Am 20. Januar 2021 atmete ein Teil der Welt auf: Die Ära Trump war nun offiziell vorbei und Joseph "Joe" Biden wurde als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Die Hoffnungen vieler Bürgerinnen und Bürger in den neuen Präsidenten der USA waren groß – doch Biden übernahm das Amt in einer denkbar schwierigen Zeit. Corona wütete heftig in den USA, und die Gesellschaft zeigte sich sehr gespalten nicht nur in Fragen der Pandemie-Bekämpfung.
Joe Biden hatte versprochen, das Land zu einen, doch nun scheint es gespaltener als je zuvor. Der neue Präsident hatte ambitionierte Pläne, wollte ein riesiges Gesetzespaket auf den Weg bringen. Das hat aber nur teilweise funktioniert: Den Infrastrukturplan konnte er durchbringen, das ambitionierte "Build Back Better"-Paket, in dem es vor allem um Sozialfragen und die Klimatransformation geht, wurde ausgerechnet von zwei Parteimitgliedern blockiert.
Auch bei der Zustimmung in der Bevölkerung sieht es für Joe Biden momentan nicht gut aus: Im Januar 2022 ist er auf einem bisherigen Tiefpunkt von 40 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung, während 56 Prozent seiner Arbeit ablehnend gegenüberstehen. Doch welche Gründe gibt es für die Unzufriedenheit?
Watson hat mit der Historikerin und Autorin Annika Brockschmidt und mit dem in den USA lebenden und lehrenden Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann über Joe Bidens erstes Amtsjahr gesprochen. Sie erklären, welche Fehler Biden gemacht hat – und wie er sie vielleicht noch korrigieren kann.
Zum Amtsantritt Joe Bidens im Januar 2021 waren die USA schwer von der Corona-Pandemie mitgenommen. Zu diesem Zeitpunkt waren fast 400.000 US-Bürger an Covid-19 gestorben, mehr als 23 Millionen waren damals bereits infiziert gewesen.
Während die Impfkampagne zunächst gut anlief, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt ein anderes Problem: Es wird zu wenig getestet.
Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann schildert die Lage dazu:
Annika Brockschmidt erklärt, dass die Impfkampagne zwar massiv gewesen sei, doch dass man damit längst noch nicht alle US-amerikanischen Bürger erreichen könne. Sie sagt: "In den republikanischen Bundesstaaten wird aktiv dagegen gearbeitet, die Pandemie zu beenden. Dadurch, dass Maßnahmen nicht eingehalten oder gekippt werden, bilden sich immer neue Covid-Herde."
Die Trump-Regierung habe damals sogar Hilfen gestrichen. Brockschmidt meint zudem: "Unter Trump hat man beispielsweise einen Hilfsplan aufgestellt und wieder verworfen, weil Corona zunächst vor allem demokratische Staaten traf. Das war ja praktisch, es waren ja 'nur' die Blauen. Doch ein Virus macht eben nicht vor den Bundesstaatsgrenzen halt."
Wie in Deutschland und vielen weiteren Ländern gibt es auch in den USA Impfgegner und Coronaleugner. Diese haben dort ähnliche Motivation wie hierzulande. Laut Brockschmidt war das Hauptproblem, dass die amerikanische Rechte die Pandemie selbst zum Politikum gemacht habe. Maske tragen und auch Maske verweigern sei dort ein politisches Statement.
Weiter sagt sie:
Viele Konservative und der republikanischen Partei nahestehende Menschen wehren sich also aus Prinzip gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, nur weil die Demokraten diese befürworten.
Während der Biden-Regierung waren die USA auch mit einigen wirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert. Beispielsweise ist die weltweite Inflation auch dort deutlich zu spüren. Das schlägt sich bei gestiegenen Treibstoffpreisen nieder. Außerdem gibt es Lieferkettenengpässe, die teils auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind. Kann Joe Biden an der wirtschaftlichen Front etwas ausrichten?
Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann schätzt die Lage folgendermaßen ein:
Ein Problem sei auch, dass Biden, was die Wirtschaft angeht, durch seine Aussagen keine große Expertise ausstrahle. "Ich zweifle daran, ob Biden wirklich ein gescheites Team hat. Das war bei Obama so unglaublich beeindruckend. Hinter ihm standen intellektuell verdienstvolle, kluge Leute." Diesen Eindruck habe er bei Biden nicht. Sein Team sei auf intellektueller Ebene eher dünn.
Und diese fehlende Expertise sei auch spürbar. Bachmann meint:
In den USA spielen Aktien bei den persönlichen Finanzen eine viel größere Rolle als etwa in Deutschland. Man solle sich bei steigenden oder fallenden Kursen als Regierung nicht zwangsläufig einmischen, so Bachmann, "doch zu sagen, dass es ihn nicht interessiere, ist politisch unklug und ökonomisch dumm".
Annika Brockschmidt sieht die Schuld für die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme in den USA ebenfalls nicht bei Präsident Biden. "Es gibt die Inflation, die er nicht alleine bekämpfen kann. Auch Lieferkettenschwierigkeiten sind nur global zu lösen. Da hat der Präsident natürlich einen begrenzten Handlungsspielraum. Insofern sind seine sinkenden Umfragewerte auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Biden hat einige Fehler gemacht hat, aber er hat eben auch ein fürchterliches Blatt bekommen", erklärt Brockschmidt.
Von einer Einigkeit der unterschiedlichen politischen Lager ist man derzeit weit entfernt. Biden habe es nicht geschafft, dieses Wahlziel einzuhalten, urteilt Rüdiger Bachmann. Doch das sei von Anfang an ein leeres Versprechen gewesen: "Er hätte wissen müssen, dass das Land gespalten ist und sich in absehbarer Zeit nichts daran ändern wird."
Bachmann zufolge schaukele sich die Situation von beiden Seiten hoch. Die linken Demokraten hätten das Gefühl, dass sie jetzt nochmal zwei Jahre Regierungszeit haben und dann vielleicht nie wieder in diesem Jahrzehnt. Dieses Gefühl der Angst hat schwerwiegende Folgen, sagt Bachmann. Er vergleicht die Situation mit der Weimarer Republik:
Bachmann sieht die Demokratie in den USA in Gefahr. Dies sei jedoch schon länger der Fall und auch nicht Bidens Schuld. Noch könne der Präsident dies verhindern. Bachmann meint: "Die Republikaner wollen die Einflüsse der Liberalen auf die West- und Ostküstenstaaten beschränken und das politische System so umkrempeln, dass sie dauerhaft in vielen Staaten und auch national die Mehrheit haben werden."
Auch Annika Brockschmidt sieht die Demokratie als stark gefährdet. Sie warnt vor bestimmten Taktiken der Republikaner: "Wenn man keine Mehrheit gewinnen kann, sorgt man dafür, dass nur die 'richtigen' Leute wählen können. Die Republikaner betreiben Gerrymandering und schließen beispielsweise Wahllokale in Gegenden mit einem großen Bevölkerungsanteil von People of Colour."
Brockschmidt erklärt weiter: "Die Demokraten sollten jetzt das tun, was die Republikaner tun, nämlich Machtpolitik. Die Wahlrechtsreform ist essentiell für das Bestehen der amerikanischen Demokratie. Es geht jetzt wirklich um die Wurst. Wenn die Mehrheiten im Kongress verloren gehen, und bis dahin nichts dergleichen geschehen ist, dann sieht es relativ düster aus für die amerikanische Demokratie."
Obwohl Biden angekündigt hatte, Amerika zu einen, ist sich nicht einmal seine eigene Partei, die Demokraten, einig. Aus deutscher Sicht ist das Zwei-Parteien-System eine ungewöhnliche Lösung, um viele Meinungen abzubilden. Das funktioniere auch meist nicht, wie Annika Brockschmidt erklärt:
Besonders zwei demokratische Senatoren durchkreuzen Bidens Pläne: Kyrsten Sinema aus Arizona und Joe Manchin aus West Virginia. Sie stimmten immer wieder gegen die Verabschiedung des Gesetzespakets "Build Back Better", das Biden bereits im Wahlkampf angekündigt hatte. Ursprünglich war auch das Infrastruktur-Paket Teil davon gewesen, doch man entschied sich, das Paket zu trennen, um zumindest eins von ihnen durchzubringen.
Brockschmidt prognostiziert, wie Biden nun darauf reagieren könnte:
Biden habe an die beiden demokratischen Senatoren Manchin und Sinema appelliert, die sich bisher quergestellt hatten, doch die hätten sich nicht bewegt. "Biden wird das Problem dem Senat überlassen und wird weiter regieren", erklärt die Historikerin. Und genau das hält sie für einen guten Schritt: "Es ist immer ein Problem, wenn man als Präsident so wirkt, als würde man nur auf Dinge reagieren."
Rüdiger Bachmann würde den Demokraten zu einer Strategie raten, bei der sie sich nicht zu sehr auf die beiden Senatoren konzentrieren, die sich querstellen. Die Partei solle stattdessen versuchen, die Mehrheit in den Kammern weiter auszubauen – damit man nicht mehr auf diese zwei Stimmen angewiesen wäre.
Er sagt:
Laut Bachmann gibt dieses Jahr durchaus Wahlen in den Staaten, wo Demokraten vielleicht noch eine Chance haben: Ohio, Pennsylvania, Wisconsin, North Carolina, eventuell Florida.
Für eine solche Senatsmehrheit sei es auch noch nicht zu spät. Bachmann geht davon aus, dass das Repräsentantenhaus zwar "ziemlich sicher" an die Republikaner gehen würde, eine Mehrheit im Senat wäre jedoch denkbar. "Im Moment sieht es eigentlich nicht schlecht für die Demokraten aus. Aber es ist auch sehr knapp, man darf jetzt keinen Fehler machen", sagt der Experte.
Beide Experten sind sich sicher, dass die Demokraten im Herbst bei den Midterms die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren werden. Das muss nicht automatisch eine erfolglose Präsidentschaft bedeuten, auch in Barack Obamas erster Amtszeit ist ihm das passiert. Joe Biden muss jedoch auf jeden Fall mit Einschränkungen rechnen. Wird es dadurch automatisch zu einer "Lame Duck"-Präsidentschaft?
Rüdiger Bachmann sagt: "Die Demokraten haben faktisch keine Mehrheit mehr im Parlament. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Biden im Herbst bei den Midterms auch nominal die Mehrheit im Parlament verliert. Dann ist er eine 'Lame Duck' und in seiner Präsidentschaft wird nicht mehr viel passieren."
Annika Brockschmidt sieht es ähnlich:
Joe Bidens schwerwiegendste Probleme sind also größtenteils entweder geerbt (Radikalisierung, Impfgegner) oder liegen außerhalb seines Einflussbereichs (Inflation).
Auf der Haben-Seite seiner politischen Errungenschaften steht bislang das Infrastrukturpaket. Biden hat möglicherweise nur noch bis November Zeit, sein ambitioniertes "Build Back Better"-Paket durchzusetzen und gleichzeitig die Mehrheit im Senat mindestens zu halten, wenn nicht auszubauen, da ihm ansonsten für die zwei Jahre darauf die Hände gebunden sein werden.