Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Ein Spruch, den sich US-Präsident Joe Biden jetzt wohl von den Republikanern gefallen lassen muss.
Denn noch im September kritisierte Biden seinen Amtsvorgänger Donald Trump dafür, geheime Dokumente in seinem privaten Anwesen in Mar-a-Lago, Florida zu bunkern.
Biden bezeichnete Trumps Verhalten als "unverantwortlich".
Zu diesem Zeitpunkt lagen Regierungspapiere in seiner eigenen Garage seines Privathauses in Wilmington im Bundesstaat Delaware. Unverantwortlich?
Biden zufolge wohl nicht, denn schließlich lagen sie neben seinem Oldtimer vom Typ Corvette. Und diese Garage sei abgeschlossen, betont er. Die Dokumente würden demnach nicht einfach auf der Straße herumliegen.
Unterscheidet sich der Fall Biden dennoch von Fall Trump? Der USA-Experte Thomas Greven meint, ja. "Nach dem, was man bisher weiß, liegen die Fälle doch sehr unterschiedlich", sagt er im Gespräch mit watson. Der Politikwissenschaftler ist Redakteur bei den "Blättern für deutsche und internationale Politik" und forscht an der Freien Universität Berlin.
Doch von vorne, was ist eigentlich passiert?
Geheimdokumente tauchen dort auf, wo sie nicht hingehören. Ein Problem, das wohl in den USA beinahe zum Alltag gehört. In den Vereinigten Staaten müssen Regierungsdokumente in der Regel archiviert und für die Nachwelt aufgehoben werden.
Nun sind aber geheime Papiere in Bidens ehemaligen Privatbüro und in seiner privaten Garage aufgetaucht. Er behauptet, nichts von diesen Unterlagen gewusst zu haben. Ein gefundenes Fressen für die Republikaner, ganz vorne dabei: Trump. Denn dieser hatte mit einem ähnlichen Fall für einen Skandal gesorgt.
Der ehemalige US-Präsident steht selbst im Fadenkreuz. Im Sommer 2022 fand das FBI bei einer Razzia in seinem privaten Anwesen in Mar-a-Lago, Florida geheime Regierungspapiere. Trump reagiert auf Bidens Fall nun mit Kritik.
"Wann wird das FBI eine Razzia in den vielen Wohnungen von Joe Biden durchführen, vielleicht sogar im Weißen Haus?", postet er auf der von ihm mitgegründeten Social-Media-Plattform "Truth Social".
Trump kritisiert die Ermittlungen gegen ihn immer wieder als "politische Hexenjagd".
Die Republikaner nutzen den Fall Biden, um von dem Geheimdokumenten-Skandal um Trump abzulenken. Mehrere Abgeordnete nahmen diesen Fall zum Anlass, scharf gegen Biden zu schießen.
Vor allem der Zeitpunkt des Fundes der Dokumente wirft bei vielen Republikanern Fragen auf. "Oh wirklich? Die haben das erst jetzt nach all den Jahren gefunden?", zitiert der Sender CNN den frisch gewählten Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy.
Das Büro, in dem die ersten geheimen Unterlagen gefunden wurden, nutzte Biden als Vizepräsident während der Amtszeit Barack Obamas von 2009 bis 2017. Republikaner Byron Donalds fragt sich: "Warum wurden diese Dokumente erst sechs Jahre später gefunden?" Lagen diese so lange unentdeckt in einem verschlossenen Schrank?
Brisant ist auch, dass die Regierungspapiere bereits eine Woche vor den Midterms gefunden wurden. Die republikanische Abgeordnete Elise Stefanik meint, es sei verstörend, dass die Unterlagen Anfang November entdeckt und übergeben worden seien, das "korrupte" Justizministerium den Fund aber bis jetzt geheim gehalten habe.
Laut dem Justizministerium handle es sich dabei aber um ein übliches Vorgehen. Das Ministerium informiere üblicherweise nicht öffentlich über Ermittlungen oder Ermittlungsergebnisse.
Die Verbündete Trumps, Marjorie Taylor Greene, fordert einen Prozess gegen den amtierenden US-Präsidenten. "Das ist eine sehr ernste Situation", teilt sie in einem Video auf Twitter mit. Sie kritisiert, wie unterschiedlich Trump und Biden in diesen Fällen behandelt werden.
Doch sind diese Fälle zu vergleichen? Zurück zu dem USA-Experten Greven. Laut ihm gibt es zwei gravierende Unterschiede: bei der Anzahl der gefundenen Unterlagen und bei der Kooperation mit den Behörden.
"Trump musste gezwungen werden, eine große Zahl an Dokumenten herauszurücken, und behauptet weiterhin, dass sie ihm gehören", sagt Greven. Biden hingegen kooperiere mit den zuständigen Stellen bezüglich der Rückgabe der Dokumente und der Aufklärung des Sachverhalts. Zudem handelt es sich wohl nur um einige wenige Dokumente mit Geheimhaltungsstufe bei Biden.
Laut Medienberichten sollen in Bidens altem Büro zehn Dokumente gefunden worden sein, von denen auch nicht alle als geheim eingestuft wurden. Die Anzahl und der Inhalt der Dokumente aus seiner Garage ist noch unklar. Bei Trump handelt es sich um etwa 300 Dokumente – darunter einige mit der Klassifikation "Top Secret".
Nach dem Fund sollen Bidens Anwälte sofort das Nationalarchiv verständigt haben, das die Akten am Folgetag in Besitz nahm. Biden selbst versprach "volle Kooperation" bei den Ermittlungen.
Trump hingegen hatte sich damals lange geweigert, überhaupt Dokumente zu übergeben, die er aus dem Weißen Haus hatte mitgehen lassen. Erst nach einer gerichtlichen Anordnung sahen sich Trumps Anwälte gezwungen, 38 Dokumente zu überreichen. Um die restlichen Akten zu beschlagnahmen, brauchte es eine FBI-Razzia.
Im Durchsuchungsbefehl gegen Trump waren damals als mögliche Grundlage für etwaige Beschlagnahmungen drei Straftatbestände aufgeführt:
Dennoch bringt der pikante und politisch brisante Fund Biden durchaus in Erklärungsnot – trotz der Unterschiede zum Fall Trump.
Biden sei "überrascht" gewesen, dass die Dokumente überhaupt in das Büro gebracht worden seien, teilte er am Rande eines Besuches in Mexiko-Stadt mit. Auch wisse er nicht, was in den Unterlagen stehe. Doch Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor dem Gesetz.
Laut Greven drohe Biden wohl keine Klage, aber sicherlich ein Untersuchungsausschuss im Repräsentantenhaus. Vor allem der "Freedom Caucus" könnte sich auf Bidens "Garagen-Affäre" stürzen. Die 2015 gegründete Gruppe gilt als die am weitesten rechts stehende parlamentarische Vereinigung im US-Kongress. Zuletzt sorgten einige Mitglieder bei der Wahl des Sprechers Kevin McCarthy für Aufruhr.
Greven sagt:
Dies verstärke mutmaßlich die ohnehin weit verbreite Anti-Establishment-Haltung der amerikanischen Bevölkerung.
Die Republikaner könnten mit ihrer knappen Mehrheit im Repräsentantenhaus nun einen Untersuchungsausschuss im Fall Biden einleiten – um einen maximalen politischen Vorteil aus dieser Sache zu schlagen.
"Auch wenn der Fall für Biden wohl keine juristischen Konsequenzen hat, so hat er Trump und den Republikanern erhebliche politische Munition geliefert", meint Greven. Ihm zufolge sei es mutmaßlich kein Zufall, dass der Fall nicht vor den Zwischenwahlen im November bekannt wurde.
Der Dokumentenfund spielt den Republikanern also in die Hände – während Biden bangen muss.
(Mit Material der dpa)