Traurig, aber nicht verzweifelt: So könnte man die Laune zusammenfassen, die die Spitze der Linken am Montag nach der Bundestagswahl ausstrahlt. Die Linke, die 2017 noch knapp neun Prozent der Stimmen geholt hatte, ist jetzt abgestürzt auf 4,9 Prozent, unter die Fünf-Prozent-Hürde. "Es ist ein schwerer Schlag für die Linke", sagt Parteichefin Janine Wissler am Morgen im großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, ihre Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow spricht vom "letzten blauen Auge", das die Linke sich geholt habe.
Was sie meint: Noch einmal darf das den Linken nicht passieren. Und: Es ist gerade nochmal knapp gutgegangen.
Denn dass die Partei trotzdem im nächsten Bundestag sitzt, verdankt sie allein den zwei prominenten Berliner Linken Gesine Lötzsch und Gregor Gysi und dem Leipziger Sören Pellmann. Die drei haben in ihrem jeweiligen Wahlkreis die meisten Erststimmen geholt und dürfen deshalb in den Bundestag einziehen. Parteien, die mindestens drei Direktmandate holen, bekommen Bundestagssitze entsprechend ihrem Stimmenanteil – auch, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichen.
Die Linken haben noch in einem zweiten Sinn Glück im Unglück: Obwohl sie nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen holten, bekommen sie – wegen der komplizierten Mathematik hinter der Sitzverteilung – etwas mehr als 5 Prozent der Sitze. Das bedeutet: Die Linken bilden weiter eine Fraktion. Bei unter 5 Prozent Sitze hätten sie nur eine Gruppe bilden können, mit deutlich weniger Macht im Parlament und deutlich weniger Geld zur Verfügung.
Woran hat's gelegen? Die Frage treibt die Parteichefinnen Wissler und Hennig-Wellsow um, das liest man aus ihren übermüdeten Gesichtern ebenso wie aus den Sorgenfalten von Linken-Spitzenkandidat und Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch. Ein paar Erklärungsansätze liefern sie: Die Partei habe in der Vergangenheit zu oft gestritten, der Wahlkampf sei stark auf eine Polarisierung zwischen der SPD um Kanzlerkandidat Olaf Scholz und der Union hinausgelaufen, der Linken hätten zu wenig Menschen zugetraut, etwas verändern zu können.
Und Sahra Wagenknecht? Die ehemalige Fraktionschefin, die seit Jahren regelmäßig gegen die eigene Partei stichelt und ihr vorwirft, zu viel an städtische Hipster und zu wenig an kleine Leute mit schmalen Löhnen zu denken? Sie wird im nächsten Bundestag sitzen, war Spitzenkandidatin der Partei in Nordrhein-Westfalen. "Ich habe mit ihr kommuniziert", sagt Hennig-Wellsow trocken auf eine entsprechende Frage. Dietmar Bartsch kann sich einen leicht boshaften Kommentar nicht verkneifen. In Nordrhein-Westfalen, wo Wagenknecht antrat, sei die Linke ja auch nur bei 3,7 Prozent gelandet, meint er.
"Was mich nachdenklich macht", sagt Wissler, ist, dass wir "bei vielen Fragen Mehrheiten in der Bevölkerung haben." Sie zählt die Pflege auf, die Forderung nach einer Vermögensteuer – und sie spielt auf Umfragen an, laut denen eine Mehrheit der Bevölkerung den Positionen der Linken in diesen Fragen zustimmen. Wissler meint: "Es macht mich nachdenklich, dass das nicht dazu führt, dass wir deutlich stärker sind." Bartsch meint dann immerhin noch: "Ich sehe in diesen Zahlen eine Chance." Daran zeige sich ja, dass das Potenzial für die Linke da sei, größer zu werden.
Was der Partei außerdem heftig zu schaffen macht, ist ihr Abstieg im Osten. In den 1990er Jahren war die Linken-Vorgängerpartei PDS zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern eine Volkspartei, jetzt hat sie in diesen Ländern nur noch 10 Prozent der Stimmen erreicht. Das sind 0,9 Prozentpunkte weniger als die Grünen – und kaum mehr als die Hälfte der 19,1 Prozent, die sich die AfD dort gesichert hat.
Hennig-Wellsow, die aus Thüringen kommt und im dortigen Landtag saß, meint, dass es ihr große Sorgen mache, dass es ganze Landstriche gebe, in denen die in Teilen rechtsextreme AfD weit über 20 Prozent der Menschen überzeugt. Ein Gegenmittel, laut Bundestagsfraktionschef Bartsch: Wieder besser werden vor Ort, mehr Landräte stellen, mehr Bürgermeister. Dazu müsste die Linke natürlich auch in manchen Städten, Gemeinden und Landkreisen wieder Kommunalwahlen gewinnen.
Über ihr Ergebnis bei jungen Wählerinnen und Wählern kann sich die Linke auch nicht freuen. Zwar hat sie laut den Nachwahlbefragungen der ARD bei jungen Menschen bis 30 besser abgeschnitten als in der Gesamtbevölkerung, mit Werten von sieben bis acht Prozent. Aber sie liegt eben auch meilenweit entfernt von den Werten, die Grüne und FDP bei jungen Menschen gelandet haben: Beide Parteien stehen hier bei über 20 Prozent.
Dabei hatte sich die Linke Mühe gegeben, um junge, linke Menschen zu erreichen: Auf den digitalen Parteitagen im Februar und im Juni waren Vertreter der Klimaschutzorganisation Fridays for Future (FFF) zu Gastbeiträgen eingeladen. Ins Wahlprogramm der Linken waren einige Forderungen von FFF fast ungefiltert eingeflossen. Und die Linken hatten als einzige der größeren Parteien das Ziel ausgegeben, Deutschland schon bis 2035 klimaneutral zu machen.
Auf die Frage von watson, wie sie sich das alles in allem schwache Abschneiden der Partei bei jungen Menschen erkläre, sagt Wissler am Montagmorgen in der Bundespressekonferenz, man suche noch nach Antworten. "Ich hab' das auch gesehen und das ist ein Problem", meint sie wörtlich - und ergänzt: "Wenn ich eine Antwort darauf hätte, dann hätte ich sie ja schon vor der Wahl gehabt und sie umgesetzt."
Nach Wahlschlappen stellt sich in aller Regel auch die Frage, ob jemand deshalb zurücktreten muss. Bei den Linken, so stellen es zumindest Wissler, Hennig-Wellsow und Bartsch dar, gebe es dazu momentan keinen Anlass. Sie verweisen darauf, dass sie selbst erst seit Februar im Amt sind, dass die Umfragewerte schon zuvor schlecht waren (obwohl die Partei seither eben doch drei entscheidende Prozentpunkte verloren hat).
Hennig-Wellsow meint dann noch, mit Blick auf sich selbst und ihre Co-Chefin Wissler: "Da würden wir ja sofort gehen, wenn's an uns läge, wenn wir ansonsten zehn Prozent bekämen." Ganz ist ihnen das Lachen also noch nicht vergangen bei den Linken.