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Ukraine-Krieg: Putins Armee ist ausgepowert – eine Chance für Verhandlungen

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Ein Panzer der russischen Armee in Region Charkiw im Einsatz.Bild: www.imago-images.de / SNA
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Putins Armee ist ausgepowert: Das ist eine Chance für Verhandlungen

Die russische Armee erleidet im Ukraine-Krieg hohe Verluste an Mensch und Material. Ein Sicherheitsexperte hält baldige Verhandlungen für möglich, aber nur zu klaren Bedingungen.
16.08.2022, 12:2416.08.2022, 12:32
Peter Blunschi / watson.ch
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Seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor bald sechs Monaten verbreiten "Putin-Versteher" und Pazifisten das Narrativ, wonach die russische Armee eine unaufhaltsame "Feuerwalze" sei, mit einem fast unerschöpflichen Bestand an Soldaten und Waffen. Die Ukraine habe gegen sie keinerlei Chance, sie solle mit Putin verhandeln oder gleich kapitulieren.

Glaubwürdig war es nie. Erst blamierten sich die Russen beim Versuch, die Ukraine mit einem "Blitzkrieg" zu erobern. Man erinnert sich an den Dutzende Kilometer langen Konvoi Richtung Kiew, der zur Lachnummer verkam. Danach wechselten sie die Strategie. Sie setzten auf einen Vormarsch im Donbass, unterstützt durch Artillerie und Raketen.

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Auf der urainischen Halbinsel Krim ist Munition auf einem russischen Luftwaffenstützpunkt explodiert.Bild: Anonymous/AP / Uncredited

Damit gelangen den Russen einige Erfolge, zum Preis furchtbarer Zerstörungen. In letzter Zeit aber stockte die Offensive. Die Artillerie scheint an Feuerkraft eingebüßt zu haben. Gleichzeitig wurden Truppen vom Osten in die besetzten Gebiete im Süden verlegt. Offensichtlich nehmen die Russen die drohende ukrainische Gegenoffensive ernst.

Der Angriff auf der Krim

Sie haben allen Grund dazu. Der ukrainischen Armee ist es dank Waffensystemen wie den Himars-Raketenwerfern gelungen, die russische Logistik empfindlich zu treffen. Den spektakulärsten Erfolg erzielten die Ukrainer am Dienstag, als sie den Luftwaffenstützpunkt Saki auf der Halbinsel Krim mehr oder weniger in die Luft sprengten.

Offiziell hat sich Kiew nicht zum Angriff bekannt, doch Regierungsmitglieder bestätigten gegenüber westlichen Medien die Urheberschaft der Ukraine. Ob er durch Spezialeinheiten, Partisanen oder eine neuartige Lenkwaffe verübt wurde, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass es den Ukrainern gelang, tief im annektierten und okkupierten Gebiet zuzuschlagen.

Nichts läuft "nach Plan"

Russland behauptet entgegen den Indizien, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Solche Abwiegelungen sind nicht neu, sie wurden schon bei der Versenkung des Kreuzers "Moskwa" und bei der Rückeroberung der Schlangeninsel bemüht. Militärische Erfolge der Ukrainer passen nicht ins Bild einer "Spezialoperation", die "nach Plan" verläuft.

Die russischen Touristen auf der Krim, die die Explosionen hautnah miterlebten und teilweise panikartig die Flucht ergriffen, dürften einen anderen Eindruck bekommen haben. "Nach Plan" läuft nichts mehr. Russland erleidet hohe Verluste an Mensch und Material, während die ukrainische Armee dank westlichem Gerät an Schlagkraft zulegt.

Soldaten

Russland habe über 80 Prozent seiner Kampftruppen in der Ukraine zum Einsatz gebracht, schreibt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, in einem von der NZZ veröffentlichen Beitrag. Der Erfolg sei bescheiden, und nicht nur das: "Die Verluste an Mannschaften sind groß, das Berufsheer ist geradezu ausgedünnt."

Die US-Geheimdienste gehen von 15.000 toten Soldaten aus. Damit wären die Verluste schon jetzt doppelt so groß wie jene der USA in Afghanistan und im Irak. Unter den Getöteten befänden sich Tausende von Offizieren, "die jede Armee für einen reibungslosen Ablauf braucht", schreibt "Die Welt". Diese Lücke könne niemand in kurzer Zeit schließen.

Zum Einsatz kommen vermehrt Reservisten und "Freiwillige", die mit hohen Prämien geködert oder zwangsrekrutiert werden. Ihre Motivation dürfte überschaubar sein. Während ukrainische Freiwillige genau wissen, wofür sie kämpfen, lässt sich das von den Russen eher nicht behaupten. Sie sind Kanonenfutter und "sterben schnell", so Joachim Krause.

Waffen

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Zerstörte russische Panzer werden in Kiew ausgestellt.Bild: imago / ZUMA Wire

Beim Kriegsmaterial sieht es nicht besser aus. Die Russen hätten rund 60 Prozent ihrer "intelligenten" Raketen aufgebraucht, heißt es in der "Welt"-Analyse. Sie müssten vermehrt auf unpräzise, sogenannte "dumme" Geschosse zurückgreifen. Auch der vermeintlich riesige Vorrat an Artilleriemunition soll auf die Hälfte geschrumpft sein.

Entsprechend habe die Intensität der Angriffe im Donbass nachgelassen, berichtet die "Süddeutsche Zeitung" mit Verweis auf Satellitendaten der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Außerdem soll die russische Armee rund 1000 Panzer verloren haben. "Damit hat sich ein zentraler Bestandteil der russischen Kriegsführung erledigt", so die "Welt".

Gegenoffensive

Auf ukrainischer Seite wächst mit den Problemen der Invasoren die Zuversicht, eine Wende im Krieg herbeiführen zu können. Seit einiger Zeit ist die Rede von einer Gegenoffensive im Süden. Im Visier ist die Region Cherson westlich des Flusses Dnipro. Bereits sind den Ukrainern Schläge gegen die russischen Nachschublinien gelungen.

Mit dem Angriff auf der Krim vom Dienstag habe die Gegenoffensive begonnen, sagten zwei ukrainische Regierungsmitarbeiter gegenüber Politico. Westliche Beobachter sind skeptischer. Den Ukrainern fehle "noch die Feuerkraft, um wirklich große Offensiven zu leisten", sagte der deutsche Militärexperte Gustav Gressel am Donnerstag dem ZDF.

Er rechnet damit, dass es im Herbst so weit sein könnte. Es fragt sich, wie der Kreml in diesem Fall reagieren würde. Im Raum steht nach wie vor ein Einsatz von taktischen Atomwaffen. Außerdem scheint sich Russland um den Kauf iranischer Drohnen zu bemühen, wobei man sich fragen kann, warum das nicht viel früher geschehen ist.

Verhandlungen

Der Sicherheitsexperte Joachim Krause geht hingegen davon aus, dass Russland einen "Strategiewechsel" vorbereitet, um den Waffengang "erst einmal gesichtswahrend zu beenden". Hinweise dafür gibt es. Russland-Kenner interpretieren das unter türkischer Vermittlung unterzeichnete Getreide-Abkommen als Vorstufe zu Verhandlungen.

Ein Waffenstillstand wäre nicht schlecht, meint Krause, nur dürfe man die Fehler aus dem Minsk-Prozess nach 2014 nicht wiederholen. Er zieht zwei "knallrote" Linien, auf die der Westen bei Verhandlungen mit Moskau beharren müsse:

  • Eine Aufhebung von Wirtschaftssanktionen darf es nur dann geben, wenn sich Russland aus allen besetzten Gebieten vollständig zurückzieht.
  • Eine Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine darf nur dann erfolgen, wenn in einem transparenten und nachprüfbaren Prozess sichergestellt ist, dass Russland sich nicht für einen weiteren Waffengang rüstet.

Der zweite Punkt ist besonders wichtig, denn der Verdacht drängt sich auf, dass Wladimir Putin eine Waffenruhe nutzen würde, um seine ausgepowerte Armee aufzupäppeln und sich auf den nächsten Krieg vorzubereiten. Es ist kaum anzunehmen, dass der Kreml-Herrscher seinen Traum aufgibt, die Ukraine oder zumindest einen großen Teil davon zu erobern.

Putin setze darauf, dass vor allem in Deutschland angesichts der Euphorie über ein vorläufiges Kriegsende – und die Wiederaufnahme der Gaslieferungen – "die vielen Winkelzüge und das lang- und mittelfristige Kalkül Russlands übersehen werden", warnt Joachim Krause. Deshalb sollte "die Aufnahme der Rest-Ukraine in die Nato kein Tabu sein".

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