Eigentlich lief in den vergangenen Wochen alles bestens für den Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Beispielsweise die TV-Debatte gegen seinen Kontrahenten Joe Biden, der dort mehrmals den Faden verlor und so den Stein zum Rückzug ins Rollen brachte.
Plötzlich interessierte sich die breite Öffentlichkeit kaum noch dafür, dass Trump in der Sendung mit zahlreichen Lügen um sich warf, wie etwa CNN aufdeckte.
In den Vordergrund rückten stattdessen Bidens Alter und Verfassung. Er verlor zunehmend an Zustimmung. Zuletzt äußerten sich namhafte Demokraten öffentlich und forderten einen Rückzug Bidens aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft. Ein Sieg des Republikaners würde immer wahrscheinlicher, so ihre Befürchtung. Sogar Barack Obama soll zuletzt Berichten zufolge Zweifel an einer erneuten Kandidatur Bidens geäußert haben.
Für Trump ein gefundenes Fressen, um sich über Biden lustig zu machen – und optimal für eine Wahlkampagne der Republikaner, die sich auf seine Schwächen konzentrierte. Eine Strategie, mit der Trump offenbar gut fuhr.
Doch jetzt werden die Karten mit der Verkündung von Bidens Rückzug neu gemischt. Er will sich für die restliche Amtszeit auf die Arbeit als US-Präsident konzentrieren. Und Trump? Der wird nun seine Strategie anpassen, wie Politikwissenschaftler Heinz Gärtner im Gespräch mit watson erklärt. Gärtner ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig. Er glaubt, dass Trump ab sofort in noch konservativeren Gewässern fischen wird.
Positiv in Hinblick auf die US-Wahl im Herbst war für Trump jüngst nicht nur die für die Demokraten miserable TV-Debatte. Auch das versuchte Attentat bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania brachte ihm viel Aufmerksamkeit. Er kam mit einer Verletzung am Ohr davon, zudem gingen für Trump starke Bilder um die Welt: Der angegriffene Republikaner, mit Blut im Gesicht, hoch gestreckter Faust und umgeben von Sicherheitsleuten sowie jubelnden Anhänger:innen.
Durch die jüngsten Ereignisse konnte Trump seine "potenziellen Wähler auf den Topf der Wechselwähler und der Unabhängigen ausweiten", wie Gärtner erläutert.
Nach Meinung des Politikwissenschaftlers könnte die aktuell als wahrscheinlichste Nachfolgerin geltende Kamala Harris helfen, das Blatt der Demokraten zu wenden: "Sie könnte diese verloren gegangenen Wähler zurückholen", sagt Gärtner. Und: "Kamala Harris hat zwar immer noch schlechtere Umfragewerte als Donald Trump, konnte aber aufholen."
Laut Daten des Portals "Realclear Polling" gibt es derzeit nur einen geringen Abstand zwischen Harris und Trump. In drei von sieben Umfragen liegt Trump nur einen Prozentpunkt vor Harris. In einer Umfrage von Reuters und Ipsos, die in den beiden Tagen nach dem Attentat auf Trump durchgeführt wurde, liegen Harris und Trump sogar gleichauf. "Realclear Polling" listet jedoch noch keine Umfrage, die nach Bidens Ankündigung zum Rückzug erhoben wurde.
Auch fast alle prominenten Demokraten haben sich bereits hinter Harris gestellt. Sie könnte also tatsächlich die Konkurrentin für Trump werden.
Laut Gärtner bedeutet dies künftig für die Republikaner, dass diese vermehrt "Basiswahlkampf führen und auf Einwanderung- und Abtreibungsgegner sowie weiße Männer und Arbeiterschaft im gefährdeten Rust-Belt" setzen. "Er wird sich umso mehr auf seine Basis mit extrem konservativen Themen konzentrieren", sagt Gärtner.
Damit bezieht sich der Experte auf die Reizthemen Abtreibung, Einwanderung und Protektionismus.
Inflation und die Migration gehören bisher zu den bestimmenden Themen im US-Wahlkampf. Trump nutzt die Migrationsprobleme schon seit langer Zeit, um Stimmung gegen die Demokraten zu machen. Das wird er jetzt wohl gegen eine potenzielle Konkurrentin Harris erst recht tun.
Republikaner und Demokraten sind sich uneins, wie die Migration an der US-Grenze zu Mexiko eingedämmt werden kann. Seit Bidens Amtsantritt hat sich die Lage im Grenzgebiet nachweislich verschärft, wie etwa "ntv" berichtet. Und Harris war von Biden beauftragt worden, sich um das Thema Migration zu kümmern. Offenbar wenig erfolgreich.
Um in extrem konservativen Wählergruppen zu fischen, hat Trump sich erst vor Kurzem die passende Verstärkung an die Seite gehört, wie Gärtner erklärt: "Dafür ist sein Vize J. D. Vance der geeignete Kandidat." Der Hardliner ist Trumps neuer "Running Mate". Er setzt sich strikt gegen Abtreibungen ein und macht Stimmung gegen Migrant:innen.