Der Start von Liz Truss als britische Premierministerin ist nicht nur steinig, es liegen sogar ganze Brocken auf ihrem Weg. Nun erschüttert erneut ein politisches Erdbeben die Insel. Wie lange kann sich Truss noch auf den Beinen halten?
Der Politikwissenschaftler Roland Sturm ahnt nichts Gutes: "Es ist relativ wahrscheinlich, dass Truss die nächsten Tage politisch nicht überleben wird," sagt der Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen zu watson. Der Brite Anthony Glees teilt diese Meinung. "Das Ansehen von Truss ist am Tiefpunkt, sowohl im Land als auch in ihrer eigenen Partei", sagt er im Gespräch mit watson. Glees lehrt und forscht an der Universität Buckingham. Ihm zufolge hat Truss die niedrigste Zustimmung britischer Premierminister:innen aller Zeiten.
Doch von vorne, was ist passiert?
Nur anderthalb Monate nach dem Amtsantritt steht Truss vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. "Steuersenkung" war das große Versprechen an ihre Wähler:innen. Sie kann es nicht einhalten. Für dieses Versagen musste der Finanzminister Kwasi Kwarteng sein Amt niederlegen. Jeremy Hunt soll das Ansehen der konservativen Tory-Partei retten und das Land vor einer Krise bewahren. Dabei sind seine Maßnahmen wie ein Schlag ins Gesicht für Truss.
Der neue Finanzminister Hunt macht so gut wie alle von Truss angekündigten Steuererleichterungen rückgängig. Sogar die Laufzeit des staatlichen Energiepreisdeckels wurde von zwei Jahren auf sechs Monate verkürzt. Die Regierung steht vor dem Problem, den Haushalt zu finanzieren. Dabei gibt es laut Politikwissenschaftler Sturm nur zwei Wege:
Eben diese beiden Wege will Hunt einschlagen. Diese Sparpolitik wird Sturm zufolge auf wenig Zustimmung in der Bevölkerung treffen. Schließlich befindet sich auch Großbritannien inmitten einer Energiekrise. Und die Folgen des Brexits kommen noch dazu. Laut dem britischen Experten Glees ist durch den Brexit die Wirtschaft in Großbritannien um 5,25 Prozent in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt geschrumpft. Die britischen Exporte in die EU seien dramatisch zurückgegangen.
Angesichts dieser Krisenlage sei die misslungene Wirtschaftspolitik der Premierministerin fatal. Glees zufolge kann der von ihr verursachte wirtschaftliche Schaden nicht rückgängig gemacht werden.
Inzwischen wird offen über einen baldigen Rücktritt von Truss spekuliert.
"Truss ist im Amt, aber nicht an der Macht", sagt Glees. Seiner Meinung nach ist es nur eine Frage, "wann" sie abgesetzt wird, nicht "ob". Ihr fehle es an jeglicher politischer Autorität. Dabei beschreibt Glees eine Szene im Parlament am Montag:
Dabei ist die 47-jährige Chefin der Konservativen erst seit Anfang September im Amt. "Sie wollte unbedingt Premierministerin werden, hat aber kein Konzept", sagt Sturm. Sie habe nicht bedacht, wer für die Schulden zahlt, die durch ihre Steuersenkungen entstanden wären. Darauf haben die Finanzmärkte reagiert. Glees zufolge befindet sich das Vereinigte Königreich heute in einer beispiellosen Krise, schlimmer als die Weltwirtschaftskrise von 2008.
"Truss hat diese radikalen Ideen gehabt, die nichts als eine Krise herbeigerufen haben", meint Sturm. Dafür hat sie sich mittlerweile entschuldigt. Im Interview mit der BBC sagt sie:
Die Regierung sei bei den geplanten Reformen "zu schnell, zu weit gegangen". Den Rücktrittsforderungen erteilt Truss eine Absage. "Ich werde auf meinem Posten bleiben, um meine Verpflichtungen im nationalen Interesse zu erfüllen", sagt sie.
"Truss hat alles gegeben, diesen Traumjob zu erhalten. Sie kann nicht loslassen", sagt Sturm. Es sei eine persönliche Sache für sie. Doch laut Sturm erhält sie nicht mehr viel Unterstützung – auch aus den eigenen Reihen. Ihr Steuersenkungspaket hatte zu Kopfschütteln und heftigem Unmut in der konservativen Regierungspartei geführt.
Schließlich hat sie Sturm zufolge mit ihrer Politik die "Wirtschaftskompetenz" der Partei verspielt – das Aushängeschild der Tories. Nun müsse diese "Kernkompetenz" wieder hergestellt werden. Folgende Politiker:innen könnten laut Sturm Truss ablösen:
Laut Glees hat Truss jegliche politische Glaubwürdigkeit verloren. Und das zu Recht, wie er meint. Weiter sagt er:
Die berühmte ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher, auch als "Eiserne Lady" bekannt, schaffte es damals, die Steuern zu senken. Diesem Vorbild wollte Truss folgen, doch laut des britischen Experten ist sie "done" – fertig.
(Mit Material der dpa)