Am Donnerstagmorgen um 8.30 Uhr deutscher Zeit, wenige Stunden nach der Schließung der letzten Wahllokale in den USA, trat Präsident Donald Trump vor die Presse und erklärte sich selbst zum Wahlsieger. Mehr noch: Er kündigte an, die Auszählung weiterer Stimmen mithilfe der Gerichte zu stoppen, da er eine Wahlmanipulation befürchte. Dabei lag der Amtsinhaber zu diesem Zeitpunkt in den Hochrechnungen zurück: Bei den Auszählungen fehlten noch Millionen von Stimmen und nach Wahlmännern gerechnet lag er, unabhängig von der Quelle, ein gutes Stück hinter seinem Herausforderer.
Trump fordert also, regulär abgegebene Wählerstimmen nicht mehr zu zählen. Der amtierende Präsident der USA verhält sich so, wie es üblicherweise nur Autokraten tun. Seit seiner ersten Rede nach der Wahl versucht der US-Präsident immer wieder, auf Twitter die Rechtmäßigkeit der nach und nach ausgezählten Briefwahlstimmen anzuzweifeln. In einigen Staaten will Trump gerichtlich eine Neuauszählung der Stimmen durchsetzen.
Nach Informationen des Senders Fox News wird das Trump-Team bei seinem Auftritt in Las Vegas am Donnerstag (17.30 Uhr MEZ) eine Klage wegen Wahlbetrugs in Nevada ankündigen. Nevada ist einer der Staaten, in dem noch ausgezählt wird.
Das bringt zwei große Fragen mit sich:
Ulrich Battis ist Professor für Staatsrecht an der Humboldt-Universität in Berlin. Watson hat ihn gefragt, ob Donald Trump die Wahl noch mit rechtlichen Schritten beeinflussen kann.
Dass Stimmen neu ausgezählt werden, ist kein neues Phänomen, es passiert regelmäßig nach Wahlen. Auch in Deutschland kommt es vor, dass nach Wahlen neu ausgezählt wird. Allerdings geschieht das nicht willkürlich. Staatsrechtler Battis sagt:
Solche Anhaltspunkte könnten beispielsweise sein, dass Wahlzettel fehlerhaft wären – oder es zu Unstimmigkeiten bei der Stimmabgabe oder der Identifikation von Wählern gekommen sei. Auch bei Bundestagswahlen wurden deshalb in der Vergangenheit einzelne Wahlkreise noch einmal komplett neu ausgezählt. Näheres dazu regelt in der Bundesrepublik das Bundeswahlgesetz. In den USA sieht das allerdings anders aus:
Für Trumps Vorgehen, die Wahlergebnisse einzelner Bundesstaaten anzuzweifeln, steht ein Präzedenzfall Pate, bei dem ausgerechnet die Demokraten einen republikanischen Wahlsieg infrage stellten. Es kam zu einem Skandal, der in den USA vor zwanzig Jahren die Politik erschütterte und das politische Amerika bis heute spaltet:
Damals, bei der letzten Präsidentschaftswahl des vergangenen Jahrtausends, hatte der Demokrat Al Gore zwar prozentual die meisten Stimmen der US-Amerikaner gewonnen – aber der Republikaner George W. Bush mehr Wahlmänner auf seiner Seite. In Florida lag Bush nach der ersten Auszählung wenige hundert Stimmen vor Al Gore, was ihm den Wahlsieg und schließlich die Präsidentschaft bescherte. Jedoch war der Vorsprung von Bush derart gering, dass die Wahlleitung in Florida entschied, die Wahl nicht anzuerkennen und noch einmal auszählen zu lassen.
Es kam zu einem juristischen Hin und Her, das sich über Monate zog. Am Ende urteilte der US-amerikanische Supreme Court nach einem langen Streit zwischen den Institutionen. Er verhinderte eine erneute Auszählung, die Al Gore sehr wahrscheinlich das Präsidentenamt gesichert hätte. Kein Einzelfall, wie Staatsrechtler Battis weiß:
Gore verzichtete damals darauf, Berufung gegen die Entscheidung des Supreme Court einzulegen, um den sozialen Frieden im Land zu wahren. Er überließ George W. Bush das Präsidentenamt. Ein Schritt, der beim aktuellen US-Präsidenten Donald Trump eher nicht zu erwarten ist.
Dass Gerichte überhaupt darüber entscheiden, welches Wahlergebnis nun stimmt, ist laut Staatsrechtler Battis allerdings wichtig. Er sagt:
Allerdings ist es in vielen US-Staaten nur möglich, neu auszählen zu lassen, wenn der Unterschied zwischen den Kandidaten weniger als ein Prozent der Stimmen beträgt. Das ist nach aktuellem Stand bei den Präsidentschaftswahlen nur in Wisconsin, Georgia und Nevada der Fall. Außerdem halten es Experten für unwahrscheinlich, dass eine Neuauszählung der Stimmen in diesen Staaten ein signifikant neues Ergebnis liefern würde.
Bei der Wahl zwischen Al Gore und George W. Bush handelte es sich im Jahr 2000 um einige hundert Stimmen in einem einzigen Bundesstaat. Allein in Wisconsin müssten aber zig tausende Stimmen falsch gezählt worden sein, damit Donald Trump dort die Wahl gewinnt. Dass Trump durch eine reine Neuauszählung der Stimmen noch einmal zum Präsidenten gewählt wird, ist also unwahrscheinlich.
Eine andere Möglichkeit wäre, die verbleibenden Briefwahlstimmen für ungültig erklären zu lassen. Vor allem Wähler der Demokraten hatten aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus vorab abgestimmt. Deshalb begünstigen die nun eintreffenden Briefwahlstimmen in der Mehrheit Joe Biden.
Ein Grund für Donald Trump, am Wahlabend zu verlangen, die Auszählung der Briefwahlstimmen sofort zu beenden und ihn als Sieger zu erklären. Bundesstaaten wie Pennsylvania hatten zwar klargemacht, dass sie eingegangene Stimmzettel per Brief nur noch auswerten, wenn diese bis zum 6. November eingegangen sind. Einen sofortigen Stopp des Auszählens von Wahlzetteln – wie ihn der US-Präsident gefordert hat – hält Staatsrechtler Battis allerdings für ein Hirngespinst: