"Ich steck' dir gleich meinen Finger in die F*tze."
"Kann ich mal zwischen deine Oberschenkel streichen?"
"Geiler Arsch."
Sprüche wie diese müssen viele – meist weiblich gelesene – Menschen in erschreckender Regelmäßigkeit ertragen. Genauso wie Pfiffe, Hupen, Kussgeräusche oder lautes Stöhnen. Laut einer internationalen Studie der Cornell-University gaben 84 Prozent der weltweit befragten Frauen an, solche Belästigungen bereits vor ihrem 17. Lebensjahr erfahren zu haben.
Catcalling nennen sich diese verbalen Übergriffe. Instagramaccounts wie "catcallsofberlin" sammeln viele solcher Belästigungen – und machen sie auch im Stadtbild sichtbar.
Auch wenn sie nicht physischer Natur sind, schränken sie die Betroffenen im öffentlichen Raum ein. Wie eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen herausgearbeitet hat, beeinträchtigen Catcalling-Erfahrungen das Sicherheitsgefühl von Betroffenen im öffentlichen Raum.
Die anzüglichen Kommentare, das Hinterherrufen und -pfeifen, das Hupen oder gar Hinterherlaufen – all das findet in aller Öffentlichkeit statt. Von Außenstehenden wird es in den meisten Fällen ignoriert. Setzt sich eine betroffene Person zur Wehr, macht sie laut auf die Übergriffigkeit aufmerksam, folgen oftmals Sprüche wie: "Du bist eh hässlich" oder "war doch nur ein Kompliment".
Handhabe, rechtlich etwas gegen die Täter zu tun, haben Betroffene kaum. Bis heute ist Catcalling selbst in Deutschland nicht strafbar. Bereits im Jahr 2020 hatten knapp 70.000 Menschen eine Petition unterschrieben, die sich für die Strafbarkeit von Catcalling einsetzte – ohne Erfolg. Angezeigt werden können die Übergriffe zwar, am Ende wird aber im Einzelfall geprüft, ob eine Ehrverletzung stattgefunden hat. Zum Beispiel, wenn jemand als "Schlampe" bezeichnet wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion möchte nun aber etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern. Zwar soll Catcalling generell nicht strafbar werden. Erhebliche verbale sexuelle Belästigung allerdings schon.
Die Fraktion schlägt deshalb einen neuen Straftatbestand für "gezielte, offensichtlich unerwünschte und erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen" vor. Näher definiert wird das im Positionspapier so:
Die Erheblichkeitsschwelle, erklärt die rechtspolitische Sprecherin Sonja Eichwede gegenüber watson, ist besonders von Bedeutung. Denn das Strafrecht sei das schärfste Schwert des Staates. Es geht bei dem Vorstoß also nicht um Catcalling per se. Das klarzustellen sei ihr wichtig, denn sie möchte verhindern, dass die Debatte um den Vorstoß wieder in ein "Man darf ja hier gar nichts mehr" ausartet.
"Diese Positionierung ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung", meint Eichwede. Denn dadurch wird die Debatte eröffnet. Verbale sexuelle Belästigung wird benannt und bekommt einen Raum. Die Koalitionspartner:innen müssten nun auch diese Diskussion führen. Wann aber genau ein Gesetzentwurf zu diesem Vorstoß entstehen könnte, das kann Eichwede nicht sagen. Dafür ist es zu früh.
Für sie ist aber klar, dass die Lücke im Strafgesetz geschlossen werden muss. Denn bisher ist es nicht strafbar, wenn beispielsweise ein 65-jähriger Mann ein 11-jähriges Mädchen auffordert, ihm zu folgen, weil er "an ihre Muschi fassen wolle". Dieses Beispiel aus dem Positionspapier ist real. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2017.
"Justizminister Marco Buschmann hat das große Jahr des Strafrechts angekündigt", sagt Eichwede und fährt fort: "Wir wollen das Strafgesetzbuch unter die Lupe nehmen, Gesetze streichen, die nicht mehr zur Lebensrealität passen – und hoffentlich Lücken schließen."
Wie eben die Lücke der verbalen sexuellen Belästigung. Denn diese Form der Übergriffigkeit hindere Menschen daran, frei und selbstbestimmt zu leben. Vor allem, stellt Eichwede klar, Frauen und queere Menschen. Durch den Vorstoß würde dieser Missstand präsenter in der öffentlichen Debatte. "Strafe schreckt zwar nicht ab", räumt Eichwede ein. Aber: "So würde im Strafrecht verankert werden, dass an diesem Punkt die Grenze überschritten ist."
Was sie sich von einem neuen Gesetz erhofft? "Ein Stück mehr Gerechtigkeit, auch wenn das pathetisch klingt", sagt sie und schmunzelt dabei. Sollten sich die Koalitionspartner nach ihrer Meinungsbildung der Position anschließen, bräuchte ein möglicher Gesetzentwurf die Mehrheit der Ampel – würde dann also recht wahrscheinlich werden. Bis es wirklich so weit ist, dürfte es aber noch eine Weile dauern.
Andere EU-Staaten gehen heute schon einen Schritt weiter. In Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden ist Catcalling strafbar. In den meisten Fällen werden die Übergriffe mit Bußgeldern belegt. In Spanien drohen außerdem gemeinnützige Arbeit oder sogar Hausarrest.