Zumindest gesellschaftspolitisch dürfte der Ampel in spe ein Aufbruch gelingen: So planen sie zum Beispiel die Abschaffung des Paragraphen 219a, der es Frauen bislang schwierig machte, sich adäquat über Abtreibungen aufklären zu lassen und behandelnde Ärzte zu finden.
Und auch die Queercommunity dürfte sich freuen: Selbstbestimmungsgesetz statt Transsexuellengesetz, automatisches gemeinsames Sorgerecht zweier Frauen oder Männer, die sich gemeinsam für ein Kind entscheiden – und die Abschaffung des Blutspendeverbotes für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie trans*Menschen.
Männer, die Sex mit Männern haben, durften in Deutschland bis 2017 faktisch überhaupt kein Blut spenden. Seit 2017 dürfen sie es zwar – aber nur, wenn sie zwölf Monate zuvor keinen Sex hatten. Bereits im Sommer dieses Jahres gab es dann eine weitere Lockerung: Schwule Männer in einer Partnerschaft dürfen Blut spenden, wenn sowohl sie als auch ihr Partner seit vier Monaten keinen Sex mit anderen hatte. Und auch ohne feste Partnerschaft dürfen sie spenden, wenn sie vier Monate enthaltsam waren.
Marcus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland spricht von einer "vielversprechender Signalwirkung". Insgesamt sagt er: "Der vorgestellte Koalitionsvertrag ist ein queerpolitischer Aufbruch." So beinhalteten die von den Ampelparteien vereinbarten Ziele eine spürbare Verbesserung der Rechte der LGBTIQ-Community. Ulrich führt aus:
Für viele dieser Ziele sei bereits vorgearbeitet worden, daher erwarte der Verband, dass die Verwirklichung schnell geschehe. Gleichberechtigung, ein besserer Diskriminierungsschutz und wirksame Maßnahmen gegen Hass und Hetze müssten vorangetrieben werden.
Ulrich fordert:
Die SPD-Fraktion im Bundestag spricht sich gegenüber watson dafür aus, dass es keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung geben dürfe. Das gelte auch für die Blutspende. "Deshalb haben wir die bisherigen Regelungen der Richtlinie Hämotherapie der Bundesärztekammer zur Zurückstellung von Spendenden kritisch gesehen", heißt es vonseiten der Fraktion.
Mittlerweile dürften zwar auch Menschen spenden, die ein erhöhtes Risiko haben, an durch Blut übertragbaren Infektionskrankheiten zu erkranken. Sie würden allerdings einheitlich und unabhängig der sexuellen Orientierung vier Monate zurückgestellt. So solle die Sicherheit der Blutkonserven gewährleistet werden. Von Seiten der Fraktion heißt es dazu:
Der queerpolitische Sprecher der Grünen, Sven Lehmann, begrüßt den Vorstoß des Koalitionsvertrags. Gegenüber watson meint er:
Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien steht, dass die Diskriminierung bei Blutspenden "nötigenfalls auch gesetzlich" abgeschafft werden solle. Was genau das bedeuten soll, erklärt Lehmann so: Sollte der politische Druck auf die Bundesärztekammer, die für die Regelungen der Blutspende federführend verantwortlich ist, nicht reichen, müsse der Bundestag gesetzlich tätig werden.
Es müsste also ein entsprechendes Gesetz verfasst werden und, wie es der Gesetzgebungsprozess vorsieht, nach der ersten und zweiten Lesung von den Abgeordneten abgestimmt werden. Im nächsten Schritt müsste auch der Bundesrat – also die Vertreter der Bundesländer – sein Go geben, ehe der Gesetzentwurf verabschiedet werden kann.
Was Lehmann erwartet, fasst er folgendermaßen zusammen:
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten die Grünen, ebenso wie die FDP-Fraktion, per Antrag gefordert, dass das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für transgeschlechtliche Menschen abgeschafft wird. Dieser Antrag wurde allerdings abgelehnt:
Aus Sicht der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) ist mit der Blutspendereform im Sommer ein erster Schritt in die richtige Richtung gegangen worden. Trotzdem stellt der Vorsitzende Alexander Vogt gegenüber watson klar:
Ein Punkt, für den sich auch der Interessenverband LSU einsetze. Insgesamt habe Vogt große Erwartungen an die neue Regierung. Er meint: "Meine Erwartung an die neue Regierung ist, dass eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz der LSBTI-politischen Vorhaben hergestellt wird." Die Ampel-Parteien sollten dafür den Versuch unternehmen, die gesamte Gesellschaft zu überzeugen. Gleichzeitig erwarte Vogt von der Opposition, zu der auch die Unionsfraktion gehört, konstruktive und überlegenswerte Gestaltungsvorschläge zu machen, die in Teilen oder ganz übernommen werden könnten.
"Was im Ampel-Koalitionsvertrag steht, ist sicher nicht das Endprodukt und wird sicher nicht die Optimallösung sein", sagt Vogt. Letztlich komme es auch immer auf die Details an. Vogt fügt hinzu: "Ein bekannter SPD-Politiker ist vor vielen Jahren schließlich auch schon mal zur Erkenntnis gelangt, dass kein Gesetz aus dem Parlament so heraus kommt, wie es eingebracht worden ist. Darin liegt auch eine Chance."
Vogt meint hier den ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, der 2002 bis 2005 Verteidigungsminister war. Bis heute wird vom "Struck'schen Gesetz" gesprochen. Das meint, dass zwar Gesetzentwürfe vorgestellt werden, sie aber im Laufe des Gesetzgebungsprozesses fast immer modifiziert werden.
Aus Sicht von Frank Laubenburg, dem Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Queer der Partei Die Linke muss die Diskriminierung von homo- und bisexuellen Menschen sowie die Stigmatisierung von Transpersonen aufhören. Gegenüber watson erklärt er:
Aus diesem Grund fordere Laubenburg eine stärkere finanzielle Förderung der zielgruppenspezifischen HIV- und Aids-Prävention. Ebenso könne die Sicherheit der Blutspenden durch Nachtestungen gewährleistet werden.
Laubenburg meint:
Der Koalitionsvertrag sei zu ungenau, um abschließend beurteilen zu können, ob ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung gelingen wird. Laubenburg erwarte von der neuen Regierung, dass die Ziele, die im Koalitionsvertrag für den Queerbereich genannt sind, schnell und konsequent durchgesetzt werden. Außerdem ist aus Sicht des Linken-Politikers ein Rettungsschirm für queere Verbände und Projekte, die unter Einnahmeausfällen der Corona-Pandemie litten, notwendig.
"Für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und für das Bayerische Rote Kreuz (BRK) sind sämtliche Richtlinien, die die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut vorgeben, bindend", heißt es vonseiten des Blutspendediensts. Es gebe natürlich Gründe, warum manche Menschen nicht zur Spende zugelassen würden. Solche Gründe könnten eine Malaria-Infektion, bestimmte Medikamente oder auch das Sexualverhalten sein.
"Wir testen alle Blutkonserven, aber es gibt sogenannte Fensterphasen, in denen weder das Virus, noch Antikörper nachgewiesen werden können", führt der Sprecher des BRK aus. Das habe bisher dazu geführt, dass Menschen unter gewissen Umständen von der Blutspende ausgeschlossen wurden. So zum Beispiel Sexarbeitende und homosexuelle Männer. "Wir vom DRK und BRK begrüßen sämtliche Richtlinen, die es mehr Menschen ermöglichen, Blut zu spenden", heißt es vonseiten des Blutspendedienstes.
Aktuell könne der Blutspendedienst zwar gewährleisten, dass es genügend Blutkonserven gibt, das war während der Pandemie aber nicht immer so. "Die Verhaltensweise der Bevölkerung und damit der Spender hat sich verändert – in den Hochzeiten der Pandemie konnten wir ein großes Engagement feststellen, in den Zeiten, in denen wieder mehr Freizeit möglich war, kamen dann weniger", sagt der BRK-Sprecher.
Blut werde allerdings prinzipiell genau in diesen Phasen der Pandemie besonders gebraucht: Durch die Entlastung der Intensivstationen werden nämlich viele Operationen, die verschiebbar sind, auf die Zeit zwischen den Coronawellen verschoben. "Insgesamt brauchen wir als Blutspendedienst eigentlich eine Kontinuität, denn Blutkonserven kann man nicht so lange aufheben", fasst der Sprecher zusammen.