Jetzt ist die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses nun schon zehn Tage her – und in der Hauptstadt wird sondiert und beraten. Grün mit Schwarz. Schwarz mit Rot. Grün mit Rot und Rot.
Die CDU hat als Wahlsiegerin der Wiederholungswahl am Freitag mit Sondierungsgesprächen begonnen. Erst mit der SPD und dann mit den Grünen. Am Mittwoch trafen Christdemokrat:innen und Grüne erneut aufeinander.
Dass in dieser Legislaturperiode eine Große Koalition in Berlin regieren wird, ist einigermaßen unwahrscheinlich – hat doch die Landes-CDU damit geworben, die SPD verscheuchen zu wollen. Es wird also mit großer Wahrscheinlichkeit irgendeine Farbmischung aus Grün und noch etwas.
Und dieses "noch etwas" ist gar nicht mal so irrelevant für die Öko-Partei.
Die Grünen hatten sich eigentlich wieder einmal auf die Fahne geschrieben, Erstplatzierte bei der Berliner Wahl zu werden. Man wollte mit der Spitzenkandidatin Bettina Jarasch unbedingt die regierende Bürgermeisterin stellen.
Dieser Traum ist zwar ausgeträumt, aber dennoch: Kann eine schwarz-grüne Koalition oder gar die Weiterführung von Rot-Grün-Rot den Grünen das Genick brechen? Haben die Berliner Entscheidungen Auswirkungen auf die Bundesgrünen?
Darüber gibt es geteilte Meinungen. Uwe Jun etwa glaubt nicht daran. Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher von der Universität Trier meint, Landespolitik bleibe Landespolitik – und das wüssten auch die Wähler:innen.
"Die Wahl war ja eher von landespolitischen Themen bestimmt", meint der Experte im Gespräch mit watson. "Es gab eine klare Unzufriedenheit mit der Landesregierung – darunter hatte vornehmlich die Regierungschefin zu leiden." Also die SPD-Frau Franziska Giffey. Und selbst, wenn die Grünen nun ein Bündnis mit der CDU eingingen, würde das laut Jun der Bundespartei nicht schaden. "Man wird darauf verweisen, dass das eine landespolitische Entscheidung gewesen ist." Die CDU als Wahlsiegerin müsste jedoch in dieser Konstellation massive Kompromisse eingehen.
Jun sagt:
Heißt: Auch wenn sie den Grünen laut Jun nicht schaden würde – eine schwarz-grüne Koalition hält der Parteienforscher für unwahrscheinlich.
Die Politikredakteurin Corinna Emundts von der "Tagesschau" sieht in der Berlin-Wahl allerdings bereits Vorboten für die Bundespolitik. Allein, weil ein schwarz-grünes Bündnis im Gespräch ist, werde in der Partei so kontrovers diskutiert, wie schon lange nicht mehr – und das eben nicht nur auf Landesebene, wie Emundts schreibt.
Daraus, dass die Grünen in Berlin sogar Stimmen an die CDU verloren hätten, könne man auch auf Bundesebene Lehren ziehen. Kritik kommt da etwa (natürlich nur intern, hinter vorgehaltener Hand), die Berliner Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hätte sich zu sehr darauf fokussiert, die Anti-Auto-Klientel zu bedienen. Emundts schreibt:
Spannend würde es zudem auf Bundesebene, weil der linke Flügel der Grünen auf die Barrikaden gehen würde. Allen voran die Jugendorganisation der Grünen.
Deren Landessprecher, Kasimir Heldmann, hatte schon am Wahlabend gegenüber watson gesagt, dass er das Ergebnis der CDU "enttäuschend" findet. Die CDU sei eine Partei für die älteren und reicheren Berliner:innen.
Auch seine Kollegin, Luna Afran Evans äußerte sich klar gegen eine Koalition mit der CDU: "Für uns als Grüne Jugend ist klar, dass wir eine Koalition mit der CDU ausschließen. Kai Wegner und die Berliner CDU haben weder Rassismus noch die Klimakrise verstanden. Sie haben einen spalterischen Wahlkampf betrieben", sagte sie der "Berliner Zeitung"
Dass sie hier von dem Bundesverband der Grünen Jugend Unterstützung bekämen, steht außer Frage. Vor allem, nachdem sich die Berliner CDU im Wahlkampf noch konservativer gegeben hatte, als man zunächst angenommen hatte. Als der Wahlkampf so langsam ins Rollen kam, wollten sowohl Grüne als auch die CDU erstmal kein böses Blut fließen lassen. Es gab Annäherungsversuche, man spreche miteinander, menschlich sei man sich positiv gesonnen, hieß es von den Parteispitzen.
Auch jetzt gibt sich der Fraktionschef der Berliner Grünen, Werner Graf, der CDU wohlgesonnen: Nach der ersten Sondierungsrunde siehe er eine "vertrauensvolle Basis". Das sagte er dem "Tagesspiegel" am Montag. "Es ist kein Geheimnis, dass Kai Wegner und ich eine gute Beziehung miteinander haben – wir mögen uns." Doch er ruderte auch schon gleich wieder ein wenig zurück: In der Politik gehe es aber weniger um Freundschaft als darum, Ziele gemeinsam erreichen zu können.
Mit den Krawallen in der Nacht zum 1. Januar kamen jedoch gerade für das linke Spektrum der Grünen die Gegensätze wieder deutlich zum Vorschein. Die CDU fragte nach den Vornamen der Verdächtigen, was die Grünen mächtig aufbrachte. Und zwar bundesweit.
Dann gibt es aber doch wieder Vorteile, wenn sich die Grünen für die CDU entscheiden würden. Versuche auf Landesebene hat es in anderen Bundesländern schon gegeben – und zwar einigermaßen erfolgreiche – siehe Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein.
Gleichzeitig zeichnet sich immer mehr ab, dass Grüne und SPD – die ja in der Vergangenheit immer Wunschpartner gewesen sind – mit der Zeit nun Konkurrent:innen gewordenen sind. Zahlenmäßig sind beide Parteien seit Jahren schon nicht mehr weit voneinander entfernt. Kurz vor der Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen bereits einen Vorsprung, bis sie am Ende doch wieder absackten.
Konkurrenten waren sie auch bei der Berliner Wahl. Bettina Jarasch wollte an Franziska Giffey vorbeiziehen.
Und auch bei der nächsten Bundestagswahl 2025 könnte es wieder ein solches Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Und wenn es die Berliner Grünen – deren Fokus ja noch immer auf der Verkehrspolitik liegt – schaffen würden, mit der CDU zu koalieren, könnte das tatsächlich ein Vorbild für den Bund sein.
Bundesweiter Streit ist also in jeder Konstellation vorprogrammiert.