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Großbritannien: Asyl-Deal mit Ruanda produziert Tausende neue Flüchtlinge

FILE - M23 rebels stand with theirs weapons in Kibumba, in the eastern of Democratic Republic of Congo, Dec. 23, 2022. Aid organisations fear a new humanitarian crisis in the restive eastern Congo reg ...
Ruanda gilt als gefragter Gesprächspartner des Westens. Unterdessen treiben seine Milizen ihr Unwesen im Kongo.Bild: AP / Moses Sawasawa
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Wie Großbritanniens Asyl-Deal mit Ruanda Tausende neue Geflüchtete produziert

04.09.2024, 19:2504.09.2024, 19:28
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Im Juni 2022 trug sich am Londoner Flughafen Heathrow eine Geschichte wie aus einem Politthriller zu. Nach jahrelangen Debatten, Gerichtsprozessen und Gegendemonstrationen saßen sieben Asylsuchende, schwer bewacht von Grenzpolizisten, im Terminal des Airports und warteten auf den Flug in ihr neues Aufnahmeland.

Das Ziel hieß: Ruanda. Rund 300 Millionen Pfund hat Großbritannien dem Land in Ostafrika für die Aufnahme Asylsuchender überwiesen, dabei eine Verfassungskrise riskiert und einen Streit mit dem Europäischen Gerichtshof vom Zaun gebrochen.

Nach elfstündiger Verhandlung stoppte Europas höchste Instanz den Flieger noch auf dem Rollfeld. Seit dem Machtwechsel in London ist das Abschiebeprogramm eingemottet. Ruanda zahlte keinen Cent zurück. Was wurde aus den britischen Steuermillionen? Das Geld könnte andernorts für Hunderttausende neuer Geflüchteter sorgen.

Wie sich Ruanda 300 Millionen Pfund sicherte, ohne einen Finger zu rühren

Laut dem Experten Gerd Hankel könnte das Geld direkt oder indirekt einen Raubzug in einem anderen afrikanischen Land finanzieren: der Demokratischen Republik Kongo. Das Land ist reich an Bodenschätzen, aber seit Jahrzehnten von blutigen Bürgerkriegen zerrissen. Es gilt als Zielscheibe ruandischer Interessen.

"Das Ziel ist ganz klar, Vermögenswerte von West nach Ost zu verschieben", sagt Völkerrechtler und Ruanda-Kenner Hankel. Er schätzt, dass "einhundert Milizen im Ost-Kongo" aktiv sind, die mit Präsident Paul Kagame in Verbindung stehen.

09.04.2024, Gro�britannien, London: Rishi Sunak (l), Premierminister von Gro�britannien, empf�ngt Paul Kagame, Pr�sident von Ruanda, zu Gespr�chen in der Downing Street 10. Foto: Stefan Rousseau/PA Wi ...
Ehrengast in der Downing Street: Kagame beim Staatsbesuch in London mit Ex-Premier Rishi Sunak.Bild: PA Wire / Stefan Rousseau

Sie sollen Gold, Diamanten und andere Rohstoffe über die Grenze schaffen. Beim Kampf um die begehrten Ressourcen begeht die berüchtigte Miliz M23 regelmäßig Massaker und sorgt für "hunderttausende Flüchtlinge", wie der Forscher des Hamburger Instituts für Sozialforschung meint.

Ruanda, das mit Berggorillas, spektakulären Radstrecken und einem Sponsoring beim FC Bayern für sich wirbt, spielt in der Region ein doppeltes Spiel. Und die britischen Millionen könnte der einstigen deutschen Kolonie als Pokerchips dienen.

Berichte über Menschenrechtsverletzungen bestätigt Human Rights Watch. Die Rede ist von Mord, Vergewaltigung und Vertreibung. Im Ost-Kongo herrsche deshalb ein "großer Hass" auf Ruanda.

13.07.2024, Ruanda, Kigali: Ein Anhänger von Ruandas Präsident Kagame tanzt während seiner letzten Wahlkampfveranstaltung. Die Ruander stimmen am Montag (15.07.2024) in einer Wahl ab, die mit ziemlich ...
Nach dem Bürgerkrieg verwandelte sich in Ruanda die siegreiche Rebellenarmee in die Staatspartei.Bild: AP / Brian Inganga

Und das, obwohl ein Großteil der dortigen Bevölkerung ethnisch und sprachlich den beiden Volksgruppen Ruandas angehört. Diese "ruandophonen Kongolesen" geraten im Kampf um Land und Güter immer wieder in Lebensgefahr.

Der Bericht der Menschenrechtsorganisation schildert die Bemühungen der M23 um Kontrolle über Handelsrouten und Minen. Demnach liegen Beweise vor, wie Ruanda die Miliz mit neuen Waffen ausstatte. Über eine halbe Million Menschen mussten laut UN-Informationen im Zuge der Auseinandersetzungen fliehen.

Doppeltes Spiel: vom Genozid zum Urlaubsziel

Von außen betrachtet ist Ruanda ein "Leuchtturm der Entwicklung in Subsahara-Afrika", wie Hankel sagt. Nicht nur für westliche Partner ist das 14-Millionen-Einwohner-Land ein "eine Drehscheibe" für alles, was in der Region geschieht. Auch für China und die Golfnationen sei Ruanda ein geschätzter Handels- und Politikpartner.

Rund 30 Jahre nach dem blutigen Bürgerkrieg, der in drei Monaten 800.000 Tote forderte, leben heute die einst verfeindeten Ethnien der Hutu und Tutsi friedlich nebeneinander im "Land der tausend Hügel". Hankels Analyse: "Der Präsident und sein Zirkel spielen das Spiel der internationalen Diplomatie sehr geschickt."

A baby mountain gorilla in Bwindi Impenetrable Forest, Uganda, clings to its mother amid the dense vegetation. It is one of only 1,000 of the endangered apes left in the world
Wer Berggorillas in der freien Wildbahn sehen möchte, kann dies nur in Uganda und Ruanda tun.Bild: iStockphoto / Richard Gray

Zwischen Menschen christlichem und muslimischem Glaubens herrscht weitgehend religiöse Toleranz. Im Parlament stellt der Frauenanteil von über 60 Prozent einen Weltrekord dar, Plastiktüten sind seit 2008 verboten. Spätestens 2019 macht sich das Land bei der UNO Liebkind, als es Geflüchteten aus Libyen Asyl bot. Mehr als 2000 Asylsuchende fanden auf UN-Kosten Unterschlupf.

Britische Millionen: Hope Hostel oder Goldschürfen im Kongo?

Britische TV-Teams machten sich vor dem Abschiebestart ein Bild von den Unterkünften. Videos zeigen saubere, geräumige Hotelzimmer, mit einem "Koran auf jedem Zimmer" für die zumeist arabischstämmigen Asylsuchenden.

ARCHIV - 24.04.2024, Ruanda, Kigali: Ein Blick auf das Hope Hostel, einer der Orte, an denen die Asylbewerber aus dem Vereinigten Königreich in den nächsten zehn bis zwölf Wochen in Kigali, Ruanda, an ...
Im Hope Hostel sollten eigentlich Asylsuchende untergebracht werden.Bild: AP / Atulinda Allan

Inmitten "Afrikas sauberster Hauptstadt", Kigali, gelegen, sollten die Abgeschobenen im Hope Hostel unterkommen, ehe eine endgültige Lösung gefunden wurde. Alles bezahlt von britischen Steuergeldern. Weder britische noch ruandische Behörden äußerten sich zu Anfragen.

"In Kigali sind die Straßen sauber, die Häuser sauberer und die Mägen am saubersten."
Ruandisches Sprichwort

Dass 300 Millionen Pfund für dieses Hotel ausgegeben worden sind, glaubt Hankel nicht. Wohin genau das Geld geflossen ist, wird sich wohl nie endgültig klären lassen. "Ruanda ist immer noch ein armes Land, das jeden Euro und jedes Pfund braucht", erklärt der Völkerrechtler.

Auf dem UNDP-Index, der die Entwicklung eines Landes angibt, steht Ruanda auf Rang 161, vier Plätze hinter Syrien.

Die alte Leier: Der Befreier wird zum Unterdrücker

Wie das Land regiert wird, lässt das Wahlergebnis im Juli erahnen. Kagame, der vor 30 Jahren den Bürgerkrieg mit seiner Rebellenarmee stoppte, wurde mit 99,15 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt, das er seit 24 Jahren besetzt.

Den Status als Befreier nutzt die Diktatur gern: "Wenn Kritik von außen laut wird, spielt das Regime jedes Mal diese Karte." Beobachter fürchten, dass Kagame eines Tages von seiner Tochter beerbt wird, statt eine demokratische Öffnung zu ermöglichen. Bis dahin werde er aber "noch mindestens zehn Jahre regieren", schätzt Hankel.

People gather at the side of an explosion in a refugee camp on the outskirts of Goma, Democratic Republic of the Congo, Friday, May, 3, 2024. The Congolese army says a bomb at a refugee camp in easter ...
Bombenanschlag ein Flüchtlingscamp im Ost-Kongo. Verantwortlich: die M23.Bild: AP / Moses Sawasawa

Der Experte, der mehrere Arbeiten über den Konflikt zwischen Ruanda und dem Kongo veröffentlicht hat, beschreibt ein zentralistisches System, in dem "von oben nach unten die Parteilinie durchgegeben" wird: "Die Verantwortlichen in den Zellen, Bezirken und Distrikten müssen entsprechende Ergebnisse nach oben melden."

So wurden viele Bürger:innen vor der Wahl informiert, dass sie selbst nicht abstimmen müssten. Üblich ist vielerorts eine Praxis, in der Verwaltungsangestellte von Haus zu Haus ziehen und sich die Vollmacht zur Wahl geben lassen. Aussagen von Ruander:innen dazu liegen watson exklusiv vor.

Meinungs- und Versammlungsfreiheit existieren, "auf dem Papier. Aber wer sich offen zu Wort meldet, gilt als 'staatsgefährdend' und kann schnell für immer verschwinden". Hankel findet deshalb, dass die beste Beschreibung für Ruandas Staatsform "Militärdiktatur" sei.

Vorbild Libyen-Deal: Auch deutscher Politiker zeigt Interesse

Für die konservativen Tories, die in den letzten 14 Jahren regierten, stellten die Nachrichten über Gewalt, Unterdrückung und Wahlmanipulation offenbar keinen Grund zur Sorge dar.

Für den Ruanda-Deal wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Verfassungsrechtliche Bedenken beiseite gewischt, Hunderte Millionen Pfund überwiesen. Zuletzt wollten die Tories sogar aus dem europäischen Menschenrechtsabkommen aussteigen.

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Der Traum, mit der Abschreckungsmaßnahme endlich ein Allheilmittel gegen den stetigen Strom von Einwanderern zu finden, war Großbritannien sogar ein Gesamtpaket von 700 Millionen Pfund wert.

Allein ist Großbritannien damit aber nicht. Israel startete bereits 2018 ein ähnliches Programm, das wegen Veruntreuung aber schnell gestrichen wurde. Auch in der EU stieß der Deal auf Sympathien. Dänemark meldete Interesse an. Auch ein deutscher Politiker mischt sich unter die Interessenten: Jens Spahn von der CDU.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn CDU trifft den Premierminister von Ruanda, Edouard Ngirente, in Kigali am 04.10.2019 Kigali Ruanda Federal Health Minister Jens Spahn CDU meets Rwandan Prime Minis ...
Bereits 2019 besucht Spahn erstmals Ruanda, damals noch in Gesundheitsangelegenheiten.Bild: imago / Xander Heinl/photothek.net

Der Ex-Gesundheitsminister machte sich im Mai vor Ort ein Bild. Er begutachtete das Hope Hostel, ließ sich mit Staatschef Kagame ablichten und fand allerhand lobender Worte für den Gastgeber. Im Bundestag wirbt er trotz des britischen Debakels weiterhin für einen Asyl-Deal. Er nennt Abkommen mit Drittländern die "einzige humanitäre Lösung". Darauf zu verzichten, "sprengt unsere europäischen Gesellschaften".

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Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Meinungsfreiheit in dem Land massiv eingeschränkt. Die Repression in Russland erreichte damit eine neue Stufe: etwa mit vermehrten Verhaftungen von Kritiker:innen des Krieges ohne faire Prozesse, Verboten von kritischen Medienunternehmen und der massiven Einschränkung von bürgerlichen Freiheisrechten.

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