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China und Taiwan: Militär-Manöver und Fake News – ein psychologischer Krieg

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Eine Rakete wird vom chinesischen Militär abgefeuert und zielt auf Meeresgebiete im Osten Taiwans.Bild: IMAGO / Xinhua
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Fake-News und Militär-Manöver: So führt China einen psychologischen Krieg gegen Taiwan

Desinformation, Manipulation, Muskelspiele: Taiwan fürchtet eine verschärfte psychologische Kriegsführung durch Peking. Aber was ist das überhaupt – und was hat das mit Russlands Krieg in der Ukraine zu tun? Ein Überblick.
11.08.2022, 07:12
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Seit einer Woche lässt China mit Militärmanövern die Muskeln spielen, nun reagiert Taiwans Armee. Im äußersten Süden der Insel startete Taiwan am Dienstagmorgen eine Übung mit scharfer Artillerie – bei der Gegenmaßnahmen für eine Invasion simuliert wurden.

Doch es sind nicht bloß gewaltvolle Attacken, die Taiwan befürchtet. Neben einem wahrhaftigen Angriff erwartet man zunehmende Provokationen seitens China – etwa eine Luft- und Seeblockade. Aber auch von verschärfter psychologischer Kriegsführung ist die Rede.

China könne etwa mit Falschnachrichten und Faktenverdrehungen innerhalb Taiwans die Bürgerinnen und Bürger manipulieren.

Psychologische Kriegsführung also. Fake News. Provokation. Manipulation. Propaganda. Praktiken, die vor allem seit Beginn der großen Invasion Russlands in die Ukraine immer mehr an Bedeutung gewinnen – und immer häufiger in den Medien auftauchen.

Aber was bedeutet das überhaupt?

"Psychologische Kriegsführung hat es eigentlich schon immer gegeben", erklärt der Schweizer Psychologe und Militärwissenschaftler Hubert Annen im Gespräch mit watson. "Wir kennen alle den Begriff Propaganda, hier gibt es die größten Überschneidungen." In der Geschichte der Kriegsführung habe man immer beobachten können, "dass das jede kriegsführende Partei betrieben hat".

"Mit Desinformation soll den Menschen mitgeteilt werden: 'Ihr habt sowieso keine Chance. Es ist besser, wenn ihr direkt aufgebt'"
Militärpsychologe Hubert Annen

Es gehe dabei darum, den Gegner mit gezielten Informationen zu schwächen und gleichzeitig die Moral in den eigenen Reihen zu heben. Sowohl bei den Soldaten als auch in der Zivilbevölkerung. "Mit Desinformation soll den Menschen mitgeteilt werden: 'Ihr habt sowieso keine Chance. Es ist besser, wenn ihr direkt aufgebt'", erklärt Annen.

Fake-News: Verbreitung hat sich verändert, Ziele sind dieselben

Dabei werden unterschiedlichste Methoden genutzt. Grundsätzlich haben laut Annen Informationen, aber auch militärische Operationen psychologischen Einfluss.

Auf Informationsebene werden ihm zufolge "eigentlich alle Methoden genutzt, die der Informationsweitergabe dienen". Wobei sich die Mediennutzung im Laufe der Zeit verändert haben. "Die Ziele sind dieselben geblieben, die Medien haben sich weiterentwickelt", sagt der Psychologe.

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Taiwans Armee führt im Süden der Insel Militärübungen mit scharfer Artillerie durch.Bild: AP / Johnson Lai

"Im Ersten Weltkrieg hat es beispielsweise Schallplatten gegeben, auf denen der Kaiser gesprochen hat." Flugblätter zu verteilen, sei bis in den Kalten Krieg hinein eine beliebte Methode gewesen. "Man hat etwa den Soldaten durch Flugblätter die Falschinformation mitgegeben: 'Euch wurde erzählt, in Kriegsgefangenschaft würde es euch schlecht ergehen. Das stimmt nicht. Wenn ihr euch ergebt, wird es euch bei uns gutgehen'."

Die gezielte Nutzung von Bildern und Karikaturen sei seit dem Ersten Weltkrieg häufig vorgekommen. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Propaganda dann auch durch Radiosendungen übertragen. Heute wird vor allem Social Media dafür genutzt.

"Der chinesische Kriegsphilosoph Sunzi hatte schon gesagt: Die größte Kunst des Krieges, ist den Gegner ohne Gewalt zu bezwingen."
Militärpsychologe Hubert Annen

Aber führt denn China bereits jetzt schon einen psychologischen Krieg gegen Taiwan?

Um eine genaue Analyse abzugeben, bräuchte der Militärwissenschaftler genauere Informationen aus erster Hand, meint er. Die fehlen bisher. Dennoch verweist Annen auf eine lange Tradition beim Thema Propaganda seitens Chinas. "Der chinesische Kriegsphilosoph Sunzi hatte schon gesagt: Die größte Kunst des Krieges ist, den Gegner ohne Gewalt zu bezwingen."

Sein Buch "Die Kunst des Krieges" soll bereits 500 v. Chr. entstanden sein. "Damit hat er natürlich nicht dazu aufgerufen, keine Gewalt anzuwenden. Ihm ging es darum, die eigenen militärischen Mittel so sparsam wie möglich anzuwenden, um Kriege zu gewinnen."

Aber zurück zur Gegenwart.

FILE - People walk past a billboard welcoming U.S. House Speaker Nancy Pelosi, in Taipei, Taiwan, Aug 3, 2022. Days after Ayman al-Zawahiri was killed in Kabul, China staged large-scale military exerc ...
Der Besuch Nancy Pelosis in Taiwan gilt als Auslöser der neuen Eskalation.Bild: AP / Chiang Ying-ying

In Taiwan warnt die Regierung neben der Bevölkerung auch die Medien vor Desinformation seitens Chinas. Und auch Unternehmen sollten vorsichtig sein, wenn sie zu einem kritischen Zeitpunkt chinesische Software nutzten. Einrichtungen der Regierung hätten bereits 23 Mal mehr Cyber-Angriffe registriert als üblich, teilte das Digitalministerium mit.

Wie Annen bereits erklärt hat, nutzt jede kriegsführende Partei Propaganda und Desinformation. "Auch Russland hat bereits vor der großen Invasion damit begonnen, den Gegner abzumindern", sagt Annen. Heißt, man hat der Ukraine das Recht abgesprochen, ein eigenständiger Staat zu sein. Russland habe die Geschichte so interpretiert, wie es den eigenen Zielen am besten dient, erklärt Annen.

Dasselbe Argument nutzt auch China im Konflikt mit Taiwan.

Ein, wohlgemerkt recht absurdes, Beispiel sind Äußerungen der ranghohen Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Hua Chunying auf Twitter. Da es in Taiwan etliche chinesische Restaurants gibt, müsse Taiwan doch zu China gehören, argumentierte Hua.

Auch militärische Operationen haben eine psychologische Wirkung. "Show of force", wie es der Militärpsychologe Annen nennt. "Demonstration der Stärke" – das ist eine militärische Strategie, um die Moral des Gegners zu schwächen. Auch das hat Russland monatelang an der ukrainischen Grenze gemacht. Truppen wurden stationiert, Militärübungen durchgeführt. China führt nun bereits seit mehr als einer Woche Militärmanöver rund um den Inselstaat Taiwan durch. "'Passt auf, wir sind bereit' ist hier die Devise", erklärt Annen.

Und er sagt weiter:

"Gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine lässt sich Chinas Handeln aus psychologischer Sicht auch so interpretieren: 'Schaut, die Russen haben das gemacht. Wir können das auch – und wir lassen uns genauso wenig von Sanktionen einschüchtern."

Ob das eine tatsächliche politisch-strategische Bedeutung hat, will Annen als Psychologe aber nicht beurteilen.

Auch Russland schaltet sich in Taiwan-Debatte ein

Der Vergleich zwischen Russland und China kommt nicht von ungefähr. Die beiden Staaten verbindet neben einer autokratischen Führung auch eine Freundschaft. Das zeigt sich nun auch dadurch, dass sich der russische Außenminister Sergeij Lawrow in die Debatte um China und Taiwan einschaltet.

ARCHIV - 08.06.2022, T�rkei, Ankara: Sergej Lawrow, Au�enminister von Russland, spricht w�hrend einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem t�rkischen Amtskollegen Cavusoglu. (zu dpa: "Lawrow be ...
Der russische Außenminister Sergeij Lawrow.Bild: AP / Burhan Ozbilici

Als Auslöser der neuen Eskalation gilt der Besuch der Vorsitzenden des amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh. Peking fühlt sich durch diesen Besuch heftig provoziert. Pelosi ist seit 25 Jahren die erste hochrangige US-Politikerin, die Taiwan offiziell besuchte – das wertet die chinesische Führung als diplomatische Aufwertung Taiwans, dem Peking die Eigenständigkeit abspricht.

Und auch Russland – nämlich durch Außenminister Lawrow – kritisierte den Besuch Pelosis scharf. Das sei ein Ausdruck des Wunsches der USA, seine eigene Gesetzeslosigkeit zu demonstrieren, nach dem Motto "Ich mache, was ich will", sagte er laut der russischen Staatagentur Tass.

Die USA haben aus dem Nichts ein Ärgernis geschaffen, sagte Lawrow weiter – wohl wissend, was das für China bedeute. Und er verglich die Situation eben auch mit dem Krieg in der Ukraine, den Russland noch immer als Spezialoperation bezeichnet.

Unterdessen setzt China seine Militärmanöver entgegen aller vorherigen Ankündigungen weiter fort, weitet sie sogar aus.

In this photo released by the Taiwan Ministry of Foreign Affairs, Taiwan's Foreign Minister Joseph Wu speaks during a press conference in Taipei, Taiwan on Tuesday, Aug. 9, 2022. Wu on Tuesday sa ...
Taiwans Außenminister Joseph Wu.Bild: Taiwan Ministry of Foreign Affairs

Das kritisiert Taiwans Außenminister Joseph Wu. "Chinas wahre Absicht hinter diesen militärischen Übungen ist es, den Status quo in der Straße von Taiwan und der gesamten Region zu ändern", sagte Wu am Dienstag. Die großangelegten militärischen Übungen, Raketenstarts und Cyberangriffe hätten auch das Ziel, die öffentliche Moral auf der Insel zu schwächen.

Ein psychologischer Krieg hat also bereits begonnen.

Russland verliert täglich mehr Soldaten als es rekrutieren kann

Im August hat der russische Präsident Wladimir Putin die Prämien für neue Soldat:innen deutlich erhöht. Ziel war es, mehr Rekrut:innen für den Krieg zu gewinnen. Mittlerweile bekommen die Anfänger:innen eine Pauschalzahlung von 400.000 Rubel (etwa 3700 Euro).

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