Die deutschen Krankenhäuser blicken mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter – neben der Belastung durch die Coronapandemie, werden sie nun auch die Energiepreise besonders treffen.Bild: imago images / Westend61
Analyse
Deutschlands Krankenhäuser blicken mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter. Zwar hat das Bundeskabinett am Mittwoch Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für eine bessere Besetzung mit Pflegekräften beschlossen. Doch die sollen erst ab 2025 gelten.
Die Kliniken schlagen allerdings jetzt schon Alarm. Die meisten Krankenhausbetreibenden fühlen sich von der Politik nicht ausreichend unterstützt. Das ist das Ergebnis einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts.
Die Probleme sind vielschichtig: Auf der einen Seite, fallen durch Corona weiterhin etliche Pflegekräfte und Ärzt:innen aus – auf der anderen treiben Inflation und Energiekrise die Preise nach oben. Viele Krankenhäuser gehen schon jetzt davon aus, erneut planbare Operationen verschieben zu müssen.
87 Prozent der Kliniken haben außerdem nicht ausgeschlossen, in den kommenden Wochen ganze Stationen abzumelden. Das bedeutet: Diese Stationen können keine neuen Patienten annehmen. Manche Häuser machen sich zudem Sorgen, laufende Rechnungen nicht länger bezahlen zu können.
Viele Kliniken rechnen bereits jetzt damit, im Herbst wieder planbare Operationen verschieben zu müssen.Bild: IMAGO/imagebroker / Florian Bachmeier
Der Chef der Münchner Krankenhausgesellschaft, Ronald Engehausen, erläutert die Situation auf einer Konferenz folgendermaßen:
"Sie können sich vorstellen, Krankenhäuser sind ein sehr energieintensiver Bereich, mit einer 24/7 Versorgung und auch einem hohen technischen Energiebedarf. Natürlich wird versucht, alles an Energie Sparmöglichkeiten zu nutzen. Dennoch ist es so, dass wir Kostensteigerungen haben. Die sind in keiner Weise ausgeglichen."
Engehausen sieht hier ein strukturelles Problem: die Deckelung der Mehrkosten für Krankenkassen. Das heißt, dass die Krankenhäuser ihre Kostensteigerung auch nach einer Anpassung der Fallpauschalen nicht zwingend ausgleichen können.
Jede Behandlung im Krankenhaus hat ihren festen Preis, die Absprachen dazu treffen Kliniken, Krankenkassen und Bundesländer.Bild: IMAGO/YAY Images / imago images
Fallpauschale bedeutet, dass manche Operationen mehr Geld bringen als andere. Und, dass Patient:innen nur so lange auf Kassenkosten im Krankenhaus bleiben können, wie die Behandlung im Durchschnitt brauche. Genannt wird diese Pauschale auch Landesbasiswert. Der Betrag kann sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
Teurer werde im Übrigen nicht nur die Energie, sondern auch Instrumente wie Skalpelle oder Mullbinden, meint Engehausen. Da die wenigsten Krankenhausbetreibenden nach zwei Jahren Corona viel finanziellen Puffer hätten, warnt Engehausen vor drastischen Folgen: Personalkürzungen zum Beispiel.
Er sagt:
"Das geht zulasten der Beschäftigten. Und dabei wollen wir eigentlich die Arbeitsbedingungen verbessern. Schließlich haben wir schon einen Personalmangel."
Wie dieses Dilemma politisch gelöst werden könnte, hat watson bei den Gesundheitspolitikern der Parteien erfragt.
Armin Grau (Grüne): "Keineswegs im Stich lassen"
"Wir wollen die Kliniken in Deutschland keineswegs im Stich lassen", sagt Armin Grau, Gesundheitspolitiker der Grünen im Bundestag, auf watson-Anfrage. Um die Kliniken bei der Überwindung der Krise zu unterstützen, müsse eruiert werden, wie eine wirksame finanzielle Unterstützung aussehen kann. An derartigen Plänen arbeite die Regierung aktuell.
Armin Grau ist Gesundheitspolitiker bei den Grünen – für ihn ist klar, dass das System eine Reform benötigt.Bild: STEFAN KAMINSKI
Zum Thema Personalengpässe sagt Grau:
"Wir finden im Krankenhauswesen zum einen den misslichen Umstand vor, dass es uns an qualifiziertem Fachpersonal fehlt; insbesondere in der Pflege."
Es müssten deshalb attraktivere Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Allerdings sei der generelle Personalengpass nicht das einzige Problem – denn on top kommen Personalausfälle. Die hängen eng mit der Coronapandemie zusammen. Mit Quarantäne und Erkrankungen.
Grau ergänzt:
"Diesbezüglich wurden aus meiner Sicht mit den verabschiedeten Änderungen am Infektionsschutzgesetz die richtigen Voraussetzungen geschaffen, um Personalausfälle im kommenden Herbst und Winter möglichst gering zu halten."
Klatschen für das Krankenhauspersonal wird auch in den kommenden Jahren nicht reichen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken.Bild: imago images/VWPics / imago images
Klar sei aber, dass es einer Reform im Gesundheitswesen bedarf. Dazu müsse eine neue Finanzierung gehören. Grau will demnach fixe Kosten, die durch das Bereithalten von Kapazitäten entstehen, separat finanzieren. Dadurch würde nämlich der Anreiz wegfallen, die Patientenzahlen in die Höhe zu treiben – um eben die Fallpauschalen zu beziehen.
Aber eine neue Finanzierung allein reicht nicht, meint Grau. Denn auch die Krankenhausstrukturplanung müsse angepasst werden. Statt starren Planungskriterien für die Bettenzahl brauche es eine Krankenhauslandschaft, die regionale Krankenlast und Anfahrtswege berücksichtige. Auch die harten Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung müssten reduziert werden. So könnte sektorenübergreifend und bedarfsgerecht gearbeitet werden.
Andrew Ullmann (FDP): "Kostensteigerung abdämpfen"
"Klar ist, dass es Instrumentarien gibt, die die Kostensteigerungen abdämpfen", stellt der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann auf watson-Anfrage fest. Die erhöhten Kosten im Krankenhaussektor würden vom Statistischen Bundesamt jährlich bis Ende September erhoben. Und dieser Wert sei es, der die Grundlage für die kommenden Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu den Landesbasisfallwerten bildet. Steigen die, gibt es auch mehr Geld für die Kliniken.
Andrew Ullmann ist der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Er sieht zunächst die Länder in der Pflicht.Bild: IMAGO/Political-Moments
Ullmann stellt klar:
"Für Krankenhäuser sind die Bundesländer und die Krankenkassen zuständig. Diese sind daher zunächst am Zug, bevor der Bund reagiert."
Tino Sorge (CDU): "Grob fahrlässig"
Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (CDU), sieht die Lage kritischer. "Die Ampel schaut diesem Kostenanstieg bislang tatenlos zu", sagt er zu watson. Dass die Corona-Sonderzahlungen ersatzlos gestrichen wurden, nennt Sorge "grob fahrlässig".
Er sagt:
"Kurzfristig gegenzusteuern, wäre leicht – beispielsweise über unterjährige Rechnungszuschläge im Krankenhausentgeltgesetz und in der Bundespflegesatzverordnung. Sie könnten zeitnah in Kraft treten und zumindest einen Teil der aktuellen Kostensteigerungen abfedern."
Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, fordert von der Regierung schnelles Handeln.Bild: IMAGO/Political-Moments / imago images
Ebenso wie Grau und Ullmann spricht Sorge von der Anpassung der Landesbasisfallwerte. Durch diese könnten Kliniken im Rahmen der Budgetverhandlungen finanziell entlastet werden. Sorge stellt aber klar:
"Verschärft sich die Situation, muss der Bund neue Sonderzahlungen für Kliniken einführen und sich mit den Ländern über eine angemessene Lastenteilung verständigen. Die Ampel muss den Kliniken jetzt helfen, die nächsten kostenintensiven Monate zu bewältigen."
Ates Gürpinar (Linke): "Fehlgeleitet und existenzgefährdend"
Ähnlich bewertet es der gesundheitspolitische Sprecher der Linken. Ates Gürpinar stellt gegenüber watson aber klar: "Ein Gesundheitssystem, das auf Profit aufbaut, hat keine Zukunft." Die Regierung müsse sich an die Finanzierung herantrauen.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Ates Gürpinar, nennt die aktuelle Gesundheitspolitik fehlgeleitet.Bild: www.imago-images.de / imago images
Das von FDP-Politiker Ullmann angesprochene System, das die Kostensteigerungen messen soll, sei in der aktuellen Situation zu träge. Gürpinar sagt:
"Deswegen wäre eine Änderung nötig, die zumindest einen Teil der Kostensteigerungen vorwegnimmt. Es ist ja sicher, dass sie in den nächsten Erhöhungsrunden der Landesbasisfallwerte kommen werden."
Wie CDU-Politiker Sorge zeigt sich Gürpinar irritiert, über das Ende der Corona-Hilfen. Er nennt das "absurd". Der Gesundheitspolitiker hat aus diesem Grund eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die die Bereitschaft abfragt, die Kostensteigerungen für Krankenhäuser abzufedern.
Das Gesundheitsministerium antwortet darauf sinngemäß: Erstmal die Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes abwarten, dann den Landesbasisfallwert angleichen. Die Entwicklung dieses Wertes sei allerdings nach oben gedeckelt.
Gürpinar nennt die Gesundheitspolitik "fehlgeleitet" und für viele Gesundheitsstandorte "existenzgefährdend". Deshalb sei es nötig, dass die Opposition Druck auf die Regierung ausübt. Es sei außerdem an der Zeit, dass die Koalition eine neue Pflegepersonalregelung einführt – die eine bedarfsgerechte Patientenversorgung ermöglicht.