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Israel-Krieg: Experte ordnet ein – das könnten die Entführungen bedeuten

Palestinians wave their national flag and celebrate by a destroyed Israeli tank at the Gaza Strip fence east of Khan Younis southern Saturday, Oct. 7, 2023. The militant Hamas rulers of the Gaza Strip ...
Es wird von Entführungen und schweren Misshandlungen von israelischen Zivilist:innen und Soldaten berichtet.Bild: AP / Yousef Masoud
Analyse

Israel-Krieg: Experte ordnet Konflikt ein – das könnten die Entführungen bedeuten

07.10.2023, 17:3317.10.2023, 13:41
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Es ist eine Nachricht, mit der in Deutschland derzeit niemand gerechnet hat. Und auch in Israel nicht. "Bürger Israels, wir sind im Krieg", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstagmorgen in einer Videobotschaft aus dem Militärhauptquartier in Tel Aviv.

Zuvor war eine Krisensitzung der Sicherheitskräfte einberufen worden.

Nach schweren Angriffen aus dem Gazastreifen auf Israel, hat das israelische Militär am Samstag den Kriegszustand ausgerufen. Damit reagierte der Staat auf hunderte Raketenangriffe und eindringende bewaffnete militante Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Israel.

Die Rede ist derzeit von mehreren Toten und teils hunderten Verletzten, je nach Rettungsdienst oder Krankenhaus.

Doch wie überraschend kamen die Angriffe und was hat es mit den kursierenden Videos über gefangene Israelis auf sich? Der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Stephan Stetter ordnet den Konflikt ein.

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Kam der Angriff aus dem Gazastreifen überraschend?

Es wird bei den Angriffen von den schwersten Auseinandersetzungen seit dem zehntägigen Krieg der Hamas gegen Israel im Jahr 2021 gesprochen. Vorhergesehen habe das allerdings niemand zu diesem Zeitpunkt, erklärt Stetter im Gespräch mit watson. "Weder das Militär, noch die Geheimdienste haben die Angriffe vorhergesehen."

Natürlich sei aber bekannt gewesen, dass die Hamas Waffen hat – genauso wie der Islamische Dschihad, die zweitgrößte bewaffnete Gruppe im Gazastreifen sowie die schiitische Hisbollah im Norden Israels und weitere bewaffnete palästinensischen Kämpfer dort. Auch von diesen könnten laut dem Experten weitere Eskalationen ausgehen.

Die EU, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilen die Angriffe scharf.

Was hat es mit den angeblichen Entführungen auf sich?

Der lange schwelende Konflikt zwischen Palästina und Israel bricht seit 2007 – seit die Hamas die Macht im Gazastreifen übernommen hat – alle paar Jahre für wenige Tage bis Wochen auf und gipfelt in einem bewaffneten Konflikt mit teils Toten und Verletzten. Die schwerste und längste Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas datiert Stetter auf 2014. Damals dauerte der Krieg rund sieben Wochen.

Brisant: Damals gab es zusätzlich Entführungen von Zivilist:innen und israelischen Soldaten.

Auch diesmal kursieren zahlreiche Videos von Entführungen von israelischen Zivilist:innen und Soldaten. "Wenn diese Videos echt sind, wäre das ein riesiges Faustpfand für die Kräfte im Gazastreifen", urteilt Stetter. Das würde laut dem Experten wiederum bedeuten, dass der Konflikt nun massiv eskalieren könnte. "Das wäre eine dramatische Entwicklung."

Transparenz-Hinweis: Nachdem watson das Interview mit Stephan Stetter geführt hat, wurden Verschleppungen durch die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) bestätigt.

Wie ist das militärische Kräfteverhältnis einzuschätzen?

"Israel ist ein souveräner Staat, der das Recht hat, sich und seine Bürger zu verteidigen", sagt Stetter. Die Infiltrierung Israels durch die Hamas sei eine Kräftedemonstration. Ein großangelegter Gegenangriff sei zu erwarten.

Im Laufe des Samstagnachmittags wurde bereits über Angriffe Israels auf den Gazastreifen berichtet.

Israel sei allerdings kräftemäßig der Hamas überlegen, ordnet der Experte ein. Ein jahrelanger Krieg etwa sei daher nicht zu erwarten.

07.10.2023, Palästinensische Gebiete, Gaza-Stadt: Raketen werden von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas, die von  ...
Militante Palästinenser aus dem Gazastreifen haben am Samstag Israel angegriffen.Bild: AP / Hatem Moussa

Zum Gegenschlag werde Israel seine Luftwaffe einsetzen und den Gazastreifen weiter bombardieren. Dies sei militärisch nachzuvollziehen. Allerdings treffen diese Angriffe laut Stetter immer auch Zivilbevölkerung. Selbst dann, wenn Versuche unternommen würden, die Zahl ziviler Opfer gering zu halten. Klar sei laut Stetter: "Es wird zivile Opfer geben und das ist eine fürchterliche Perspektive."

Zudem stehe die Frage im Raum – gerade weil Entführungen durchgeführt worden sind – ob Israel mit Bodentruppen in den Gazastreifen geht. Das wurde laut Berichten am Samstagnachmittag bestätigt. "Beides ist mit Blick auf die Eskalation eines Konfliktes sehr problematisch", ordnet Stetter ein.

Was ist jetzt zu erwarten?

Stetter betont zudem:

"Die schlimme humanitäre Lage im Gazastreifen unterliegt auch einer israelischen Blockade. Gleichzeitig ist der Hamas-Regierung nicht primär am Wohl der eigenen Bevölkerung gelegen – oder etwa einer friedlichen Zukunft im Nahen Osten. Sondern sie hat sich dem Kampf gegen Israel verschrieben. Dieser Cocktail macht es sehr problematisch."

Eine der größten Gefahren bestehe aktuell aber auch darin, dass dieser Konflikt auf zwei andere Gebiete überschwappt. Und zwar auf die Westbank inklusive Ostjerusalem und den Norden Israels. Also in den Libanon, wo die Hisbollah, aber auch palästinensische Gruppen sind.

231007 -- GAZA, Oct. 7, 2023 -- Palestinians are seen near an Israeli tank, near the fence of the Gaza-Israel border, east of the southern Gaza Strip city of Khan Younis, Oct. 7, 2023. TO GO WITH 3rd  ...
Militante Palästinenser werden immer wieder in der Nähe von israelischen Panzern und Soldaten gesichtet.Bild: imago images / Xinhua

Wie könnte der Krieg beendet werden?

"Das wichtigste wäre, dass es einen palästinensisch-israelischen Frieden gibt", meint Stetter. Diese Lösung liege allerdings in weiter Ferne. Am drängendsten wäre zumindest aber ein Waffenstillstand. Israel und die Hamas würden diesen allerdings nicht allein herbeiführen können. Stetter vermutet, dass aus den USA oder etwa Ägypten die entscheidenden Impulse zu einem solchen Waffenstillstand kommen könnten. Mehr als das sei derzeit allerdings nicht zu erwarten.

Wann der kommen wird, bleibe abzuwarten, meint Stetter. "Momentan deutet alles darauf hin, dass es eine längere und blutige Auseinandersetzung werden wird", sagt er mit Blick auf die mutmaßlichen Entführungen. Stetter betont auch: "Den Konflikt löst das aber noch lange nicht."

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