Sarah-Lee heinrich zieht sich nach Morddrohungen zurück Bild: dpa / Bodo Schackow
Analyse
13.10.2021, 14:0313.10.2021, 18:52
Vorerst hat Sarah-Lee Heinrich für sich einen Schlussstrich gezogen. Die neue Sprecherin der Grünen Jugend zog sich nach Morddrohungen aus der Öffentlichkeit zurück. Dies ist nur die jüngste Episode von Fällen, in denen Personen aus Politik, Medien und anderen öffentlichen Sphären massiven Anfeindungen ausgesetzt sind.
So unterschiedlich die Auslöser dafür sein mögen – im Falle Heinrichs waren es Äußerungen aus ihrer früheren Jugend, die ihrerseits teils menschenverachtenden Charakter hatten –, so ähnlich sind die harschen Reaktionen. "Was Sarah-Lee erlebt, ist für viele Frauen in der Öffentlichkeit, die zB gg Rassismus kämpfen, sich fürs Klima einsetzen, Missstände anprangern, heute Alltag", schreibt die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli in einer Reaktion auf Twitter.
Sie selbst kennt die Situation gut, sie ist seit Jahren vor allem in Internet Hasskampagnen ausgesetzt. "Wir leben mit Morddrohungen, als sei es normal. Ist es nicht. Es muss mehr passieren als Bedauern/Empörung", ergänzt sie.
Anfang 2020 war ein ehemaliger Polizist freigesprochen worden, der Chebli unter anderem als "islamische Sprechpuppe" bezeichnet hatte. Das Gericht sah diese und weitere Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Daneben erhält die SPD-Politikerin nach eigenen Angaben auch Mordrohungen und steht unter Polizeischutz.
Zuletzt war auch ihr Parteifreund, der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, einer Hasskampagne ausgesetzt – wegen seiner Haltung in der Corona-Pandemie. Im März veröffentlichte er mehrere entsprechende Beiträge. Da kommentiert ein Olaf Z. etwa, es wäre ideal, wenn man Lauterbach "nullkommaplötzlich erschiessen würde".
Auch in der Kultur- und Kunstszene gibt es vergleichbare Fälle, so berichtet der jüdische Rapper Ben Salomo regelmäßig von Hetze gegen ihn, auch der Comedian Shahak Shapira wird immer wieder diffamiert.
Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl ist gleich in doppelter Hinsicht Expertin zu dem Thema. Zum einen beschäftigt sich die Rechtsextremismus-Forscherin beruflich mit dem Phänomen. Zum anderen ist sie im Zuge ihrer Veröffentlichungen über die "Identitäre Bewegung" selbst ins Visier mal mehr, mal weniger anonymer Hetze geraten. Auf Anfrage von watson ordnet sie die Fälle ein.
"Auf Frauen im Netz wird anders reagiert"
Morddrohungen im Netz betreffe natürlich nicht nur Frauen, sagt sie. Es gebe genügend Männer, die sich zu bestimmten Dingen öffentlich geäußert hätten und plötzlich Besuch von Neonazis bekommen hätten. Sie hätten krasse Einschnitte in ihr Leben hinnehmen müssen, "bis hin zum Umzug". "Aber auf Frauen wird im Netz anders reagiert", sagt Strobl. "Da eskaliert es viel schneller und leichter, neben Morddrohungen fast immer auch die Androhung sexualisierter Gewalt. Das kann man gar nicht überschätzen."
Sie kann aus eigener Erfahrung davon zu berichten. Nach ihren Veröffentlichungen gegen die rechtsextreme Identitäre Bewegung habe die Hetze begonnen. "Jemand hat mir das Fenster mit einem Luftdruckgewehr eingeschossen, ich wurde gestalked und habe Drohanrufe und Briefe bekommen." Ob online oder offline: Wo die Hetze stattfindet, sei im Grunde egal. "Was auf Social Media passiert ist genauso real."
"Misogynie ist elementarer Bestandteil von Männerbünden und patriarchalen Strukturen"
Warum trifft der Hass Frauen besonders heftig? "Es ist jedenfalls kein reines Social Media-Phänomen, sondern hat mit der Natur von Männerbünden zu tun", sagt Strobl. Sie verweist auf die Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky, die sich unter anderem mit Feminismus, Staatstheorie und Ideengeschichte beschäftigt.
Die emeritierte Professorin hat das Phänomen im Bereich des Sports untersucht, sowohl innerhalb von Teams als auch bei Fans. "Die Androhung sexualisierter Gewalt spielt auch dort eine große Rolle."
Das geht dann auch gegen andere Männer, die zum Beispiel als verweiblicht bezeichnet würden oder sich erniedrigender Rituale unterziehen müssten. "Misogynie ist aber jedenfalls elementarer Bestandteil von Männerbünden und patriarchalen Strukturen."
Die Grüne Jugend hat inzwischen angekündigt, dass sich Heinrich wegen Drohungen "über alle Kanäle" erst in den kommenden Tagen mit einer Einordnung äußern werde. "Fürs Erste hat die Sicherheit von Sarah und ihrem Umfeld Vorrang vor Interviews."
Heinrich selbst hatte früher in mehreren Tweets zumindest ironisch Morddrohungen ausgesprochen und Begriffe wie "behindert" und "schwul" als Beleidigung genutzt sowie das Bild eines Hakenkreuzes mit "Heil" kommentiert. Schon vor einigen Jahren und erneut nach ihrer Wahl zur Sprecherin der Grünen Jugend distanzierte sich Heinrich allgemein von ihrem jugendlichen Twitter-Verhalten und löschte zahlreiche Beiträge.
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