Ostsee.
Mittelmeer.
Zwei Meere, die in Deutschland wohl jeder kennt. Sei es bei der Urlaubsplanung als auch bei politischen Themen wie etwa den Ostseepipelines Nord Stream 1 und die mittlerweile beschädigte Nord Stream 2 oder der Fluchtbewegung über das Mittelmeer.
Mittlerweile ist ein weiteres europäisches Meer in den Fokus gerückt: das Schwarze Meer. Es liegt zwischen Europa und Asien. Das Wasser reicht tief und sieht oftmals trüb aus. Am Schwarzen Meer liegen viele Länder: Bulgarien, Rumänien, Georgien, die Türkei, die Ukraine und Russland.
Eine explosive Nachbarschaft – vor allem seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
Warum ist das Schwarze Meer überlebenswichtig für die Ukraine und wie entwickelt sich die Region durch Russlands Aggressionen in eine Gefahrenzone? Was macht das Schwarze Meer so anders als die anderen Meere Europas, wie die Ostsee, die Nordsee oder das Mittelmeer? Ein Überblick.
Wer das Schwarze Meer kontrolliert, kontrolliert auch die Ukraine. Das weiß der russische Präsident Wladimir Putin.
Demnach will er die Ukraine vom Schwarzen Meer und somit vom Zugang zum Wasser abschneiden. Dabei spielt vor allem die Krim eine wichtige Rolle. Von dort aus könne Russland das Schwarze Meer militärisch kontrollieren, erklärt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Russland will die Ukraine komplett vom Schwarzen Meer trennen, um sie ökonomisch zu erdrosseln und sicherheitspolitisch zu kontrollieren", sagt Meister im Gespräch mit watson.
Denn die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl. Das Land ernährt damit Millionen von Menschen. Vor dem Krieg haben die meisten ukrainischen Getreideexporte auf Schiffen die Schwarzmeerhäfen verlassen. Doch russische Kriegsschiffe stören diese Exportrouten über das Meer zunehmend.
Laut Politikwissenschaftler Meister ist die Schwarzmeerregion ausschlaggebend für die sicherheitspolitische und ökonomische Überlebensfähigkeit der Ukraine und der Menschen dort. "Moskau will alle Häfen erobern und die ukrainische Flotte zerstören", sagt er.
Fällt die Kontrolle des Schwarzen Meers in Putins Hände, wären die Konsequenzen für die Menschen in der Ukraine verheerend. "Die Ukraine würde es nicht schaffen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, wenn Russland sie permanent vom Handel über das Schwarze Meer abschneiden würde", äußert sich Osteuropa-Expertin, Miriam Kosmehl, gegenüber watson.
Der Russland-Experte Meister fügt hinzu:
Mit "transatlantischen Institutionen" meint Meister unter anderem die "North Atlantic Treaty Organization" (Nordatlantische Vertragsorganisation) – die Nato.
Seit der Annexion der Krim 2014 durch Putin und jetzt durch seinen Krieg in der Ukraine ist Kosmehl zufolge das Schwarze Meer zur Gefahrenzone geworden. Schließlich ist die Distanz zwischen den Nato-Mitgliedern Rumänien und Bulgarien zur russischen besetzten Krim gering. Laut Expertin will Russland die Dominanz über das Schwarze Meer erreichen, um damit die Ukraine zu schwächen – aber auch die EU.
Meister sieht das anders. Laut ihm geht es Putin bei der Macht um das Schwarze Meer weniger um die EU, sondern vielmehr um die Nato. "Die EU hat die Bedeutung der Schwarzmeerregion lange unterschätzt und zu wenig Sicherheitspolitisches getan", meint Meister. Und wie sieht es bei der Nato aus?
Auf Anfrage von watson erklärt ein Sprecher der Nato:
Dazu gehöre:
Zudem patrouillieren und üben routinemäßig Nato-Schiffe im Schwarzen Meer. Drei alliierte Mitglieder – Bulgarien, Rumänien und die Türkei – sind Küstenstaaten mit eigenen Streitkräften in der Schwarzmeerregion. Rund 40.000 Soldaten stehen demnach unter direktem Nato-Befehl an der Ostflanke. Im gesamten Bündnis sind Hunderttausende von Streitkräften in erhöhter Bereitschaft.
"Die alliierten Streitkräfte und die Partnerschaften der Nato mit der Ukraine und Georgien zielen darauf ab, sicherzustellen, dass das Schwarze Meer eine stabile und sichere Region ist", heißt es vonseiten des Nato-Beamten.
Als Nato-Verbündeter stellt die Türkei allerdings einen besonderen Anspruch auf das Schwarze Meer.
Meister zufolge sieht sich die Türkei als zentraler sicherheitspolitischer und ökonomischer Player in der Schwarzmeerregion. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sehe es nicht gern, dass Putin zunehmend sicherheitspolitisch im Schwarzen Meer dominiert und damit das sicherheitspolitische Gleichgewicht verschiebt.
Dabei ist die Türkei auch wirtschaftlich von Russland abhängig. Eine diplomatische Zwickmühle.
Russland ist ein wichtiger Gas- und Öllieferant für die Türkei. Aber als Nato-Mitglied steht das Land sicherheitspolitisch auf der anderen Seite – gegen Putin. So liefert Erdoğan unter anderem Drohnen in die Ukraine.
"Die Türkei steht sicherheitspolitisch am Scheideweg: Soll Erdoğan das Schwarzmeer für mehr Präsenz der Nato öffnen oder die Dominanz Russlands weiter zulassen?", führt Kosmehl aus. Ziel müsse sein, aus einer gemeinsamen Position der Stärke mehr Sicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig dämme die gegenseitige Abhängigkeit mögliche Konflikte ein.
Auch Meister glaubt nicht an einen großen Konflikt, "da Russland und die Türkei machtpolitisch klar kalkulieren und eher ein Interesse an einer Kooperation haben." Die Türkei brauche Russland energie- und wirtschaftspolitisch und werde sich nicht gegen Russland stellen. "Trotz Konfliktpotentials kooperieren sie in bestimmten Bereichen und konkurrieren in anderen", meint Meister.
Für die Nato bleibt die Türkei demnach ein wichtiger Akteur in der Schwarzmeerregion. Lange standen auch die Ukraine, Georgien und Moldau in den Nato-Beitrittsverhandlungen. Wären sie aufgenommen worden, hätte sich das Schwarze Meer in ein Nato-Meer verwandelt.
Ein Horrorszenario für Putin?
Laut Meister wird in Moskau dieses Szenario sicherlich diskutiert. Der Krieg in der Ukraine zeige: Putin will mit allen Mitteln verhindern, dass postsowjetische Staaten Teil der Nato werden.
Meister sagt:
Putin ruft genau das hervor, wovor er sich wohl gefürchtet hat: eine stärkere, in sich geeinte, wachsende Präsenz der Nato im Schwarzen Meer als Antwort auf seinen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine.