Zwei SUV brennen lodernd auf dem Gelände eines Autohändlers im Münchner Ortsteil Westend. Die BMWs sind nagelneu – und brennen komplett aus. Die Feuerwehr kann nichts tun. Sie kann nur verhindern, dass sich das Feuer auf das Gebäude ausbreitet. Und auf andere Autos. Durch die sengende Hitze zerbersten dennoch zwei Fenster, auch andere Fahrzeuge werden beschädigt. Der Sachschaden: über 100.000 Euro.
Noch am selben Tag wird klar: Es handelte sich bei dem Vorfall nicht um einfache Brandstiftung einer:s versprengten Pyroman:en. Es war ein Anschlag. Unbekannte rechtfertigten die Tat laut "br.de" mit dem Vorgehen der Münchner und Berliner Staatsanwaltschaften gegen Klimaaktivist:innen.
Was aus dem Bekennerschreiben wohl außerdem hervorgeht: Statt wie die Letzte Generation, die zu zögerlichen Beschlüsse der Ampel zu kritisieren, haben es die Brandstifter:innen auf das gesamte System abgesehen. Zuständig für die Ermittlungen ist deshalb das Kommissariat für politisch motivierte Gewalt von links.
"Klimaterror", "Klima-RAF" und "Klima-Armee-Fraktion" sind nur einige der Urteile, die sich in den sozialen Medien zu diesem Anschlag finden. Klar ist, dass nicht die Klimabewegung als solche den Brandanschlag verübt hat.
Fridays For Future beschränken sich prinzipiell auf die Protestform der Demonstration. Die Protestform der Letzten Generation etwa beinhaltet in der Regel Klebstoff, um die Hände der Akteur:innen am Straßenbelag oder an Kunstwerken festzukleben. Oder aber Farbe, um Luxusshops, Privatflugzeuge oder Parteizentralen einzufärben. "Ende Gelände" währenddessen sorgt regelmäßig auf Großdemonstrationen in Kohleregionen wie Lützerath für Aufsehen.
Aber wie viel extremistisches Potenzial steckt tatsächlich in den Bewegungen der Klimaaktivist:innen? Der Frage widmet sich ein neuer Studienband des Europäischen Instituts für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP).
Acht Wissenschaftler:innen haben sich dafür der Fragestellung aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln genähert. Konkret geht es in den Arbeiten sowohl um das Radikalisierungspotenzial der Protestbewegung als auch um die Protestformen, die Aktivist:innen wählen.
Theoretisch, meint Terrorismusforscher Nicolas Stockhammer – Herausgeber der Studie – wäre es möglich, dass sich die Klimabewegung extremistisch zuspitzt. Konkret wären hierfür aus seiner Sicht zwei Strategien möglich: die Entstehung von gewaltbereiten Splittergruppen oder die Unterwanderung durch linksextremistische Akteur:innen.
Er stellt aber auch klar: Derzeit ist eine Entstehung einer Klima-RAF nicht abzusehen. Allerdings sei zu erwarten, dass sich die Gruppierung verändern wird, sollte das Gefühl aufkommen, dass der Protest nicht ausreicht. Auch Protestforscher Wolfgang Kraushaar hält es nach aktuellen Erkenntnissen für unwahrscheinlich, dass aus der Letzten Generation ein bewaffneter Kader hervorgeht – wie eben die linksextremistische Terrorgruppe RAF.
Es bestünden durchaus Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gruppierungen, schreibt Kraushaar. Er nennt unter anderem die körperbetonten Praktiken: Die Mitglieder der Letzten Generation kleben sich mit ihren Händen fest, beide Gruppen sind in Hungerstreiks getreten. Außerdem teilten die Vereinigungen einen ausgeprägten politischen Fundamentalismus und die Überzeugung, dass es um Leben und Tod geht.
Die RAF und Letzte Generation teilten sich außerdem das Ziel, die Gesellschaftsordnung zu umgehen. Im Fall der Letzten Generation, indem eine repräsentativere Demokratie gefordert wird. Die RAF, indem sie das ganze System stürzen wollte.
Aber: Im Gegensatz zur RAF stehe die aktivistische Klimaschutzbewegung mit ihren Forderungen nicht konträr zur Zielsetzung der deutschen Politik. Denn die Ampel bekennt sich zu dem Ziel, die Klimakrise einzugrenzen – aus Sicht der Gruppierung tun die Politiker:innen nur zu wenig dafür. Dadurch besteht die Möglichkeit, "doch noch zu Gemeinsamkeiten bei der Rettung des Klimas zu gelangen".
Dass Aktivist:innen und Politik dasselbe Ziel verfolgen, ist ein Punkt, den auch Oliver Ott und Armin Pfahl-Traughber in ihrer Analyse anführen. Bei der Letzten Generation gehörte ziviler Ungehorsam zur kontinuierlichen Praxis – dieser gehe aber nicht über die Grenzen der Verfassung hinaus.
Anders verhalte sich das beispielsweise bei "Ende Gelände" – ein Bündnis, das regelmäßig Aktionen gegen Kohleabbau organisiert. Dort zeige sich ein "systemüberwindendes und transformatives Selbstverständnis".
Allerdings fürchten auch Ott und Pfahl-Traughber, dass sich die Letzte Generation radikalisieren könnte, sollten Erfolge ausbleiben oder zu gering ausfallen. Politikwissenschaftler Eckhard Jesse schätzt bislang "Ende Gelände" als die radikalste Bewegung ein.
Er sieht das Potenzial, dass sich linksextreme Gruppierungen mehr und mehr auch unter andere Klimaschutz-Gruppierungen mischen. Es sei allerdings auch möglich, dass durch Debatten über die umstrittenen Mittel der Protestbewegungen "der Komplex stärker ins Bewusstsein gerät und gemäßigte Positionen Zulauf erfahren".
Die meisten der Wissenschaftler:innen kommen in ihren Beiträgen zu dem Schluss, dass die deutschen Klimaschützer:innen bisher insgesamt kein extremistisches Potenzial erreicht haben – in Zukunft könnte sich das aber ändern und zu gewaltbereiten Splittergruppen führen. Die Betonung liegt auf "könnte". Denn genau vorhersagen, wie sich die Klimabewegung tatsächlich weiterentwickeln wird, lässt sich natürlich nicht.
Im Übrigen sieht auch der Verfassungsschutz bislang keine Notwendigkeit, die Letzte Generation zu beobachten. Der Präsident Thomas Haldenwang erklärte dazu kürzlich:
Auch er sagt aber, dass es extremistische Gruppierungen gebe, die die Klimabewegung unterwandern könnten – das behalte der Verfassungsschutz im Auge. Einige Aktivist:innen von "Ende Gelände" habe der Inlandsgeheimdienst auch schon heute im Blick.
Um der Möglichkeit zu entgehen, dass sich ein Klimaextremismus etabliert, rät beispielsweise Stockhammer aber dazu, eine undogmatische und offene Debatte über die Klimakrise zu führen – und so zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.