Hohe Arbeitslosigkeit, wenig Perspektiven: Junge Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik und damit auch die Wertschätzung der Demokratie.Bild: imago images / ZUMA Press
Analyse
Südafrika ist ein beliebtes Reiseziel. Das Land lockt zahlreiche Menschen durch seine einzigartige Vielfalt an: Savanne, Tafelberg, schroffe Küsten, Traumstrände oder das urbane, moderne Kapstadt. Südafrika vereint aber auch eine große ethnische und kulturelle Vielfalt.
Das Land am Kap bezeichnet sich daher auch als "Regenbogennation". Vor allem ist es aber eine junge Nation. Etwa 45 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre. So bunt Südafrika auch sein mag, für die Zukunft der Jugend malt der Experte Gregor Jaecke ein düsteres Bild. Er leitet das Auslandsbüro Südafrika für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.
Wahl in Südafrika: Junge Menschen wenden sich von der Politik ab
"Ein solch junges Land böte eigentlich viel Potenzial, wenn Südafrika aufgrund einer korrupten und inkompetenten politischen Elite nicht seit etwa 15 Jahren unter Wert regiert werden würde", sagt er auf watson-Anfrage.
Der giftige Cocktail aus einem unzulänglichen Bildungssystem, einer hohen Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent sowie zügelloser Kriminalität rauben laut Jaecke der Jugend des Landes ihre Zukunft.
Am 29. Mai 2024 hätten sie die Chance, etwas zu verändern. Südafrika ruft im Rahmen der anstehenden Parlaments- und Provinzwahlen zu den Wahlurnen. Junge Menschen (Altersgruppe 18-29 Jahre) stellen Jaecke zufolge die größte Wählergruppe (33 Prozent) dar – doch sie machen von ihrem Einfluss keinen Gebrauch.
Arbeitslose Hochschulabsolvent:innen protestieren in Südafrika und fordern Beschäftigungsmöglichkeiten.Bild: imago images / Frennie Shivambu
Denn zur Realität gehört ihm zufolge: Nichtwählende stellen die größte Wählergruppe unter Jugendlichen in Südafrika dar. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen Ende Mai zeigt sich Jaecke pessimistisch: Er geht davon aus, dass nur einer von vier Jugendlichen, die nach dem Ende der Apartheid 1994 geboren wurden, ihr Stimmrecht nutzen.
Apartheid in Südafrika
Unter "Apartheid" versteht man das politische System der Rassentrennung in Südafrika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sprich: Die Weißen hatten das Sagen über die überwiegende Mehrheit der Schwarzen. Die Apartheid wurde Anfang der 1990er Jahre aufgehoben. 1994 wurde Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten.
Die Rassentrennung in Südafrika zeigte sich etwa auf Toilettenschildern.Bild: imago images / Becker&Bredel
Die niedrige Wahlbeteiligung sei Ausdruck einer generellen Politikverdrossenheit und die häufigste Form des Protests, um Unzufriedenheit über die Parteiendemokratie und die politische Elite auszudrücken. Das belegen zahlreiche Umfragen, wie beispielsweise jene der Denkfabrik "Human Sciences Research Council".
Unter den Befragten in der Altersgruppe 18 bis 25 Jahre seien gerade mal zwei Prozent mit der Demokratie und drei Prozent mit der politischen Führung in Südafrika zufrieden. Das Vertrauen in die Politik ist am Boden, nahezu die Hälfte der jungen Südafrikaner:innen interessieren sich nicht für die Wahlen. 69 Prozent glauben, dass ihre persönliche Stimme keinen Unterschied mache.
Südafrika: Experte sieht junge Demokratie bedroht
Jaecke zufolge kann langfristig die Entfremdung junger Menschen vom politischen System den sozialen Zusammenhalt sowie die Stabilität der Demokratie gefährden. "Im schlimmsten Fall kann die Ablehnung demokratischer Strukturen sogar zur Befürwortung eines autoritären Systems führen", warnt er.
Das zeigen etwa Gespräche mit arbeitslosen Jugendlichen, die Jaecke am Rande von Workshops führt. Er sagt:
"Sie äußern nicht selten, dass für sie die Regierungsform – ob Demokratie oder autokratisches System – keine Rolle spielt. Hauptsache, die Regierung schaffe neue Arbeitsplätze. Zudem hört man regelmäßig die Aussage 'Die Demokratie versagt, wenn es um unsere Zukunft geht'."
Eine sehr besorgniserregende Entwicklung, die natürlich auch die Tür für Populismus öffne, meint Jaecke. Nicht ohne Grund finde beispielsweise die linksradikal-populistische Economic Freedom Fighters (EFF) unter der armen, jungen, schwarzen Bevölkerung viele Anhänger:innen.
EFF-Politiker Julius Malema begeistert die Jugend mit linksradikalen Ideen und rassistischer Rhetorik.Bild: imago images / Thabo Jaiyesimi
Jaecke beobachte im Land auch, dass die Mehrheit der "Born Frees" nicht mehr die demokratischen Errungenschaften nach 1994 würdigen oder gar die Versöhnungspolitik des großen Staatsmannes Mandela anerkennen. Mit "Born Free" sind jene Südafrikaner:innen gemeint, die um das Jahr 1994 geboren wurden und ohne die politische Rassentrennung aufwuchsen.
"Nicht wenige sehen in Mandela heute einen Verräter, der sich mit der weißen Elite verbündet hat – zum Nachteil der schwarzen Bevölkerungsmehrheit", führt der Experte aus. Diese jungen Menschen seien schlichtweg nur noch frustriert über den Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten und der Ungleichheit im Land.
Nelson Mandela gilt als die Lichtgestalt Südafrikas. Doch bei der Jugend verblasst sein Wirken offenbar.Bild: AP
Ihr Frust spiegelt sich laut Jaecke in einer abnehmenden Akzeptanz demokratischer Parteien, Politiker:innen und staatlicher Institutionen wider. Doch man dürfe nicht alles negativ sehen – es gebe auch positive Aspekte.
Partei "Rise Mzansi" als Hoffnungsschimmer in Südafrika
Jaecke hebt die neu gegründete Partei "Rise Mzansi" hervor, die erstmalig zu den Wahlen antritt und vor allem in der jungen, urbanen Bevölkerung großen Anklang findet. Ihr Wahlkampfmotto "2024 ist unser 1994" treffe die Stimmungslage dieser Zielgruppe in besonderem Maße.
Dem Experten zufolge versteht es "Rise Mzansi", den Bedürfnissen der jungen südafrikanischen Generation Gehör zu verschaffen. Zudem verspreche sie gleichzeitig, verkrustete Strukturen aufzubrechen sowie Politik transparenter zu machen.
"Ob sie letzten Endes das liefert, was sie verspricht, wird man nach dem 29. Mai sehen, aber zumindest habe ich den Eindruck, dass sie auch durch ihre vielen jungen Kandidatinnen und Kandidaten frischen Wind in den Wahlkampf bringt", meint Jaecke.
Doch man müsse realistisch bleiben: Die große Anzahl von jungen Südafrikaner:innen, die sich frustriert von der Politik abgewandt haben, werde auch "Rise Mzansi" nicht erreichen.
Fakt sei aber auch: Die aktuelle Regierung sei ebenfalls nicht in der Lage, die jungen Menschen aufzufangen. Der Dreiklang aus Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit, der besonders die junge Generation hart trifft, wurde bisher nicht wirksam bekämpft.
"Am Ende des Tages kann das geringe Wirtschaftswachstum von prognostizierten 1,2 bis 1,6 Prozent für das Jahr 2024 nicht mit der hohen Zahl an Jugendlichen mithalten, die auf den Arbeitsmarkt drängen", warnt Jaecke.
Das hat Folgen: Qualifiziertes Personal verlässt ihm zufolge das Land, um in Europa, Neuseeland, Australien oder Nordamerika neue Arbeit zu finden. Diese Welle der Auswanderung beschleunige sich zunehmend.
"Es ist traurig, mit anzusehen, wie Zukunftsaussichten und Lebensträume einer ganzen Generation vernichtet werden", sagt Jaecke. Die Geißel aus Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit treffe auch im Jahre 2024 noch immer im überdurchschnittlichen Maße die Schwarze Bevölkerung – besonders junge Schwarze Frauen.
Nachwehen von Apartheid sind noch spürbar in Südafrika
Die Hautfarbe ist laut Jaecke in Südafrika – auch 30 Jahre nach Beendigung der Apartheid – noch immer ein entscheidender Faktor, der über Wohlstand entscheidet. Es gebe zweifelsohne einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, Diskriminierung aufgrund der eigenen Hautfarbe und gesellschaftlicher Aussöhnung.
Laut des Experten entscheidet noch heute die Hautfarbe in Südafrika über Wohlstand beziehungsweise Armut.Bild: imago images / Manash Das
In einem Land mit niedrigem Wachstum und geringem Vertrauen in die Politik sei gesellschaftliche Aussöhnung schwierig.
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"Radikale, populistische Parteien instrumentalisieren diese Thematik, wie beispielsweise die vom ehemaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma angeführte MK-Partei", sagt der Experte. Die Regenbogennation brauche eine Politik, die konsequent auf Wachstum und Beschäftigung anstatt auf Verstaatlichung und Enteignungsträumereien setzt, meint Jaecke.
Denn: "Nur so kann jungen Südafrikanern eine wirkliche Chance auf eine bessere Zukunft ermöglicht werden."