Ein ungeschriebenes Gesetz der US-Politik besagt, dass die Partei, die den Präsidenten stellt, in den Zwischenwahlen große Verluste erleidet. Bei den Midterms werden alle Mitglieder des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats neu gewählt.
Diesmal könnte es den Demokraten gelingen, den Midterm-Fluch zu durchbrechen. "Vor allem die Einmischung des ehemaligen Präsidenten Donald Trump verändert 2022 den Charakter der Midterms wie kaum je zuvor", stellt Nate Silver auf seinem Newsportal "FiveThirtyEight" fest. Silver ist der derzeit bekannteste Meinungsforscher der USA.
Ex-Präsidenten pflegen sich nach ihrem Rücktritt würdevoll zurückzuziehen. Sie verfassen ihre Memoiren, richten ihre Bibliothek ein und halten höchstens gelegentlich eine unverfängliche Rede. Nicht so Donald Trump. Er ist nach wie vor omnipräsent.
Seit das FBI seine Residenz Mar-a-Lago in Florida durchsucht hat, beherrscht er die Schlagzeilen wieder wie zu seinen wildesten Zeiten im Weißen Haus.
Für die Grand Old Party (GOP), also die Republikaner, ist dies ein zwiespältiges Geschenk. "Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass Trump den Republikanern in den Zwischenwahlen einige Probleme bereiten könnte", stellt Silver trocken fest.
Die Republikaner wollten eigentlich die Inflation, die steigende Kriminalität und die Einwanderung ins Zentrum ihrer Wahlpropaganda stellen. Stattdessen werden sie nun laufend gefragt, wie sie die Tatsache bewerten, dass Trump im großen Stil hochgeheime Dokumente bei sich zu Hause gebunkert hat. Darauf eine vernünftige Antwort zu geben, fällt ihnen sichtlich schwer.
Kein Wunder, haben sie doch zusammen mit dem Ex-Präsidenten 2016 Hillary Clinton wegen der verschwundenen E-Mails an den Pranger gestellt und gar gefordert, sie deswegen ins Gefängnis zu sperren. "Lock her up!", grölten damals die Massen an den Trump-Rallys.
Grimmig müssen die Führer der GOP auch zuschauen, wie es ihnen wahrscheinlich nicht gelingen wird, die Mehrheit im Senat zurückzugewinnen. Sie haben das Trump zu verdanken. Auf seinem Rachefeldzug gegen alle "Verräter" in der eigenen Partei – die sogenannten Rinos (Republican in name only) – hat der Ex-Präsident Kandidaten unterstützt, die ihm bedingungslos ergeben, aber unfähig sind; Kandidaten wie der TV-Doktor Mehmet Oz oder der ehemalige Football-Star Herschel Walker.
Diese Kandidaten begeistern zwar die Trump-Basis, sind jedoch nicht mehrheitsfähig und liegen in den Umfragen deutlich hinter den Gegenkandidaten der Demokraten zurück.
Das hat bereits zu einem handfesten Streit in der GOP geführt. Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im Senat, hat sich öffentlich über die "mangelnde Qualität" einiger Kandidaten beklagt und dabei offensichtlich die von Trump gekürten gemeint.
Der Ex-Präsident hat deswegen McConnell aufs Gröbste attackiert und beleidigt. "Wie können es die Senatoren der Republikaner zulassen, dass ein kaputter Politiker wie Mitch McConnell hart arbeitende republikanische Kandidaten beleidigt?", schrieb Trump kürzlich auf seiner Plattform Truth Social. An seiner Rally am vergangenen Samstag bezeichnete er McConnell einmal mehr als "Feigling".
Trump attackiert selbst McConnells Ehefrau Elaine Chao, obwohl er die chinesischstämmige Frau einst als Transportministerin in sein Kabinett geholt hatte. Chao kam als Kind aus Taiwan in die USA. Trotzdem unterstellt ihr Trump, die Interessen von China zu fördern. "McConnell sollte mehr Zeit damit verbringen, den Republikanern zu helfen, gewählt zu werden, anstatt seiner Frau und ihrer Familie zu helfen, dank China reich zu werden", postete Trump kürzlich.
Den Demokraten könnte es gelingen, nicht nur ihre Mehrheit im Senat auszubauen, sondern auch ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu verteidigen. Schuld daran ist auch der Supreme Court. Die obersten US-Richter haben bekanntlich dafür gesorgt, dass die Abtreibung nicht mehr national geschützt, sondern von den einzelnen Bundesstaaten aufgehoben werden kann. Eine Reihe von konservativen Bundesstaaten hat dies bereits getan.
Damit haben sie einen Sturm der Entrüstung unter den Frauen ausgelöst. "So etwas habe ich in meinen 28 Jahren, in denen ich Wahlen analysiere, noch nie erlebt", stellt Tom Bonier, ein demokratischer Wahlstratege, in der "New York Times" fest. "Frauen lassen sich in die Wahlregister eintragen, wie noch nie zuvor. […] Das ist der Moment, alte politische Annahmen über Bord zu werfen und die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, wonach ein historischer Trend gebrochen werden kann."
Sollte es den Demokraten gelingen, die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses zu verteidigen, wird dies die GOP in ihren Grundfesten erschüttern. Ob die Republikaner danach weiterhin geschlossen hinter Trump stehen werden, ist fraglich und dessen erneute Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024 ernsthaft gefährdet.
Auch Trump-Nachahmer wie Ron DeSantis könnten dann in Schwierigkeiten geraten. Stattdessen könnten gemäßigte Republikaner wie Glenn Youngkin, der Gouverneur von Virginia, oder Larry Hogan, der abtretende Gouverneur von Maryland, eine führende Rolle in der GOP übernehmen.
Bill Kristol war lange ein einflussreicher Vordenker der Republikaner, aber stets ein Gegner von Trump. Er will erste Anzeichen für einen solchen Richtungswechsel in der GOP festgestellt haben. "Einige Moderate in der Partei haben bereits mit Trump gebrochen, andere tun es jetzt", erklärt er in der "Financial Times". "Das ist eine sehr interessante Zeit für die Republikanische Partei."