Ein Traumziel für Reisende: Einmal durch die historischen Gassen von Havanna streifen. Die Lebenslust der Kubaner:innen spüren, zu den Rhythmen von Rumba oder Mambo tanzen, nebenher Rum und kubanische Zigarren genießen.
Am Abend den Sonnenuntergang an den blütenweißen Stränden mit türkisblauem Wasser bestaunen. Auf den Straßen leuchten die museumsreifen und bonbonfarbenen Chevrolets aus den 1940er und 1950er Jahren.
Der Karibikstaat ist bunt, laut und besitzt eine einzigartige Geschichte. Es könnte wohl ein Paradies auf Erden sein – doch es gibt reichlich Probleme.
"Wir haben Hunger" skandierten am 17. März die Menschen in der Stadt Santiago de Cuba im Osten des Landes. Seit der Revolution um Fidel Castro von 1959 steckt Kuba in einer der schwersten Wirtschaftskrisen. Es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten und Kraftstoff.
Ständig müssen die Kubaner:innen mit Stromausfällen und Lebensmittelknappheit auskommen. Das zehrt an ihren Nerven, obwohl die Menschen mittlerweile "krisenerprobt" seien, meint Politikwissenschaftler Günther Maihold im Gespräch mit watson. Er forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und lehrt als Professor an der Freien Universität Berlin. Sein Schwerpunkt: Lateinamerika.
Die Gründe, warum es so schlecht um Kubas Wirtschaft steht, sind laut Maihold vielfältig. Am Ende sei es ein "strukturelles Problem, dass die Regierung die kubanische Bevölkerung nicht selbst versorgen könne". Etwa durch die mangelnde Energieversorgung, die sich auf die Produktion von Lebensmitteln auswirke. "Es mussten alte, russische Kraftwerke vom Netz genommen werden, weil sie abgenutzt sind", sagt er.
Zudem habe das Land zu viel in den Tourismus investiert und damit auf die falsche Karte gesetzt.
Während der Corona-Pandemie brach der Tourismus-Sektor in Kuba gravierend ein. Bis heute seien diese Folgen im Land spürbar, sagt Politikwissenschaftler Bert Hoffmann auf watson-Anfrage. Er forscht am GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg.
Der Tourismus sei der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Hinzu kommt laut Hoffmann das seit mehr als 60 Jahren geltende Handelsembargo des Nachbarlandes USA. Das alles kombiniert mit den "strukturellen Defiziten einer sozialistischen Wirtschaft, deren Reform immer wieder verzögert worden und bislang Stückwerk geblieben ist", führe zur Wirtschaftsmisere Kubas.
Zur Erinnerung: Kuba ist ein zentralistisch organisierter, sozialistischer Inselstaat. Nach Aussage des "Auswärtigen Amts" ist die führende Rolle der Kommunistischen Partei (PCC) per Verfassung festgeschrieben. "Der Staat bezieht seine Legitimität aus der Revolution von 1959 unter Castro sowie der Abgrenzung zu den USA und deren harter Sanktionspolitik", heißt es.
Auch heute liegt Hoffmann zufolge der Tourismus immer noch bei ungefähr der Hälfte des Vor-Pandemie-Niveaus. "Die wirtschaftliche Misere sowie US-Sanktionen schrecken auch weiterhin Tourist:innen ab, sodass eine volle Erholung nicht in Aussicht ist", prognostiziert er. Eine Aussage, die auch Lateinamerika-Professor Eric Hershberg von der American University teilt.
Laut ihm wird sich der Tourismus in absehbarer Zeit nicht erholen. Gründe sieht er etwa in Engpässen bei Treibstoff und Lebensmitteln, Stromausfällen und der Entscheidung der Biden-Regierung, Kubas Status als "staatlicher Sponsor des Terrorismus" zu verlängern. Das schreckt seiner Meinung nach EU-Bürger:innen erheblich davon ab, auf die Insel zu reisen.
Hershberg geht davon aus, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Kuba weiter verschlechtern werden. Das wiederum werde die Proteste der "erschöpften und verärgerten Bürger" noch mehr anheizen. "Ich nehme an, dass die Behörden die Proteste gezielt staatlich unterdrücken und die Internetkommunikation zeitweise blockieren, um die politische Kontrolle zu behalten." Zur Erinnerung: Protestieren in Kuba, vor allem gegen die Regierung, ist nicht ungefährlich.
"Die Not macht sie mutiger", meint Maihold. Sprich, die Bereitschaft wachse, Kritik zu üben. "Die Kommunikation zwischen der Bevölkerung und der Politik funktioniert nicht, beziehungsweise wollen die Menschen die Missstände nicht mehr hinnehmen", führt der Experte aus. Was ihm auffalle, ist, dass die Partei immer mehr ins Schussfeld gerät. Das Missmanagement der Politik kann auf Dauer nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.
Bereits 2021 kam es zu Protesten der Zivilbevölkerung gegen die Kommunistische Partei Kubas. Auch damals der Grund: Mängel in der Stromversorgung wie auch bei Essen und Medikamenten. Seitens der Regierung werden aufkommende Löcher einfach gestopft, sagt Maihold, ohne die eigentlichen Ursachen zu beheben. Das heißt: Es ist ein ständiges Beseitigen von Notsituationen.
"Das ist die Überlebensstrategie der Kommunistischen Partei: sich relativ erfolgreich bis zur nächsten Krise über Wasser zu halten", sagt Maihold. Am Ende brauche Kuba einen "Strukturwandel", den die Regierung aus politischen Gründen abwehrt.
Stattdessen eilt der große Bruder Russland immer wieder zur Hilfe, schickt etwa Treibstoff und Lebensmittel.
Ob der Kreml die missliche Lage Kubas ausnützen könnte, um es auf eine politische Eskalation mit den USA anzulegen, verneint Maihold. "Russlands Interesse ist es, das System am Laufen zu halten. Auch die USA gehen hier von keiner russischen Eskalation der Lage aus", sagt er.
Laut Hershberg ist klar, dass die USA nicht gewillt sind, die Politik zu lockern, die den lebenswichtigen Tourismussektor zerstört und die gesamte kubanische Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht. "In den USA ist Kuba immer ein Wahlkampf-Thema, von daher ist von dem Land derzeit kaum eine positive Rolle zu erwarten", sagt Hoffmann.
Auch er betont, dass die Regierung hier und da mit Hilfslieferungen Löcher stopfen könne, "aber für eine systematischere Antwort bräuchte es eine neue Dynamik bei den Reformen und eine weitergehende Öffnung zu einer Gesellschaft, die das Vertrauen in die staatlichen Akteure verloren hat", meint der Politikwissenschaftler Hoffmann.
Die Proteste seien aufgestauter Frust, der sich entlädt. Allerdings habe die Regierung bislang nicht mit massiver Repression darauf reagiert.
"Die Regierung ergreift keine Strafmaßnahmen gegen Menschen, die an solchen spontanen Demonstrationen teilnehmen, wenn sie friedlich bleiben", erklärt Politikwissenschaftler William LeoGrande von der American University. Sein besonderes Augenmerk liegt etwa auf Kuba.
Seit 2021 gab es laut ihm mehr als hundert solcher Demonstrationen mit nur einer Handvoll Verhaftungen, wenn es zu Gewalt kam. Kurzfristig habe die Regierung nur sehr wenige Möglichkeiten, etwas zu ändern. Denn: Laut LeoGrande hat Kuba schätzungsweise 40 Prozent seiner Deviseneinnahmen verloren.
Er führt aus:
Die USA könnten laut ihm eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um die derzeitige humanitäre Krise zu lindern, etwa:
Die Menschen seien von den Nöten, die sie ertragen müssen, erschöpft – da helfen weder sonnige Traumstrände noch die erhellenden Klänge des Mambos.