Das neue Jahr kam mit lautem Geknalle. Denn nach zwei Corona-Jahreswechseln ohne Pyrotechnik durfte es 2022 wieder krachen. Doch nicht für jeden bedeutete die Rückkehr des Feuerwerks einen guten Start ins neue Jahr. Die Silvesternacht war von zahlreichen Unfällen geprägt. Amputierte Finger, Hände, Unterarme. Ein Jugendlicher aus Sachsen ist im Krankenhaus an seinen Verletzungen verstorben.
Vielerorts eskalierte es: Rettungskräfte wurden angegriffen. Feuerwehr und Polizei zählten in Berlin insgesamt 33 verletzte Einsatzkräfte. "Wir sind entsetzt, darüber, was uns in dieser Nacht passiert ist", fasst der Sprecher der Berliner Feuerwehr, Thomas Kirstein, die Ereignisse auf watson-Anfrage zusammen.
Zwar habe es auch in früheren Silvesternächte Angriffe auf Einsatzkräfte und -Fahrzeuge gegeben – was dieses Jahr aber neu sei: die Aggressivität und Strukturiertheit der Angriffe. Kirstein führt aus:
Auch an den Kamerad:innen gehen diese Eindrücke nicht spurlos vorbei. Wie Kirstein berichtet, belasteten und schockierten die Erlebnisse die Kolleg:innen. Um den Kamerad:innen bei der Verarbeitung der Nacht zu helfen, gibt es eine Einsatznachsorge.
Über die Hälfte der eingesetzten Feuerwehrleute in dieser Nacht waren Ehrenamtliche, die andere Hälfte kam von der Berliner Berufsfeuerwehr. "Es werden also Menschen angegriffen, die freiwillig einen Dienst an der Gesellschaft leisten", stellt er klar.
Warum die Lage so eskaliert ist, kann sich Kirstein nicht erklären. Die Feuerwehr sei vorbereitet gewesen. "Wir sind davon ausgegangen, dass es wieder mehr Unfälle und Brände geben wird", erklärt er. Und diese Befürchtung habe sich bestätigt: Innerhalb von elf Stunden habe die Feuerwehr so viele Brände gelöscht, wie sonst in einem Monat.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich fassungslos. Sie sagte: "Das Ausmaß an Gewalt zeigt eine Verrohung, die konsequentes Handeln erfordert." Wer Polizeibeamte und Rettungskräfte angreife, "muss mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden", erklärte Faeser.
Ähnlich formuliert es ihr Genosse Dirk Wiese, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag. Gegenüber watson erklärt Wiese: "Die Angriffe auf Rettungs- und Polizeikräfte sind verachtenswert." Nun gehe es darum, die Täter:innen schnell zu ermitteln und hart zu bestrafen. Von einem generellen Böllerverbot zeigt sich Wiese nicht überzeugt. Sinnvoller sind aus seiner Sicht Böllerverbotszonen in bestimmten Stadtteilen oder eine Feuerwerk-Meldepflicht.
Auch Benjamin Strasser (FDP), Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, spricht sich gegen ein umfassendes Böllerverbot aus. Denn das würde unnötig den Großteil der friedlich feiernden Menschen bestrafen. Sorgen machte dem Liberalen allerdings die Respektlosigkeit gegenüber Einsatzkräften. Strasser erklärt gegenüber watson:
Der Rechtsstaat könne ein solches Verhalten nicht dulden. Das Strafrecht biete aber die Möglichkeiten, ein solches kriminelles Verhalten zu verfolgen.
Christine Aschenberg-Dugnus, parlamentarische Geschäftsführerin der FDP, stellt außerdem gegenüber watson klar: "Rettungskräfte müssen vor aggressiven Straftätern konsequent geschützt werden." Dafür müsse das Strafrecht allumfassend angewandt werden. Ein allgemeines Feuerwerksverbot sei allerdings nicht zielführend.
FDP-Politikerin Ria Schröder, die selbst Juristin ist, findet auf watson-Anfrage deutliche Worte für die Krawallmacher:innen: "Angriffe gegen Rettungs- und Einsatzkräfte sind das Allerletzte und müssen mit der ganzen Härte des Rechtsstaats verfolgt werden." Hinzu käme, dass Böllern eine extreme Belastung für Menschen, Tiere und Umwelt werde, wenn sich Menschen nicht an die Regeln hielten. "Kommt dies gehäuft vor, sollten die Kommunen vereinzelte Böllerverbote verhängen", stellt Schröder klar.
Für Janosch Dahmen, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, sind die bisherigen Gesetze nicht ausreichend. Er fordert stattdessen einen Instrumentenkoffer, für Länder und Kommunen, mit dem sie der individuellen Situation vor Ort gerecht werden können. Für diese Evaluation müssten auch Erkenntnisse aus vergangenen Jahreswechseln einbezogen werden.
Der Berliner Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak (CDU) schlägt einen Kompromiss zwischen Verbot und Legalität von Feuerwerk vor: Der Verkauf und das Abfeuern von Böllern sollte verboten werden, Raketen allerdings weiterhin erlaubt bleiben. "Das ist ein guter Mittelweg, um Tiere und Umwelt zu schützen und gleichzeitig Brauchtumspflege zu ermöglichen", findet Luczak.
Raketen sind anders gebaut als Böller, die Gase können sich nur nach unten ausdehnen. Durch den Druck zischt die Rakete dann in den Himmel. Bei Böllern hingegen sind mehrere Papierschichten um das Schwarzpulver gewickelt. Sie explodieren mit einem lauten Knall.
Der CDU-Politiker fordert außerdem eine klare und harte Reaktion des Rechtsstaates. Luczak führt gegenüber watson aus:
Luczaks Parteifreund, Thorsten Frei, sieht in einem generellen und bundesweiten Feuerwerksverbot wenig Sinn. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion erklärt auf watson-Anfrage: "Es würde die Gewaltexzesse von Chaoten in keiner Weise verhindern. Und es würde friedlich feiernde Bürger gängeln." Frei geht nicht davon aus, dass ein allgemeines Feuerwerksverbot dem Grundgesetz standhalten würde – es würde nämlich nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfüllen.
Wichtiger ist aus Sicht des CDU-Mannes, dass die Städte und Gemeinden bereits bestehende Feuerwerksverbote in bestimmten Zonen der Kommune durchsetzen. Unabhängig von einem Böllerverbot müsse die Gewalt gegenüber Polizei und Rettungskräften in voller Härte des Rechtsstaates geahndet werden.
Frei sagt:
Für mindestens 103 Berliner:innen dürfte das Jahr mit einer Anzeige starten. So viele Menschen hat die Polizei der Hauptstadt in der Silvesternacht festgenommen. Darunter sind 98 Männer und fünf Frauen, die wegen Brandstiftung, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Landfriedensbruch und eben den Angriffen auf Einsatzkräfte angezeigt wurden.
Was ihnen nun droht: unter Umständen bis zu fünf Jahre Haft. Seit 2017 gibt es nämlich bereits ein Gesetz, das schärfere Straftatbestände für Angriffe auf Rettungs- und Sicherheitskräfte verankert.
Aus Sicht der Berliner Feuerwehr würde aber vor allem ein Feuerwerksverbot dabei helfen, die Silvesternacht sicherer zu machen. Kirstein schlägt stattdessen geordnete Feuerwerke an zentralen Plätzen vor. Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), hat bereits angekündigt, die Ausweitung von Böllerverbotszonen auf die Agenda zu setzen.
(Mit Material von dpa)