Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands. Und es ist eine Stadt, die kaum jemanden kaltlässt. Die einen fühlen sich abgestoßen von vermeintlichem oder echtem Chaos, von Lärm und Schmutz und einer Scheiß-egal-Mentalität, die den Hauptstädtern nachgesagt wird. Für die anderen ist Berlin ein Sehnsuchtsort: wegen seiner vielfältigen Lokale, Kneipen, Kinos, wegen seiner Clubkultur, wegen der Freiheitsliebe und Weltoffenheit, die die Stadt ausstrahlt.
Deswegen ist Berliner Landespolitik – in der darüber entschieden wird, was mit Schulen, Universitäten, Polizei, Clubs und Theatern geschieht – auch für Menschen in Friedrichshafen, Frankfurt oder Flensburg interessant.
Am 26. September, dem Tag der Bundestagswahl, haben Berlinerinnen und Berliner auch ihr Landesparlament gewählt, das Abgeordnetenhaus. Gut zwei Monate später soll jetzt der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung für die Hauptstadt vorgestellt werden. Es wird – wieder – eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und Linken.
Der Start der Mitte-Links-Koalition in Berlin war etwas holprig. Schon am Sonntag hatte die wohl bald neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verkündet, man wolle den Koalitionsvertrag am Montag der Öffentlichkeit präsentieren.
Abgesprochen war eigentlich, gemeinsam vor die Presse zu treten – nun hat Giffey das sozusagen im Alleingang gemacht. In den Reihen der Koalitionsparteien sorgte das für Kopfschütteln.
Das war so ein typischer Giffey-Moment, könnte man sagen. Immer wieder schafft sie es, die Allgemeinheit zu irritieren. Zuletzt trat sie im Mai dieses Jahres von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin wegen einer Plagiatsaffäre zurück.
Giffeys neues Amt in Berlin könnte als eine Art Bewährungsprobe gedeutet werden. Schafft sie es, eine erfolgreiche Koalition zu führen, könnte sie den Weg zurück in die Bundespolitik schaffen.
Ein Blick in den am Montag beschlossenen Koalitionsvertrag der neuen Berliner Landesregierung macht deutlich, worauf sich SPD, Grüne und Linke geeinigt gaben: kurz zusammengefasst soll es in der Hauptstadt mehr Wohnungen, mehr Klimaschutz, mehr Polizei geben.
"Das Warten und die viele Arbeit haben sich gelohnt", sagte SPD-Landes- und -Fraktionschef Raed Saleh im Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses. Die Parteien hätten um den besten Weg für die Hauptstadt gerungen. "Wir wollen es gemeinsam besser machen", fügte Saleh an.
Vertreter der drei Parteien und der jeweiligen Fraktionen stellten das rund 150 Seiten lange Papier mit dem Titel "Zukunftshauptstadt Berlin" gemeinsam vor. Der Untertitel lautet "Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark".
Der Vertrag sieht unter anderem den Bau von 200.000 Wohnungen, mehr Klimaschutz, die Videoüberwachung von kriminalitätsbelasteten Orten und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vor. Zudem sollen Polizei und Justiz mehr Personal bekommen, Lehrerinnen und Lehrer wieder verbeamtet werden.
Die Koalitionspartner wollten eine Arbeit leisten, die zeige, dass "Berlin Vorreiter sein kann in vielen Bereichen", sagte die designierte Regierende Bürgermeisterin Giffey.
Giffey gab anschließend auch die Ressortverteilung in der zukünftigen Landesregierung bekannt. Demnach wird die SPD neben der Regierungschefin vier Senatoren stellen - diejenigen für Stadtentwicklung und Wohnen, Inneres, Wirtschaft und Bildung.
Bei den Grünen bleibt es wie bisher bei drei Ressorts. Die Partei bekommt jedoch die Zuständigkeit für die Finanzen, die mehr als 20 Jahre lang in den Händen der SPD war.
Außerdem besetzen die Grünen weiterhin die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klima. Hinzu kommt ein um die Wissenschaft ergänztes Gesundheitsressort.
Die Ressorts für Kultur und Europa sowie für Arbeit und Soziales bleiben bei der Linken. Neu hinzu kommt die Zuständigkeit für die Justiz. Zur personellen Besetzung der verschiedenen Senatsposten wollten sich die drei Parteien noch nicht äußern.
Auch wenn der Vertrag nun vorliegt, dauert es noch, bis der neue Senat seine Arbeit aufnehmen kann. Denn die Parteigremien beziehungsweise bei den Linken die Mitglieder müssen dem Dokument erst noch zustimmen.
Die Parteitage dafür sind bei den Sozialdemokraten für den 5. Dezember und bei den Grünen für den 12. Dezember geplant. Der Mitgliederentscheid der Berliner Linken soll vom 3. bis zum 17. Dezember laufen.
Ist die innerparteiliche Zustimmung da, will sich Giffey am 21. Dezember im Abgeordnetenhaus zur neuen Regierenden Bürgermeisterin wählen lassen.
Die alten und voraussichtlich neuen Oppositionsparteien CDU und FDP übten Kritik an den rot-grün-roten Plänen. "Ein neuer Aufbruch ist nirgendwo zu erkennen", erklärte Partei- und Fraktionschef Kai Wegner.
Statt großer Linien enthalte die Koalitionsvereinbarung erneut "ein Sammelsurium von Kompromissen auf kleinstem gemeinsamen Nenner".
FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja nannte den Koalitionsvertrag "das Ergebnis einer Hängepartie". "Die letzten fünf Jahre, aber auch die letzten Tage und Stunden haben gezeigt, dass sich die Partner dieser Koalition nicht einig sind", befand er.
Die SPD hatte die Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September klar vor den Grünen und der CDU gewonnen, die Linke belegte Platz vier.
Anschließend sondierte die SPD auch mit CDU und FDP, sprach sich letztlich aber für eine Neuauflage des Bündnisses mit Grünen und Linkspartei aus. Am Sonntag vermeldeten die Parteien eine Einigung.
(mit Material von afp)