Frankreich setzt auf Atomenergie. Präsident Emmanuel Macron könnte sich verzetteln und Wladimir Putin in die Karten spielen. bild: Imago/ABACAPRESS, ITAR-TASS; Getty/Evgeny Gromov, grebeshkovmaxim, Shaperstock
Analyse
Im April 2023 sind die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen. Frankreich hingegen setzt massiv auf Atomenergie. Insgesamt betreibt das Land 56 aktive Reaktoren, 14 weitere könnten folgen.
Frankreich sieht darin einen Weg, Kohlekraftwerke zu ersetzen und die CO2-Emissionen zu senken. Allgemein sehen pro-nukleare EU-Mitgliedstaaten in der Kernenergie auch die Chance, der Energieabhängigkeit von Russland zu entkommen.
Doch es ist kompliziert.
Atomenergie bedeutet Abhängigkeit von Uran. Und genau an dieser Stelle könnte Russland indirekt Einfluss auf Frankreichs Energiesektor nehmen.
In Frankreich sind derzeit 56 Reaktoren aktiv.Bild: EPA / Christophe Karaba
Frankreichs Atomenergie: Ohne Uran läuft nichts
Uran kommt in der Erdkruste vor und wird hauptsächlich im Untertagebau gewonnen. Das chemische Element ist für die Kernenergie essenziell, denn es dient als Brennstoff in Kernreaktoren. Uran ist weltweit sehr ungleichmäßig verteilt, sodass einige Länder ein Riesen-Geschäft mit der Ressource machen – so wie Kasachstan.
Das zentralasiatische Land weist die größten Uranexporte und -reserven auf. 2022 produzierte Kasachstan mit 43 Prozent den größten Anteil des weltweiten Uran-Angebots, berichtet die "World Nuclear Association". Schätzungen zufolge geht rund die Hälfte des kasachischen Urans nach China, während der Rest unter anderem nach Europa und in die USA exportiert wird.
Auch Frankreich zählt zur Kundschaft.
In den vergangenen zehn Jahren, das berichtet "Le Monde", stammten die 88.200 Tonnen Natururan, die nach Frankreich importiert wurden, hauptsächlich aus drei Ländern:
- Kasachstan (27 Prozent)
- Niger (20 Prozent)
- Usbekistan (19 Prozent)
Drei Uran-Lieferanten, die vom russischen Einfluss nicht ganz frei sind.
Kasachstan ist als Uran-Lieferant nicht frei von Russlands Einfluss
Kasachstan steht politisch und wirtschaftlich Russland nahe. Umso überraschender war es, dass es sich im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nicht auf die Seite Russlands stellte. Die Regierung verdeutlichte, dass die russische Aggression politisch keine Unterstützung durch Kasachstan erfährt.
Expert:innen sprechen davon, dass der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew seine Grenzen mit dem Kreml austeste. Zudem wandelt sich die Bevölkerung. Vor allem viele jungen Kasach:innen reißen sich von Russland los.
Doch macht das Kasachstan zu einem zuverlässigen Partner? Dazu gibt Kate Mallinson von "Prism – Political Risk Management" und dem politischen Institut "Chatham House" einen Einblick.
In ihrem Bericht heißt es: Russland kontrolliert 25 Prozent der kasachischen Uranproduktion. Tokajew habe den Verkauf wichtiger Lizenzen stillschweigend genehmigt: "Ende 2022 erwarb Rosatom, das staatliche russische Atomunternehmen, einen Anteil von 49 Prozent an dem Unternehmen, das zwei Lizenzen für die Erschließung des riesigen kasachischen Uranfeldes Budenovskoye besitzt."
Das russische Atomkonglomerat Rosatom hat laut eigener Angabe Geschäftspartner in 50 Ländern.Bild: imago images / Pond5
Insgesamt habe Russland einen starken Einfluss auf die kasachische Uranindustrie, sagt der politische Risikoanalytiker Bryn Windsor auf watson-Anfrage. Auch er arbeitet bei "Prism". Laut ihm beeinflusst der Kreml indirekt die kasachische Uranproduktion, etwa über:
- Exportwege: Der größte Teil des kasachischen Urans wird über Russland exportiert, vor allem über den Hafen in St. Petersburg. Russland könnte den Transport jederzeit beeinflussen oder stoppen.
- Informellen Einfluss: Russland beeinflusst den Uransektor in Kasachstan mithilfe einer Reihe von Verbindungen zwischen russischen und kasachischen Eliten.
Der Erwerb der Lagerstätte Budenovskoye durch Rosatom sei der Inbegriff dieser "informellen Einflussnahme", meint er. Dabei handelt es sich um ein großes Geschäft: Die Reserven dieser Mine sind gigantisch. Das geht aus dem Kazatomprom-Bericht von 2023 hervor. Die Mine soll die größte Uranquelle der Welt werden.
Der Uranabbau in Kasachstan wird von mehr als einem Dutzend einzelner Bergbauunternehmen betrieben, die jeweils eine Lizenz zur Förderung erhalten haben.
"Einige dieser Bergbauunternehmen befinden sich zu 100 Prozent im Besitz von Kazatomprom, die meisten sind jedoch Joint Ventures (Anm. d. Red.: Kooperation mehrerer Unternehmen) zwischen Kazatomprom und einem oder mehreren ausländischen Partnern", sagt Wissenschaftler Yanliang Pan auf watson-Anfrage. Er forscht am James Martin Center for Nonproliferation Studies in Monterey in Kalifornien.
Kazatomprom ist das größte Uran fördernde Unternehmen der Welt mit Sitz in Astana in Kasachstan. 2022 förderte es 23 Prozent der weltweiten Gesamtmenge und führt damit vor Unternehmen aus Kanada (Cameco) und Frankreich (Orano). Auf Platz fünf steht Uranium One, eine Tochtergesellschaft von Rosatom, und diese ist laut Pan mit den Minen in Kasachstan gut vernetzt.
Er führt aus:
"Aus dem
Jahresbericht von Kazatomprom für 2022 geht hervor, dass die russische Uranium One 50 Prozent von Akbastau und Karatau, 49,98 Prozent von Zarechnoye, 30 Prozent von Khorasan-U und 70 Prozent von SMCC kontrolliert."
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Laut Windsor besitzt Rosatom derzeit Anteile an sieben Joint Ventures (JV) mit Kazatomprom. Die Reserven dieser Anlagen machen zusammen etwa die Hälfte aller Uranreserven in Kasachstan aus. "Da Rosatom an jedem JV einen Anteil von etwa 50 Prozent hält, können wir ungefähr sagen, dass Rosatom 25 Prozent des kasachischen Uransektors kontrolliert." Und damit bestimmt, was mit dem Uran geschieht.
Wie bei jedem Joint Venture bedeutet Pan zufolge Eigenkapital auch Gewinnbeteiligung. Es sei also durchaus möglich, dass Russland davon profitiert. "Allerdings ist Russland kein wichtiger Lieferant von Natururan für den Weltmarkt. Es exportiert hauptsächlich hochwertige Kernbrennstoffprodukte wie schwach angereichertes Uran und Kernbrennstoffbündel", sagt er.
Das heißt, Rosatom profitiere vor allem von der Verarbeitung des aus Kasachstan stammenden Natururans zu angereicherten Uranprodukten, die es dann unter anderem nach Europa exportiert. Das ist wiederum ein anderes weites Feld.
Es stellt sich die Frage: Verdient Russland daran, wenn Frankreich Uran aus Kasachstan bezieht?
Windsor meint: per se nicht. Russland erhalte jedenfalls keine finanziellen Vorteile. Zudem betont er, dass Rosatom und das französische Nuklearunternehmen Orano in Kasachstan in unterschiedlichen Joint Ventures tätig seien. "Die Franzosen und Russen arbeiten nicht zusammen."
Kasachstan gehöre aber zweifelsfrei zur Einflusszone Russlands, hebt der unabhängige Energie- und Atomkraftanalyst Mycle Schneider auf watson-Anfrage hervor. Er ist Koordinator und Herausgeber des jährlichen "World Nuclear Industry Status Report". Bei den anderen zwei Ländern, von denen Frankreich Uran importiert, sehe das nicht viel besser aus.
Auch bei Niger und Usbekistan hat Russland seine Finger im Spiel
Rechne man zu Kasachstan noch Usbekistan und Russland hinzu, so haben diese Länder 2021 über 40 Prozent der Natururanimporte in die EU ausgemacht, sagt Schneider. "Zählt man dann ein weiteres Krisengebiet hinzu, den Niger, kamen etwa zwei Drittel der Natururanimporte der EU aus 'unsicheren' Ländern."
Usbekistan gilt bis heute als enger Verbündeter Russlands, man äußerte "Verständnis" für die "Aktionen" Russlands in der Ukraine. Das zentralasiatische Land gilt als eines der repressivsten Regime der Welt. Menschenrechte, wie etwa freie Meinungsäußerung, sind stark eingeschränkt.
Und Niger?
Proteste in Niger: "Nieder mit Frankreich, lang lebe Putin".Bild: AP / Sam Mednick
2023 fand im westafrikanischen Land ein Staatsstreich statt. Laut eines Berichts des "Finnish Institute of International Affairs" (FIIA) gelten Nigers neue Militärführende als anti-westlich. Die globalen Lieferketten für Uran könnten demnach in Zukunft durchaus politischer und unberechenbarer werden.
Nach Mali und Burkina Faso verbündet sich auch Niger mit Russland – damit verliert Frankreich enormen Einfluss in Westafrika.
Bis zu 60 Prozent der weltweiten Uranproduktion könnten unter die Kontrolle Moskaus und von Ländern mit engen Beziehungen zu Russland fallen, heißt es weiter im FIIA-Bericht.
Frankreich könnte am Ende durch seine Atomenergiestrategie an der langen Leine Putins landen.