Russland: "Schwarze Witwen" locken Soldaten in Schein-Ehen und werden reich
In Russland häufen sich Fälle, in denen Frauen gezielt Soldaten heiraten, um nach deren Tod an staatliche Entschädigungen zu gelangen. Das berichtet das "Wall Street Journal" (WSJ) unter Berufung auf Gerichtsdokumente, Ermittlungsakten und Interviews mit Angehörigen.
Demnach sprechen russische Behörden inzwischen von einem "besorgniserregenden Trend": Immer mehr Frauen sollen Schein-Ehen mit Männern schließen, die kurz darauf an die Front in der Ukraine geschickt werden. Nach ihrem Tod kassieren sie hohe Einmalzahlungen, die eigentlich für die Familien der Gefallenen gedacht sind. Es geht um viel Geld.
Hochzeit am Tag nach Einberufung: 186.000 Euro für Tod von Soldat
Einer der bekanntesten Fälle betrifft den Soldaten Sergej Chandozhko. Er heiratete im Oktober 2023, nur einen Tag nach seiner Einberufung. Laut einem Gerichtsurteil, das dem "WSJ" vorliegt, hatte er seine Familie zuvor nie über eine Partnerin oder eine geplante Hochzeit informiert. Die Zeremonie dauerte weniger als 20 Minuten, es gab keine Fotos oder Ringe.
Kurz nach Chandozhkos Tod an der Front erhielt seine Ehefrau die staatliche Todeszahlung von rund 186.000 Euro, etwa das Zwanzigfache des russischen Durchschnittsgehalts. Ein Gericht erklärte die Ehe später für nichtig und verurteilte die Frau zu einer Geldstrafe.
"Schwarze Witwen" und neue Betrugsnetzwerke in Russland
Laut "Wall Street Journal" ist der Fall kein Einzelfall. In Russland hat sich für diese Form des Betrugs bereits ein Begriff etabliert: sogenannte "schwarze Witwen". Gemeint sind Frauen, die Soldaten nur heiraten, um nach deren Tod von den staatlichen Ausgleichszahlungen zu profitieren.
Die Entschädigungen für gefallene Soldaten betragen je nach Dienstgrad und Umständen bis zu 14,5 Millionen Rubel, umgerechnet rund 158.000 Euro. In Einzelfällen kommen zusätzliche regionale Zuschüsse hinzu, wodurch die Gesamtsumme, wie im Fall Chandozhko, noch höher ausfallen kann.
Das Geld ist vor allem für die Hinterbliebenen der Gefallenen vorgesehen, landet aber zunehmend bei vermeintlichen Betrügerinnen oder in Erbstreitigkeiten. Nach Angaben des "WSJ" sind Gerichte in verschiedenen Regionen Russlands immer häufiger mit solchen Fällen befasst. Die Behörden versuchen zu prüfen, ob die Ehen rechtmäßig waren oder aus finanziellen Motiven geschlossen wurden.
Russische Abgeordnete haben inzwischen Gesetzesverschärfungen gefordert. Einige schlagen vor, Frauen, die nur zum Zweck finanzieller Vorteile heiraten, strafrechtlich zu verfolgen. Andere wollen verhindern, dass Ehefrauen, die nach Beginn des Krieges geheiratet haben, bei einer Scheidung weiter Anspruch auf Ausgleichszahlungen haben.
Leonid Sluzki, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Duma, sagte laut "WSJ": "Diese Monster haben das Heiligste beschmutzt: die Fürsorge für die Familien Gefallener." Er verglich die Täterinnen mit Plünderern während der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg.
Russland: Hinter Soldaten-Betrug stecken auch kriminelle Gruppen
Laut "WSJ" erleichtert Social Media den Betrug erheblich. Auf der russischen Plattform VKontakte (VK) existieren Dutzende Gruppen mit (übersetzten) Namen wie "Dates mit Soldaten" oder "Treffen mit Schulterklappen", in denen Frauen gezielt nach Männern in Uniform suchen.
Einige Fälle lassen vermuten, dass organisierte kriminelle Gruppen hinter den Scheinehen stehen. So soll eine Bande in der Region Chanty-Mansijsk ledige Männer überzeugt haben, Militärverträge zu unterzeichnen, um anschließend Scheinhochzeiten zu arrangieren.
Laut Ermittler:innen verdienten die Drahtzieher rund 30 Millionen Rubel (etwa 330.000 Euro). In einem anderen Fall im russischen Fernen Osten habe ein Ehepaar einen 46-jährigen Mann ohne Angehörige dazu gebracht, eine 63-jährige Komplizin zu heiraten und danach in den Militärdienst einzutreten. Nach seinem Tod kassierte die Gruppe acht Millionen Rubel (rund 88.000 Euro). Das Verfahren laufe noch.
Russische Jurist:innen bewerten das Ausmaß des Betrugs als schwer einschätzbar. Laut "WSJ" gibt es zahlreiche offene Verfahren, in denen Hinterbliebene, Ehepartnerinnen und Verwandte um hohe Geldsummen streiten. Die Behörden stehen vor dem Problem, dass viele dieser Ehen rechtlich gültig, aber moralisch zweifelhaft sind.
Die Fälle verdeutlichen, wie sehr finanzielle Anreize und staatliche Prämien das soziale Gefüge in Russland verändern. Die Zahlungen, mit denen der Kreml Soldaten an die Front lockt, schaffen neue Abhängigkeiten – und eröffnen Spielräume für Missbrauch.
