Barmherzigkeit, Demut, Nächstenliebe – sind nur einige der vielen Werte des Christentums. Diesen Idealen hat sich auch die Christliche Demokratische Partei Deutschland verschrieben.
Die CDU erklärt sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet. Doch Kritiker:innen mahnen: In der vergangenen Zeit wackle das C – manchmal hänge es fast nur noch lose an dem Parteinamen. Vor allem dann, wenn etwa CDU-Chef Friedrich Merz erneut mit kontroversen Aussagen für Empörung sorgt.
Merz spricht von "Sozialtourismus", wenn Geflüchtete aus der Ukraine Zuflucht in Deutschland suchen. Nach der chaotischen Silvesternacht in Berlin nennt er Jugendliche mit Migrationshintergrund "kleine Paschas". Die Berliner Christdemokrat:innen fordern gleich noch die Vornamen der deutschen Tatverdächtigen der Silvesterkrawalle. In der Hauptstadt trieb die Berliner CDU einen hitzigen Wahlkampf.
Dabei machten sie ordentlich Stimmung gegen die SPD und scheuten sich nicht davor, zu polemisieren – mit Erfolg?
Die Christdemokrat:innen um Kai Wegner wollen laut "Spiegel" mit der SPD regieren. Damit wären die Grünen in der Opposition. Angeblich soll SPD-Politikerin Franziska Giffey nun doch offen für eine Koalition mit der CDU sein. "Die Berliner CDU hat von der Enttäuschung über den Rot-Rot-Grünen Senat profitiert, weniger von ihrer scharfen Rhetorik", sagt Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje gegenüber watson.
Eigentlich wollten aber SPD, Grüne und Linke noch einmal miteinander sprechen, die alte Koalition vermutlich weiterführen. Die CDU sprach teilweise von einer "gestohlenen Wahl" – eine demokratiegefährdende Entgleisung, meint Hillje.
Auch Politikberater Martin Fuchs spricht von einer brandgefährlichen Rhetorik. "Hierdurch werden rechtspopulistische Narrative in der Mitte der Gesellschaft salonfähig gemacht", sagt Fuchs auf watson-Anfrage. Diese Rhetorik stelle demokratische Prozesse der Mehrheitsfindung infrage.
Er sagt weiter:
Und genau das hat offenbar nach aktuellem Stand der Dinge auch funktioniert, "aber mit erheblichen Kosten für die Demokratie", meint Fuchs. Nach der Neuwahl in Berlin läuft nun wahrscheinlich alles auf eine Koalition aus CDU und SPD hinaus.
Also alles nochmal gut gegangen für die CDU. Dennoch hinterlässt der Begriff des "Wahl-Klaus" wohl einen bitteren Nachgeschmack. Hillje zufolge erinnere das tatsächlich an einen Mann in den USA.
Mit der Aussage einer "gestohlenen Wahl" hat Ex-Präsident Donald Trump bereits viel Schaden an der ältesten Demokratie der Welt angerichtet. "Eine solche Aussage gefährdet das Vertrauen in die Demokratie und untergräbt die Legitimität der Prozesse zur Mehrheitsbildung", meint Hillje.
Demnach sei diese Wortwahl unverantwortlich, aber immerhin wurde sie nicht von der CDU wiederholt. Trump hingegen hält bis heute daran fest, dass ihm die Wiederwahl ins Weiße Haus "gestohlen" wurde – Beweise dafür hat er keine.
"Trump ist ein radikal rechter Putschist, der einen Angriff auf die US-amerikanische Demokratie zu verantworten hat", sagt Hillje. Ihm zufolge sind Vergleiche zwischen der Union und Trump unangemessen. Sprich, die Union ist nicht auf Trumps Niveau abgedriftet. Allerdings weist Hillje darauf hin: "Es gib sowohl bei den Republikanern als auch in der Union Kräfte, die lieber mit Themen wie Gendern und 'Wokeness' einen Kulturkampf führen, als sich den ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu widmen."
Die Rhetorik der Republikaner sei dabei oftmals aber noch deutlich schärfer.
Auch Politikberater Fuchs gibt Entwarnung: "Bei aller gerechtfertigten Kritik an der teilweise scharfen Rhetorik, kann man Merz sowie Söder nicht mit Trump vergleichen." Das sei nochmal eine andere Liga.
Der ehemalige US-Präsident habe mit seiner Kommunikation das System der Demokratie angegriffen und demokratische Werte negiert. "Dies geschieht hier trotz der Härte der Auseinandersetzung nicht", meint der Experte. Das würde in der Form auch in Deutschland nicht funktionieren, hierfür sind die politischen Systeme und Kulturen zu unterschiedlich.
Dennoch führe die Union momentan einen Kulturkampf. Laut Fuchs befindet sie sich in einem wichtigen Wahljahr und hat es dabei auf einen Gegner ganz besonders abgesehen.
Offenbar sieht sich die Union von den Grünen bedroht. Denn diese sind die aktuell zweitstärkste und wachsende Kraft in Bayern. Dort finden im Herbst die Landtagswahlen statt. "In der Vorwahlkampfphase geht es hauptsächlich darum, die interne Mobilisierung hochzufahren", meint Fuchs. Sprich, die eigenen Leute zu motivieren, für die CSU zu kämpfen. Er sagt:
Die Härte werde nach dem Wahltag wieder abnehmen, wie auch in Berlin gerade zu beobachten sei. Gleichzeitig liegt die Union Fuchs zufolge nach der Niederlage bei der Bundestagswahl noch immer auf dem Boden und leckt ihre Wunden. Sie muss sich neu finden: Wer sind wir? Wofür stehen wir? "Und da wird ausprobiert, in welche Richtung man gehen wird", sagt Fuchs. Die Umfrageergebnisse zeigen der Union, dass der Stil und die Art in der Bevölkerung ankommen – also wird diese Rhetorik auch zukünftig weiter zu beobachten sein.
Laut Hillje führt Söder den bayerischen Wahlkampf auch als Kulturkampf. Er emotionalisiert die persönliche Lebensführung und polemisiert insbesondere gegen die Grünen. Der Kommunikationsexperte hält diese strategische Ausrichtung für einen Fehler: "In der krisenverunsicherten Gesellschaft gibt es eine Hinwendung zum Materiellen, auf die die Union mit einer Thematisierung des Kulturellen reagiert."
"Bei der Union übertönt Polarisierung häufig Problemlösungen", meint auch Hillje. Als Beispiel nennt er die CDU-Vorstandsklausur im Januar: Man legte ein wirtschaftspolitisches Papier vor, aber die Debatte wurde von der Pascha-Äußerungen von Merz überschattet. "Zu oft macht die CDU eher mit kontroversen Aussagen von Merz als mit inhaltlichen Ideen der Partei über sich reden", meint Hillje. Ähnliches gelte für die CSU mit Söder.
In der politischen Mitte läuft ein Wettbewerb um die wirtschaftspolitische Vorherrschaft im Land. Erfolgreich kann die CDU dabei nur als erneuerte Wirtschaftspartei, aber nicht als neue "Winnetoupartei" sein.