Es bleibt beim Alten – neue alte Parteivorsitzende, neuer und alter Streit und altbewährtes Chaos: Bei der Linken hat sich bisher wenig getan. Dabei sollte der Erfurter Parteitag, den die im Jahr 2007 gegründete Linke am Wochenende beging, eigentlich einen Aufbruch markieren.
"Auch das größte Arschloch lässt hier saubere Verfahren durchlaufen", sagte Pascal Meiser, Mitglied des Tagungspräsidiums, und zeigte somit – ob gewollt oder nicht –, dass das Chaos während der Tagung doch irgendwie auch wieder Ordnung finden musste. Wie auch die Partei selbst.
Die drei wichtigsten Erkenntnisse aus der Tagung am Wochenende hat watson für euch zusammengefasst:
Janine Wissler hatte sich bei ihrer Grundsatzrede am Freitagnachmittag bei allen Frauen entschuldigt, "denen Unrecht widerfahren ist" – damit reagierte sie auf Sexismusvorwürfe und Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen mehrere männliche Parteimitglieder. Wissler selbst war zu diesem Zeitpunkt mit einem der Beschuldigten liiert. Der Vorwurf gegen sie: Sie habe Täterschutz betrieben.
Wissler-Anhängerinnen und -Anhänger feierten sie, weil sie das Problem angesprochen hatte. Tatsächlich widmete sie diesem Thema in ihrer knapp 40-minütigen Rede nicht einmal ganze eineinhalb Minuten.
Vor allem die Jugendorganisation Solid stellt sich gegen die amtierende Parteichefin.
Bei der Generaldebatte mit dem Schwerpunkt "Kampf gegen patriarchalische Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus" kamen rund 20 junge Delegierte mit einem Transparent auf die Bühne. "Täterschutz zerschlagen" stand darauf. Sie lasen Berichte Betroffener vor.
Einen Tag später hielt Gründungsmitglied Gregor Gysi eine Rede vor den Delegierten – und sprach sich hämisch gegen das Gendern aus. Eine Partei in der Existenzkrise müsse sich nicht "mit Doppelpunkt, großem I oder Sternchen" beschäftigen, sagte der 74-Jährige am Samstagfrüh. "Es geht nicht darum, Schreibweisen zu verändern, sondern die Verhältnisse."
Auch das zeigt, dass große Teile der Partei aus der Metoo-Debatte offensichtlich noch nichts gelernt haben. So oder so ähnlich klingt auch der Vorwurf der jungen Parteimitglieder: Wer der Generaldebatte über Sexismus und Übergriffe mit Gendern entgegnet, hat den Sinn hinter Metoo nicht verstanden. Und er macht sich mit antifeministischen Pseudoargumenten gemein.
Als Wissler am nächsten Tag erneut zur Vorsitzenden gewählt wurde, traten zwei Betroffene mit einer persönlichen Erklärung ans Mikrofon. Sie schilderten erneut, was ihnen widerfahren war und drückten ihr Unverständnis aus, dass Wissler trotzdem weiter das Vertrauen in der Partei genießt.
Und sie ernteten Buhrufe – sogar ein "verpiss dich" war zu hören.
Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch fasste es am Sonntag folgend zusammen: "Der Parteitag ist mit dieser Diskussion überfordert."
Die Linke hat mit den Bundestagsabgeordneten Sarah Wagenknecht und Sevim Dağdelen zwei prominente Putinversteherinnen in ihren Reihen – und wird dafür heftig kritisiert. Keine der beiden tauchte auf dem Parteitag auf.
Eine Gruppe um Wagenknecht wollte die Verurteilung des russischen Angriffskriegs und der imperialistischen Politik Moskaus aus einem Leitantrag streichen. Immerhin: Die Delegierten folgten mit einer deutlichen Mehrheit dem Vorschlag des Parteivorstandes.
Und dennoch blieben die Abers und die Whataboutism-Tiraden nicht aus. Die Abers bezogen sich auf die immer selben Begriffe: Nato, USA, EU, Irakkrieg, Jugoslawien.
Das Gleichsetzen mit anderen, teilweise durchaus kritikwürdigen Problemen in der Welt – kurz: Whataboutism – ist eines der vielen Propagandainstrumente der russischen Regierung.
Die Linke verzettelte sich in sprachlicher Akrobatik, um öffentlich "wählbar" zu erscheinen, auf der anderen Seite aber nicht zu sehr im ihr verhassten Mainstream zu versinken. Ergo: Böses Russland, aber auch böse Ukraine und überhaupt sind ja alle böse. Nur die Linken nicht, weil sie die einzigen sind, die Frieden wollen.
Ein gutes Beispiel dieser parteitaktischen Uneindeutigkeit ist der Leitantrag seitens des Vorstands: Klar, verurteile man den Angriffskrieg Russlands. Ein paar Wörtchen weiter wird von "zunehmenden geopolitischen Rivalitäten" und "unterschiedlichen imperialen Machtansprüchen" gesprochen. Ebenfalls ein Argument, das Putin immer wieder anbringt: Aber die Nato-Osterweiterung, aber die böse EU.
Weitere russlandfreundliche und teils propagandistische Redebeiträge sahen so aus:
Echter Gegenwind kommt von einer 19-Jährigen. Sofia Fellingers Familie stammt aus der Ukraine. "Hier wurde gesagt, sich zu verteidigen gegen einen brutalen Angriffskrieg, bei dem Menschen getötet und gefoltert werden, sei genauso imperialistisch wie den Krieg zu beginnen. Wie kann das sein? Wie kann kein Aufschrei passieren?", rief sie in den Saal.
Es werde argumentiert, die Linke sei eine Friedenspartei. "Frieden kommt aber nicht, wenn man die Leute sterben lässt."
Am Tag darauf hält die russische Aktivistin und Künstlerin Oxana Timofeeva eine Gastrede. Sie sagte, ein Waffenstillstand sei unmöglich. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, sei ein Sieg der Ukraine. Dafür brauche sie die konsequente Unterstützung anderer Länder.
Sie sagte auch:
Der Applaus der Linken-Delegierten hielt sich allerdings in Grenzen.
Ein zugeschalteter Videobeitrag einer Ukrainerin, die weitere Sanktionen gegen Russland forderte wurde von einigen Delegierten ausgebuht.
"Es kommt darauf an, sie zu verändern." Das war das Motto des Erfurter Parteitags. Damit meint die Linke aber nicht nur die Welt, wie es der Wirtschaftstheoretiker Karl Marx 1845 in seinen erst viel später veröffentlichten "Thesen über Feuerbach" schrieb. Die Partei selbst sei mit diesem Satz ebenso gemeint, sagte Parteichefin Janine Wissler in ihrer Grundsatzrede am Freitag.
Der neue Co-Chef und Europa-Abgeordnete Martin Schirdewan findet zudem: "Der Parteitag hat klar signalisiert: Es wird kein Weiter so geben." Das sagte er im Interview mit der "taz".
Tatsächlich hat sich der Parteitag am Samstag aber zumindest teilweise für ein Weiter so entschieden. Denn die Vorsitzende, die mit halbwegs großer Mehrheit (57,5 Prozent) gewählt wurde, ist immerhin die alte Parteichefin Wissler. Schirdewan ist das neue Gesicht neben Wissler. Für die zweite Hälfte des Weiter so konnte sich der Parteitag schließlich auch nicht entscheiden, Susanne Henning-Wellsow hatte im April ihren Rücktritt bekanntgegeben. Sie stand also gar nicht zur Wahl.
Ein Weiter so wäre allerdings mehr als fatal für die Partei. Hätte es die drei Direktmandate für Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann bei der Bundestagswahl 2021 nicht gegeben, wäre die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und demnach gar nicht mehr im Bundestag vertreten. Umfragen zufolge vertreten viele Menschen linkes Gedankengut, können sich aber nicht vorstellen, diese Partei zu wählen.
Intern ist man so zerstritten, dass das Awareness-Team während des Parteitags mehrmals auf die Bühne kommen musste, um die Delegierten um Zurückhaltung zu bitten. Einige Delegierte fühlten sich offenbar sogar körperlich unwohl und bedroht, wie es ein Teammitglied ausdrückte. Zerfleischungen auf Social Media blieben natürlich auch während der Tagung nicht aus.
Da klingt es fast zynisch, wenn Janine Wissler bei ihrer Vorstellungsrede sagt: "Ich möchte als Parteivorsitzender auch weiterhin das Gemeinsame suchen und Brücken bauen."
Also doch ein Weiter so?