Die AfD hat mittlerweile viele Sympathisanten – und holt die Menschen in den sozialen Medien ab.Bild: AP / Markus Schreiber
Analyse
Bei der AfD läuft's aktuell nicht nur – es rennt geradezu. Neben den Umfragen, in denen die Rechtspopulist:innen aktuell Ergebnisse zwischen 18 und 20 Prozent einfahren, hat die Partei mit Robert Sesselmann nun auch ihr erstes Landratsamt gewonnen.
Die AfD räumt ab. Um mit potenziellen Wähler:innen zu kommunizieren, nutzt sie schon lange nicht mehr die klassischen Medien. Die Populist:innen sind seit Jahren die Partei, mit den meisten Facebook-Follower:innen. Auch auf Youtube hat der Channel der AfD mit 211.000 rund zehnmal mehr Abonnent:innen, als die der anderen Parteien.
Auf Tiktok sieht die Sache ähnlich aus: Hier hat die AfD-Bundestagsfraktion 203.100 Follower:innen. Und die anderen Parteien? Die Bundestagsfraktionen von SPD (79.500), FDP (33.900) und Linken (26.600) stinken sogar gegen die AfD Sachsen mit ihren 93.900 Fans ab. Die CSU liegt mit ihren 126.200 Follower:innen immerhin noch vor dem Landesverband.
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Die AfD ist also auch auf Tiktok Vorreiterin. Und dort erreicht sie naturgemäß vor allem junge Menschen. Wie wichtig die sozialen Medien für die Meinungsbildung gerade dieser Gruppe sind, erklärte der Politikberater Johannes Hillje bereits in einem früheren Gespräch mit watson.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) warnt bei Tiktok vor Echokammereffekten. Das liegt an dem Algorithmus, der sehr konkret filtert, was angezeigt wird. "Nutzende suchen selten aktiv aus, welche Inhalte sie sich ansehen, sondern konsumieren diese eher passiv", schreibt die BpB.
So werde die Einordnung von gesehenen Inhalten erschwert. Die Kürze der Videos mache es außerdem schwer, politische Inhalte in ihrer Komplexität rüberzubringen. Trotzdem:
"Abgesehen davon bietet die Plattform enormes Potenzial, um zumindest das Interesse an politischen Sachverhalten mittels 'snackable Content' zu wecken."
Und was genau verbreitet die AfD auf Tiktok? Scrollt man durch den Feed zeigt sich schnell: Es handelt sich primär um Ausschnitte aus Bundestagsreden oder Pressekonferenzen.
Einen Bundesparteiaccount hat die AfD übrigens nicht mehr – dieser wurde von Tiktok 2022 gesperrt und ist seither nicht wieder freigegeben worden. Laut einer Recherche von "Die da Oben!" liegt die Sperre daran, dass die AfD gegen die Tiktok-Richtlinien verstoßen hat. Und zwar, indem sie Hassreden verbreitet habe.
Stattdessen gibt es aber eine Vielzahl an Landesverbands- und Fraktionsaccounts.
Krah und von Storch versuchen sich als Influencer
Außerdem produzieren diverse AfD-Politiker:innen Content für ihre eigenen Tiktok-Profile. Zum Beispiel Maximilian Krah und Beatrix von Storch.
Auffällig bei Krah: Zu Beginn seiner Tiktok-Karriere hat auch er primär Ausschnitte aus Reden auf der Plattform zweitverwertet. Mittlerweile dreht er aber offensichtlich extra Content. Darin klärt er seine Fans darüber auf, wieso Deutschland so wie es aktuell regiert wird, seiner Auffassung nach nicht läuft. Klassische AfD-Propaganda.
In anderen Videos gibt er seiner Community aber auch Tipps, zum Beispiel, wie sie eine Freundin finden können, wenn sie noch nie eine hatte. "Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten – dann klappt's auch mit der Freundin", erklärt Krah.
Und auch das AfD-Urgestein Beatrix von Storch hat mittlerweile ihre ersten Schritte zur Influencerin gemacht. Neben Reden finden sich auf ihrem Profil nun auch klassische Tiktok-Videos: Mit Musik hinterlegt flaniert die Rechtspopulistin beispielsweise durch die Windungen des Jakob-Kaiser-Hauses im Regierungsviertel in ihr Wochenende.
Doch was erreicht die Partei mit ihrer Präsenz und Reichweite? Und wie müssten andere Parteien darauf reagieren?
AfD löst sich von Tiktok-Logik
Auffällig ist, meint der Politikberater Martin Fuchs auf watson-Anfrage, dass sich die AfD von den "Logiken der Plattform emanzipiert hat." Damit meint Fuchs, dass viele der erfolgreichen Inhalte Zweit- und Drittverwertungen von anderen Plattformen wie Facebook sind. Etwa die Videos von Reden, die in Parlamenten gehalten und extra so geschrieben wurden, "damit sie auch auf Social ballern".
Im Zusammenhang mit der AfD spricht Fuchs von einer "Facebookisierung von Tiktok", denn die Videos entsprächen nicht dem klassischen Tiktok-Format. "Das zeigt, dass der Inhalt zieht und nicht das Format", meint Fuchs. Diese Herangehensweise sei effizient, denn so brauche die Partei keine extra Ressourcen für ihren Tiktok-Auftritt. Sie habe dadurch außerdem ihren eigenen Wiedererkennungswert geschaffen.
Und auch wenn zu sehen sei, dass der Inhalt nicht zur Plattform passt, erklärt Fuchs in dem Video von "Die da Oben!", zeige das eine enorme Authentizität. Wovon die AfD laut der Recherche außerdem profitiert: Drittaccounts, die die Videos weiterverbreiten.
Drittaccounts sind Multiplikatoren, die nicht zur AfD gehören – zumindest nicht offiziell. Wer am Ende wirklich hinter dem Account steckt, ist nicht ersichtlich. So aber werden die Videos weit verbreitet und gehen viral. Die Partei sowie einzelne Politiker:innen haben zudem Fan-Accounts.
"Die da Oben!" zitiert die AfD in diesem Zusammenhang: "Ein Austausch mit Drittaccounts besteht nicht, es existiert auch kein Kontakt zu solchen." So macht sich die Partei frei von den Inhalten, die ihre "Fans" produzieren.
Laut der Recherche von "Die da Oben!" ebenfalls auffällig: Diverse AfD-Politiker:innen nutzen Accounts, auf denen nicht ersichtlich wird, dass sie Teil der AfD sind. Auch hier wird der Algorithmus genutzt, um unauffällig Inhalte auf den For-you-Pages von Nutzer:innen zu platzieren.
Ob das alles am Ende auf den Wahlerfolg einzahle, sei schwer nachzuvollziehen. Denn die Videos würden nicht zielgerichtet in einzelnen Wahlkreisen ausgespielt, sondern gingen bundesweit viral. Trotzdem: Der erfolgreiche Auftritt führe natürlich dazu, dass die Partei an Bekanntheit und Vertrauen zulegt. Sie könnte so außerdem die junge Zielgruppe mobilisieren.
Eine Einschätzung, die auch der Social-Media- und Politikexperte Bendix Hügelmann teilt. Er erklärt auf watson-Anfrage: "Eine Präsenz auf der Plattform zahlt erstmal auf die Sichtbarkeit der Partei in der jeweiligen Zielgruppe ein." Sei ein solcher Account dann auch noch gut gemacht, trage das positiv zur Markenbekanntheit und Relevanz in der Zielgruppe bei. Wähler:innenstimmen ließen sich davon nicht zwingend ableiten. Aber:
"Andererseits gibt es Grund zur Annahme, dass sich Social-Media-Accounts von Politikern positiv auf die Bewertung ebendieser Politiker auswirken. Und das hat dann wiederum Einfluss auf die Wahlentscheidung."
Demokratische Parteien müssen Umgang mit Tiktok lernen
Ein Learning, das die demokratischen Parteien aus dem Auftritt der AfD mitnehmen können, meint Fuchs, sei es, die Nutzer:innen von Tiktok ernst zu nehmen. Und zwar mit Inhalten, die die Lebenswirklichkeit spiegeln. Nehmen die Politiker:innen an Tiktok-Challenges teil, wirke das hingegen eher "cringe". Fuchs stellt aber klar:
"Der populistische Ansatz, die Zuspitzung, die Provokation und die teilweise Desinformation, die ebenfalls Teil der Videos sind, dürfen allerdings nie Blaupause für Demokrat:innen werden."
Wie die demokratischen Parteien mit eben diesen populistischen Inhalten der AfD umgehen sollten? Aus Sicht von Fuchs nicht, indem sie die AfD-Videos stitchen und einordnen. So würden diese nur aufgewertet.
Der SPD-Politiker Lutz Liebscher aus Thüringen sei zwar mit seinem AfD-Bashing auf Tiktok erfolgreich, Fuchs geht aber nicht davon aus, dass das reicht, um ein nachhaltiges Vertrauen in die eigene Partei aufzubauen.
Wichtiger wäre es, meint der Experte, dass auf "der Plattform positive und konstruktive Angebote der demokratischen Parteien für die Probleme der Zeit gemacht werden." SPD, Grüne, FDP, Union und Linke müssen also mit ihren eigenen Accounts zeigen, warum sie die bessere Option sind.