Die Welt wird derzeit von Konflikten erschüttert, die die internationale Ordnung bedrohen: der Krieg im Nahen Osten zwischen Israel und der Hamas seit Oktober 2023, die russische Invasion in der Ukraine seit Februar 2022 sowie weitere blutige Auseinandersetzungen in Äthiopien, Sudan und Myanmar. Gleichzeitig stellen Staaten wie China und Russland die liberale, regelbasierte Weltordnung infrage.
Die Zeichen stehen auf Krieg, doch die Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit bleibt weltweit stark.
Angesichts zunehmender Spannungen und Aufrüstung stellt sich die Frage: Wie können wir eine friedvolle Zukunft erreichen?
In einem Gespräch mit Thorsten Bonacker, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg, beleuchten wir die größten geopolitischen Gefahren und die Rolle der Vereinten Nationen sowie Deutschlands bei der Friedensfindung.
Kriege sind gewaltsam eskalierte Konflikte. Um Frieden wieder herzustellen, sind Thorsten Bonacker zufolge verschiedene Schritte notwendig. "Zunächst einmal müssen die Waffen schweigen. Konfliktparteien müssen sich darauf verständigen, dass es besser ist, den Konflikt ohne Gewalt auszutragen", erklärt er.
Oftmals geschieht dies durch international vermittelte Waffenstillstände, die häufig nur regional begrenzt sind. Sie dienen dazu, zu testen, ob sich die jeweils andere Seite an Vereinbarungen hält. Dies ist wichtig, damit ein Minimum an Vertrauen entstehen kann – ein kleiner Schritt in Richtung Frieden, auf den die Parteien aufbauen können.
Eine weitere Möglichkeit ist der Siegfrieden, bei dem eine Seite siegt – im Ukraine-Krieg also Moskau oder Kiew. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endeten jedoch nur ein Fünftel aller Kriege auf diese Weise.
"Für einen nachhaltigen Frieden, der über die Abwesenheit von Gewalt hinausgeht, ist es wichtig, dass Konfliktparteien Gewalt nicht als Mittel der Austragung ihrer Differenzen betrachten und sich bestenfalls versöhnen", sagt der Konfliktforscher. Neutrale Drittparteien wie die Vereinten Nationen können hier unterstützend wirken.
Oft gründen Kriege auf über Jahre oder Generationen schwelenden Konflikten, wie etwa im Nahost-Konflikt, wo Israelis und Palästinenser:innen einen grundsätzlichen Anspruch auf dasselbe Gebiet erheben. Hier nachhaltig Frieden zu schaffen, ist oft ein über Jahrzehnte andauernder Prozess.
Bonacker betont, dass diejenigen, die völkerrechtswidrig handeln, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Etwa vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Dieser hat bisher zahlreiche Kriegsverbrecher verurteilt, darunter den ehemaligen Präsidenten Liberias, Charles Taylor, der wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Haft verurteilt wurde. Auch gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde bereits ein Haftbefehl wegen der Deportation ukrainischer Kinder erlassen.
Werden völkerrechtswidrige Handlungen nicht verfolgt, setzt sich das Recht des Stärkeren durch – laut Bonacker das Gegenteil einer Friedensordnung. Dieses Problem zeigt sich derzeit deutlich im Ukraine-Krieg und im Verhalten Russlands.
Staaten wie China oder Russland versuchen aktuell, alternative Modelle zur liberalen, regelbasierten Weltordnung durchzusetzen. Sie erschaffen eine multipolare Staatenwelt mit unterschiedlichen Einflusszonen und holen Verbündete ins Boot.
Ein Beispiel der multipolaren Weltordnung ist Chinas territorialer Anspruch im Südchinesischen Meer gegen mehrere südostasiatische Staaten.
"Das führt unweigerlich zu Konflikten auf internationaler Ebene, etwa zwischen den USA und China, aber auch in Gesellschaften, in denen Gruppen mit unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen aufeinandertreffen", erklärt der Experte. Letzteres war etwa bei den Wahlen in Frankreich und Polen ersichtlich und wird auch bei der US-Wahl im Herbst eine Rolle spielen.
Angesichts der Bedrohungen durch Russland und China rüsten Länder weltweit auf. 2023 stiegen die Rüstungsausgaben laut SIPRI um fast sieben Prozent auf 2,4 Billionen Dollar – ein Trend, der laut Bonacker anhält. "Wir werden eine zunehmende Militarisierung sehen, da Staaten mehr Geld in ihre Verteidigungskapazitäten investieren", prognostiziert der Konfliktforscher.
Ob Frieden möglich ist, hängt davon ab, ob wirtschaftliche und politische Kooperationen als vorteilhafter angesehen werden als gewaltsame Konflikte.
Dass der Krieg sich nicht auszahlt, ist ihm zufolge auch im Umgang mit Russland wichtig.
Die Angriffe Russlands auf die zivile Infrastruktur der Ukraine, die dauerhafte Terrorisierung der ukrainischen Bevölkerung und zuletzt die Zerstörung eines Kinderkrankenhauses machen deutlich, dass Russland weiter auf Gewalt setzt. "Dem muss man energisch entgegentreten", stellt Bonacker klar.
Der Krieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis zum 31. Mai 2024 mindestens 11.126 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 613 Kinder. Russland wird seine Angriffe laut Bonacker erst beenden, wenn die eigenen Kosten dafür zu hoch sind.
Er ist überzeugt: "Dies erreicht man nicht mit guten Worten, sondern mit einer wirksamen Drohung und einer Schwächung der Kapazitäten Russlands, diesen Krieg fortzusetzen." Die internationale Gemeinschaft sollte demnach demonstrieren, dass sie die Ukraine vollständig unterstützt.
Auch Deutschland müsse dem Land stärker unter die Arme greifen. Dabei geht es nicht nur um die Ukraine selbst: Ihm zufolge hängt die europäische Sicherheit davon ab. Angesichts der schwierigen innenpolitischen Lage in den USA sei es zudem wichtig, dass Europa sicherheitspolitisch handlungsfähiger werde.
"Auf internationaler Ebene ist es wichtig, zum einen an der Idee einer regelbasierten Ordnung festzuhalten. Denn nur sie garantiert, dass Großmächte nicht einfach in neoimperialer Manier die Welt unter sich aufteilen", erklärt Bonacker. Zum anderen müssten internationale Institutionen gestärkt werden, weil sie Orte der Zusammenarbeit auch über Differenzen und Konflikte hinweg sind.
Bonacker stellt hierzu klar:
Diese aufstrebenden Staaten müssten davon überzeugt werden, dass sie von einer geordneten Staatenwelt mehr profitieren als von einem ungezügelten Streben nach Einfluss.
Eine wichtige Voraussetzung wäre nach Meinung des Experten auch, sich gemeinsam wieder auf die Lösung der globalen Probleme – etwa weltweite Armut oder die Folgen des Klimawandels – zu konzentrieren.
Zum Frieden auf der Welt kann auch jede:r einzelne etwas beitragen. Denn die Bedeutung von interkulturellem Austausch sei nicht zu unterschätzen, betont Bonacker.
"Und ein wenig muss man auch darauf hoffen, dass eine politische Elite, die auf Radikalisierung setzt, in den jeweiligen Gesellschaften an Rückhalt verliert", sagt der Konfliktforscher. In der Regel hätten Menschen schließlich kein gesteigertes Interesse daran, in Angst und Unsicherheit zu leben. Denn Konflikte zahlen sich für Bevölkerungen meist nicht aus.