Deutschlands Krankenhäuser blicken mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter. Zwar hat das Bundeskabinett am Mittwoch Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für eine bessere Besetzung mit Pflegekräften beschlossen. Doch die sollen erst ab 2025 gelten.
Die Kliniken schlagen allerdings jetzt schon Alarm. Die meisten Krankenhausbetreibenden fühlen sich von der Politik nicht ausreichend unterstützt. Das ist das Ergebnis einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts.
Die Probleme sind vielschichtig: Auf der einen Seite, fallen durch Corona weiterhin etliche Pflegekräfte und Ärzt:innen aus – auf der anderen treiben Inflation und Energiekrise die Preise nach oben. Viele Krankenhäuser gehen schon jetzt davon aus, erneut planbare Operationen verschieben zu müssen.
87 Prozent der Kliniken haben außerdem nicht ausgeschlossen, in den kommenden Wochen ganze Stationen abzumelden. Das bedeutet: Diese Stationen können keine neuen Patienten annehmen. Manche Häuser machen sich zudem Sorgen, laufende Rechnungen nicht länger bezahlen zu können.
Der Chef der Münchner Krankenhausgesellschaft, Ronald Engehausen, erläutert die Situation auf einer Konferenz folgendermaßen:
Engehausen sieht hier ein strukturelles Problem: die Deckelung der Mehrkosten für Krankenkassen. Das heißt, dass die Krankenhäuser ihre Kostensteigerung auch nach einer Anpassung der Fallpauschalen nicht zwingend ausgleichen können.
Fallpauschale bedeutet, dass manche Operationen mehr Geld bringen als andere. Und, dass Patient:innen nur so lange auf Kassenkosten im Krankenhaus bleiben können, wie die Behandlung im Durchschnitt brauche. Genannt wird diese Pauschale auch Landesbasiswert. Der Betrag kann sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
Teurer werde im Übrigen nicht nur die Energie, sondern auch Instrumente wie Skalpelle oder Mullbinden, meint Engehausen. Da die wenigsten Krankenhausbetreibenden nach zwei Jahren Corona viel finanziellen Puffer hätten, warnt Engehausen vor drastischen Folgen: Personalkürzungen zum Beispiel.
Er sagt:
Wie dieses Dilemma politisch gelöst werden könnte, hat watson bei den Gesundheitspolitikern der Parteien erfragt.
"Wir wollen die Kliniken in Deutschland keineswegs im Stich lassen", sagt Armin Grau, Gesundheitspolitiker der Grünen im Bundestag, auf watson-Anfrage. Um die Kliniken bei der Überwindung der Krise zu unterstützen, müsse eruiert werden, wie eine wirksame finanzielle Unterstützung aussehen kann. An derartigen Plänen arbeite die Regierung aktuell.
Zum Thema Personalengpässe sagt Grau:
Es müssten deshalb attraktivere Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Allerdings sei der generelle Personalengpass nicht das einzige Problem – denn on top kommen Personalausfälle. Die hängen eng mit der Coronapandemie zusammen. Mit Quarantäne und Erkrankungen.
Grau ergänzt:
Klar sei aber, dass es einer Reform im Gesundheitswesen bedarf. Dazu müsse eine neue Finanzierung gehören. Grau will demnach fixe Kosten, die durch das Bereithalten von Kapazitäten entstehen, separat finanzieren. Dadurch würde nämlich der Anreiz wegfallen, die Patientenzahlen in die Höhe zu treiben – um eben die Fallpauschalen zu beziehen.
Aber eine neue Finanzierung allein reicht nicht, meint Grau. Denn auch die Krankenhausstrukturplanung müsse angepasst werden. Statt starren Planungskriterien für die Bettenzahl brauche es eine Krankenhauslandschaft, die regionale Krankenlast und Anfahrtswege berücksichtige. Auch die harten Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung müssten reduziert werden. So könnte sektorenübergreifend und bedarfsgerecht gearbeitet werden.
"Klar ist, dass es Instrumentarien gibt, die die Kostensteigerungen abdämpfen", stellt der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann auf watson-Anfrage fest. Die erhöhten Kosten im Krankenhaussektor würden vom Statistischen Bundesamt jährlich bis Ende September erhoben. Und dieser Wert sei es, der die Grundlage für die kommenden Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu den Landesbasisfallwerten bildet. Steigen die, gibt es auch mehr Geld für die Kliniken.
Ullmann stellt klar:
Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (CDU), sieht die Lage kritischer. "Die Ampel schaut diesem Kostenanstieg bislang tatenlos zu", sagt er zu watson. Dass die Corona-Sonderzahlungen ersatzlos gestrichen wurden, nennt Sorge "grob fahrlässig".
Er sagt:
Ebenso wie Grau und Ullmann spricht Sorge von der Anpassung der Landesbasisfallwerte. Durch diese könnten Kliniken im Rahmen der Budgetverhandlungen finanziell entlastet werden. Sorge stellt aber klar:
Ähnlich bewertet es der gesundheitspolitische Sprecher der Linken. Ates Gürpinar stellt gegenüber watson aber klar: "Ein Gesundheitssystem, das auf Profit aufbaut, hat keine Zukunft." Die Regierung müsse sich an die Finanzierung herantrauen.
Das von FDP-Politiker Ullmann angesprochene System, das die Kostensteigerungen messen soll, sei in der aktuellen Situation zu träge. Gürpinar sagt:
Wie CDU-Politiker Sorge zeigt sich Gürpinar irritiert, über das Ende der Corona-Hilfen. Er nennt das "absurd". Der Gesundheitspolitiker hat aus diesem Grund eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die die Bereitschaft abfragt, die Kostensteigerungen für Krankenhäuser abzufedern.
Das Gesundheitsministerium antwortet darauf sinngemäß: Erstmal die Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes abwarten, dann den Landesbasisfallwert angleichen. Die Entwicklung dieses Wertes sei allerdings nach oben gedeckelt.
Gürpinar nennt die Gesundheitspolitik "fehlgeleitet" und für viele Gesundheitsstandorte "existenzgefährdend". Deshalb sei es nötig, dass die Opposition Druck auf die Regierung ausübt. Es sei außerdem an der Zeit, dass die Koalition eine neue Pflegepersonalregelung einführt – die eine bedarfsgerechte Patientenversorgung ermöglicht.