Der ehemalige Präsident Barack Obama tritt stärker und stärker im US-Wahlkampf auf. Eine Trauerrede für den kürzlich verstorbenen Bürgerrechtler John Lewis in Atlanta nutzte Obama am Donnerstag für Attacken gegen den amtierenden Präsidenten Donald Trump. Obama sprach über Polizeigewalt, über Menschen, die am Wählen gehindert würden – und kritisierte Trump dabei heftig, ohne ihn auch nur einmal persönlich zu erwähnen.
Obama sprach erst über die Rolle des verstorbenen John Lewis bei dem Marsch Schwarzer US-Bürgerrechtler zwischen den Städten Selma und Montgomery im Jahr 1965. Er erwähnte dabei die Rolle des damaligen Gouverneurs des Bundesstaats Alabama, George Wallace. Der war ein Befürworter der Rassentrennung und ließ den Marsch von Polizisten niederknüppeln. Danach redete Obama über die Polizeigewalt dieser Tage, über die Tötung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd in Polizeigewahrsam und das harte Vorgehen der von der Trump-Regierung in die Großstadt Portland geschickten Bundespolizisten.
Obama sagte wörtlich:
Ein klarer Angriff auf Präsident Trump. Nach dessen Willen waren die Bundespolizisten nach Portland geschickt worden. Trumps Regierung plant, Agenten auch nach Detroit, Cleveland und Milwaukee zu entsenden.
Später sprach Obama über das Wahlrecht in den USA – und über die Hürden, die es Millionen US-Amerikanern schwer machen, ihr demokratisches Recht auszuüben. Obama verglich dabei die Situation heute mit einer besonders krassen Form der Diskriminierung von Schwarzen, die aus der Zeit um 1900 überliefert ist – und sagte:
Das ist ein weiterer Angriff auf Trump und auf republikanische Politiker, die ihm nahestehen. Zum einen spielt Obama auf Praktiken wie das "Gerrymandering" an, bei dem Wahlkreise so zugeschnitten werden, dass weiße US-Bürger bevorzugt sind. Zum anderen ist es eine Entgegnung auf Trumps Kampagne gegen Briefwahlen, mit der der amtierende Präsident versucht, diese Art des Abstimmens als betrügerisch und leicht manipulierbar darzustellen. Trumps Tiraden gipfelten in einen Tweet, den der Präsident kurz vor Obamas Rede versendete: Darin regte er mit Verweis auf die angeblichen Probleme mit der Briefwahl sogar eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl an.
Während Obama das sagt, wird er nach und nach lauter, Applaus und zustimmende Rufe von den anderen Trauergästen sind zu hören. Obama geht dann darauf ein, dass manche ihm seine Statements übelnehmen könnten. Er sagt, Kritiker könnten sagen, bei seiner Trauerrede solle es doch eher um John Lewis' Leben gehen als um die aktuelle politische Situation. Das Argument entkräftet Obama dann gleich darauf selbst. Er sagt:
Obama fordert dann, dass alle wahlberechtigten Bürger automatisch als Wähler registriert werden. Anders als in Deutschland bekommen die Bürger in den USA ihre Wahlbescheinigungen nicht automatisch per Post zugeschickt. Wer sich nicht in die Wählerverzeichnisse eintragen lässt, darf nicht wählen. Eine Praxis, durch die seit Jahrzehnten vor allem sozial Benachteiligten und Angehörigen von Minderheiten der Zugang zur Wahl erschwert wird.
Obamas Rede ist bemerkenswert. Der Ex-Präsident scheint mehr denn je entschlossen, in den Wochen bis zum Wahltermin, dem 3. November 2020, eine wichtige Rolle im demokratischen Präsidentschaftswahlkampf zu spielen.
Den demokratischen Kandidaten, seinen ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, hat Obama dabei nicht wörtlich erwähnt. So viel Wahlkampf bei einer Trauerrede scheint Obama bei allem Kampfgeist dann doch zu viel zu sein.
Eigentlich ist es in den USA seit Jahrzehnten üblich, dass ehemalige Präsidenten sich nicht mehr in die Tagespolitik einmischen. An dieses ungeschriebene Gesetz hält sich Obama immer weniger – und das schon seit Wochen. Schon lange vor der Trauerrede für John Lewis haben sich die Anzeichen dafür gemehrt, dass Obama seinen ehemaligen Vize Biden aktiv unterstützen möchte.
Auch seine Frau Michelle ist wieder öfter zu sehen: Vor Kurzem hat sie ihren eigenen Podcast gestartet. Ihr erster Gast: Ehemann Barack.
Bisher hat es Ex-Präsidenten in den USA geschadet, wenn sie sich politisch eingemischt haben. So geschehen bei Bill Clinton, der seine Frau Hillary während deren Präsidentschaftskandidatur 2008 unterstützte. Bill Clinton attackierte den damaligen demokratischen Gegenkandidaten Obama – und kostete Hillary dadurch wertvolle Sympathiepunkte.
Wie mischen die Obamas sich seit Wochen ein? Warum tun sie das? Können sie den Demokraten wirklich dabei helfen, Donald Trump im Weißen Haus abzulösen – oder schaden sie ihnen vielleicht sogar? Ein Überblick.
Im Mai hat Barack Obama zwei sogenannte Commencement Speeches gehalten: Das sind Reden für Absolventen von Universitäten und Schulen, die in den USA regelmäßig Prominente halten. Obamas Rede, die wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen nur per Video übertragen wurde, war außergewöhnlich. Erstens, weil sie auf Youtube und anderen Portalen millionenfach abgerufen wurde. Zweitens, weil sie relativ deutliche politische Aussagen enthielten. Etwa diese:
Eine klare Anspielung auf Donald Trumps Regierungsstil. Obamas Commencement Speeches waren ein Appell an junge Wähler, das politische Schicksal der USA zu beeinflussen.
Anfang Juni versendete Obama eine weitere politische Botschaft: Angesichts der Tötung des Schwarzen George Floyd durch Polizeigewalt in Minneapolis und der Anti-Rassismus-Proteste in den USA rief Obama in einer Videoschalte seiner Stiftung dazu auf, die Probleme in den USA gemeinsam zu lösen. Er sprach von Optimismus, weil in den USA so viele Menschen zusammengekommen seien, um die Probleme des Landes anzugehen, von Hoffnung, weil junge Menschen unterschiedlicher Ethnien gemeinsam protestierten, weil ein "größeres Bewusstsein" da sei, dass "das Land besser werden muss".
Obama schloss mit einer Botschaft an Schwarze Menschen in den USA: "Ich möchte, dass ihr wisst, dass ihr wichtig seid." Eine Ansprache im Stil eines Präsidenten.
Dann kam die Trauerrede in Atlanta: In der trat Obama weniger präsidentiell auf, dafür aber umso kämpferischer.
Auch in nicht-öffentlichen Auftritten mischt sich Obama laut US-Medienberichten in den Wahlkampf ein – und zwar noch viel deutlicher.
Bei einem Fundraiser, einer Spendenveranstaltung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Biden, warnte Obama die demokratischen Wahlkämpfer davor, die aktuell sehr guten Umfragewerte für Biden überzubewerten und zu glauben, man habe schon gewonnen – nur weil Trump "so offensichtlich" einen schlechten Job als Präsident mache.
Die "New York Times" berichtet, Obama habe Biden selbst konkrete Ratschläge für seinen Wahlkampf gegeben: kürzere Reden, knackigere Tweets und Interviews, mehr Fokus auf die wirtschaftliche Lage in den USA.
Bei einem anderen Fundraiser auf der Videoplattform Zoom soll Obama sich laut "New York Times" über Trump in Rage geredet haben: Dass der Präsident für das Coronavirus rassistische Ausdrücke wie "chinesische Grippe" oder "Kung Flu" gebrauche – "das kotzt mich an", soll Obama gesagt haben.
Neben dem ehemaligen Präsidenten wird auch die ehemalige First Lady Michelle Obama wieder deutlich sichtbarer auf der politischen Bühne. Sie engagiert sich öffentlich in ihrer Kampagne "When We All Vote", um mehr Menschen in den USA dazu zu bringen, sich in die Wählerverzeichnisse eintragen zu lassen. Beim Wahlsieg Trumps 2016 hatten sich viele afroamerikanische Wähler nicht registriert, die 2012 noch für Obama gestimmt hatten.
Michelle Obama selbst strebt aber anscheinend keine politische Karriere an. Die "Washington Post" zitiert Valerie Jarrett, eine langjährige Freundin der Obamas, zu den politischen Ambitionen der ehemaligen First Lady so:
Zwei Gründe haben vor allem Barack Obama dazu gebracht, sich wieder stärker für die Demokraten zu engagieren. Zum einen sind da die wiederholten Attacken des amtierenden Präsidenten Donald Trump auf seinen Vorgänger im Amt.
Trump arbeitet sich seit Jahren an Barack Obama ab. Mehrere Beobachter bescheinigen Trump eine "Besessenheit" gegenüber dem ersten Schwarzen US-Präsidenten. Schon im Jahr 2011 propagierte Trump den sogenannten Birther-Verschwörungsmythos – also die Lüge, dass Obama nicht in den USA geboren sei (und damit nie das Recht gehabt habe, Präsident zu werden).
Kurz nach Obamas Amtsübergabe an Trump verbreitete er im Februar 2017 die Anschuldigung, Obama habe die Telefone der Trump-Wahlkampagne abhören lassen – ohne dafür bisher Belege zu liefern. Im April 2020 warf Trump Obama schließlich Geheimnisverrat im Fall von Trumps früherem Sicherheitsberater Michael Flynn vor.
Zum anderen hat nach Einschätzung mehrerer US-Medien der breite Anti-Rassismus-Protest nach der Tötung George Floyds Obama zusätzlich und vielleicht endgültig motiviert, sich stärker zu engagieren.
Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik an der Universität zu Köln, teilt diese Einschätzung. Jäger sagt, Obama wolle zwar auf keinen Fall, dass sein Ruf als Ex-Präsident unter einem Schlagabtausch mit Trump leidet. Nach Floyds Tod aber sehe Obama den richtigen Moment gekommen, gegen Trump vorzugehen:
Barack Obama ist zur Zeit beliebter als während eines großen Teils seiner Präsidentschaft – und offenbar beliebter, als die beiden Kandidaten für die Wahl im November. Laut einer Umfrage der Monmouth University im US-Bundesstaat New Jersey bewerten aktuell 57 Prozent der US-Amerikaner Obama positiv. Nur 41 Prozent der Befragten denken hingegen positiv über den demokratischen Kandidaten Biden, nur 40 Prozent über Trump. Laut dem US-Fernsehsender NBC ist Obama vor allem bei jüngeren Wählern und insbesondere bei Schwarzen beliebt.
Das renommierte Nachrichtenmagazin U.S. News & World Report fasst es so zusammen:
Das Engagement Obamas könnte zu einer Art Doppelstrategie der US-Demokraten passen, analysiert das Magazin weiter: Während Biden sich an der konkreten Politik abarbeiten könne, könnte Barack Obama als Ex-Präsident von einer herausgehobenen Stellung sprechen. Er könne damit gerade jüngere Wähler und Angehörige von Minderheiten erreichen.
USA-Experte Thomas Jäger sagt dazu:
Auch Michelle Obama ist weithin beliebt. Ihre Autobiografie "Becoming" und die damit verbundene Lesereise durch die USA haben ihr nicht nur Einnahmen in Millionenhöhe, sondern auch einen erheblichen Popularitätsschub beschert.
Wie groß ihre Zugkraft sein kann, verdeutlicht eine Episode, die Muriel E. Bowser, Bürgermeisterin der US-Hauptstadt Washington, in der "Washington Post" geschildert hat: Michelle Obama habe sich ehrenamtlich für die Coronavirus-Prävention engagiert, indem sie einen Robocall, eine automatische Ansage für Telefonanrufe, mit Informationen zu Corona-Tests aufnahm. Unmittelbar nachdem die automatischen Anrufe mit Michelle Obamas begonnen hatten, hätten dreimal so viele Menschen bei den Corona-Testzentren der Stadt angerufen wie vorher, berichtet Bowser.
Dank dieser Popularität könnte Michelle Obama über ihre Kampagne zur Wählerregistrierung den Demokraten also deutlich mehr Stimmen bei der Präsidentschaftswahl bescheren – und damit das politische Engagement ihres Mannes für Joe Biden ergänzen.
Das Engagement der Obamas birgt für die Demokraten aber auch ein erhebliches Risiko. Denn der Ex-Präsident kann nicht nur seine Fans mobilisieren, sondern auch seine Gegner.
Trump scheint im Präsidentschaftswahlkampf momentan vor allem eine Strategie zu verfolgen: Durch spalterische, aggressive Worte seine Basis aus ganz überwiegend weißen, sehr konservativen bis rechtsradikalen Wählern zu mobilisieren. Ein krasses Beispiel dafür war Trumps Rede am 4. Juli, dem Nationalfeiertag: Trump sprach vor dem vor allem bei Konservativen und Rechten beliebten Denkmal Mount Rushmore und warnte dort im Zusammenhang mit den Black-Lives-Matter-Protesten vor "linksextremen Demonstranten", die das "Ende Amerikas" wollten. Seine Anhänger feierten Trump für die Rede – das liberale, dem demokratischen Lager zugeneigte, Amerika war entsetzt.
Die Demokraten wiederum setzen mit Biden auf einen Kandidaten, der sich als moderater Versöhner inszeniert. Der davon spricht, die Gräben zwischen Links und Rechts, zwischen ethnischen Gruppen, zwischen den Metropolen an den Küsten und den ländlichen USA zuzuschütten. Ein Ziel der Biden-Kampagne: traditionell republikanische und unentschlossene Wähler dazu zu bringen, Biden zu wählen und nicht Trump.
Barack Obama aber gilt bei vielen Republikanern als Linker. Sein stärkeres Engagement könnte daher viele eher konservative Wähler, die Probleme mit Donald Trump haben, dazu bringen, trotzdem lieber den Amtsinhaber zu wählen als seinen demokratischen Gegenkandidaten.
US-Experte Thomas Jäger fasst dieses Risiko für Bidens Kampagne so zusammen:
Die Entscheidung, ob Obama sich am Ende noch weiter einbringt, wird er laut Jäger aber vor allem von seinem eigenen Interesse abhängig machen. Der USA-Experte sagt: