USA eher wirtschaftlich abschotten will, als freien Handel mit anderen Staaten zu fördern? Braml verweist darauf, dass auch Biden mit Slogans wie "Buy American" (Kauft Amerikanisch) Wahlkampf gemacht habe, um Wähler im sogenannten "Rostgürtel", den traditionellen Industriestaaten im Nordwesten der USA, zu gewinnen.
Auch in der Verteidigungspolitik glaubt Braml, dass Spannungen bleiben – egal, wer Präsident wird. Die USA fordern von Deutschland seit Jahren, dass es deutlich mehr zum Nato-Haushalt beitragen soll. Wie es damit weitergeht? Braml drückt es, mit Blick auf Deutschland, so aus:
Markus Jäger, Research Fellow im Amerika-Programm der DGAP in New York, sieht immerhin einen Grund für Optimismus. Die USA und Deutschland hätten – gerade in der Auseinandersetzung mit China – wichtige gemeinsame Interessen: "Wir müssen Common Ground finden mit den USA", sagt Jäger. Deutschland, das stark abhängig ist vom Handel mit den USA wie mit China, müsse aufpassen, zwischen beiden Mächten nicht "zerrieben" zu werden.
DGAP-Fellow Jäger ist überzeugt, dass ein unsicheres Wahlergebnis in den USA Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben wird. "Für die Märkte ist Unsicherheit das Schlimmste", sagt Jäger. Die Börsenkurse könnten fallen – die Gefahr einer ernsten Finanzkrise, die auch die Menschen in Deutschland trifft, sieht Jäger aber nicht.
DGAP-US-Experte Braml ist da pessimistischer. Die Börsenkurse in den USA hätten sich in den vergangenen Monaten gut entwickelt, trotz der Coronavirus-Krise. Der Grund, laut Braml: Man habe darauf gewettet, dass erstens die Regierung Unternehmen und Arbeitnehmern weiter mit viel Geld aus der Patsche hilft – und zweitens bald ein Impfstoff gegen Covid-19 kommt. Passiere beides nicht, könne die wirtschaftliche Krise "voll durchschlagen", auch auf die Börsenkurse. Und das hätte wohl heftige Auswirkungen auch auf Deutschland.
Politologin Clüver Ashbrook glaubt: Das, was gerade in den USA passiert, interpretierten viele andere Regierungen weltweit als Zeichen der Schwäche der wirtschaftlich stärksten Nation der Welt. Für Europa und damit auch für Deutschland bedeute das: Es muss mehr Verantwortung übernehmen, um die eigenen Interessen zu sichern.
Clüver Ashbrook weiter:
Und:
In Deutschland müssten Politiker der großen Parteien den Menschen das klarmachen – und offener und häufiger über Außenpolitik sprechen.