Was viele vielleicht überrascht: Andreas Scheuer ist erst seit zweieinhalb Jahren Bundesverkehrsminister. Seit Mitte März 2018 hat der CSU-Politiker aus Niederbayern so viele bemerkenswerte Schlagzeilen produziert wie andere Minister nicht in zwei Amtszeiten.
Heftig kritisiert wird Scheuer für seine Arbeit schon lange, seine Beliebtheitswerte in Umfragen sind stabil im Keller. Jetzt aber wird es wirklich eng für den 45-Jährigen, der vor seiner Ernennung jahrelang als CSU-Generalsekretär dafür zuständig war, seine Partei mit kernig-konservativen Sprüchen in den Schlagzeilen zu halten. Am kommenden Donnerstag wird Andreas Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Pkw-Maut aussagen.
Und wenn keine große Überraschung dazwischenkommt, dann wird Andreas Scheuer danach nicht mehr lange Bundesverkehrsminister sein.
Und dafür gibt es fünf gute Gründe.
Das einstige CSU-Herzensprojekt Pkw-Maut, für das die Partei im Bundestagswahl 2013 unter dem Namen "Ausländermaut" warb, ist im Juni 2019 gescheitert. Damals urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Maut, die letztlich nur ausländische Autofahrer zahlen sollten, gegen Europarecht verstößt. Damit war die Maut gescheitert.
Das Maut-Debakel wird seit Monaten in einem Untersuchungsausschuss im Bundestag aufgearbeitet. Eine der wichtigsten Fragen: Ist Andreas Scheuer dafür verantwortlich, dass die gescheiterte Pkw-Maut die deutschen Steuerzahler womöglich hunderte Millionen Euro an Entschädigung kostet? Das Geld wollen die Unternehmen, die die Maut für den deutschen Staat eintreiben sollten, vom deutschen Staat haben. Der Grund für ihre Forderung: Scheuer hatte mit ihnen schon einen Vertrag über die Maut abgeschlossen – Monate, bevor der EuGH sein Urteil fällte.
Scheuer hat bisher immer betont, er habe keine andere Wahl gehabt, als die Verträge zu unterschreiben. Der Spiegel hat aber schon vor Monaten berichtet, dass das womöglich nicht stimmt: Die Betreiber hätten Scheuer sehr wohl angeboten, die Unterschrift bis nach dem EuGH-Urteil zu verschieben. Der Minister soll das aber abgelehnt haben, weil er die Maut noch 2020 hätte einführen wollen. Scheuer musste wegen des Berichts in einer Fragestunde vor dem Bundestag auftreten. Auf die Frage, ob ihm angeboten wurde, den Mautvertrag später zu unterschreiben, sagte er:
Doch laut "Spiegel" war das wohl gelogen. Das Magazin hat jetzt einen Artikel mit weiteren Informationen vorgelegt, die Scheuer belasten. Demnach gibt es ein Gedächtnisprotokoll von einem Treffen der Betreiber mit Scheuer. Darin sollen sie dem Minister angeboten haben, mit der Unterschrift bis nach dem Urteil zu warten.
Außerdem, auch das geht aus dem "Spiegel"-Artikel hervor, soll Scheuer laut einem Gesprächsprotokoll der Maut-Betreiber nach dem Scheitern der Maut die Betreiber unter Druck gesetzt haben, selbst zu lügen. Scheuer kündigte die Verträge mit den Betreibern nach dem EuGH-Urteil. Als Grund nannte er neben dem Urteil auch angebliche Mängel bei den Betreibern: Diese hätten bestimmte Planungsdokumente zu spät geliefert. In einem Gespräch mit den Betreibern soll Scheuer ihnen laut dem Protokoll danach sinngemäß gesagt haben, er könne die Mängel als Kündigungsgrund entfernen – wenn die Betreiber wiederum Scheuers Aussage stützten, dass er schon vor dem Urteil keine andere Wahl gehabt hätte, als den Vertrag zu unterschreiben.
Sollte sich bewahrheiten, was der "Spiegel" berichtet, wird die SPD, Koalitionspartnerin von CDU und CSU, Scheuers Entlassung fordern.
Und es dürfte dann selbst in Scheuers CSU kaum noch Stimmen für Scheuer geben. Denn CSU-Chef Markus Söder hat sich seit Wochen nicht mehr für Andreas Scheuer ausgesprochen.
Mehrfach ist Söder im vergangenen Sommer in Interviews zu Verkehrsminister Scheuer gefragt worden: zur allgemeinen Kritik an seiner Arbeit, zu dem Debakel um die neue Straßenverkehrsordnung, zu seinem missglückten Vorstoß für eine europäische Pkw-Maut,
zum längst nicht vergessenen Schlamassel um die gescheiterte deutsche Pkw-Maut, das ab Mitte September wieder im Bundestag in einem Untersuchungsausschuss unter die Lupe genommen wird. Und auf diese Fragen hat Söder bemerkenswert kühl und distanziert geantwortet, unter anderem im ARD-Sommerinterview.
"Mit unglaublichem Fleiß und Engagement": Das klingt wie die berüchtigte Formulierung "Er war stets bemüht" in Arbeitszeugnissen. Die bedeutet übersetzt ins Alltagsdeutsch bekanntlich: Er hat sich angestrengt, aber es hat halt nicht gereicht.
Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt über Söders Verhältnis zu Scheuer: "Für Insider ist klar: Der CSU-Chef werde wohl nicht zögern, Scheuer fallen zu lassen, wenn sich die Vorwürfe rund um die Pkw-Maut bewahrheiten."
Seit 2009 stellt die CSU den Verkehrsminister. Und seit 2009 stehen die jeweiligen bayerischen Politiker regelmäßig in der Kritik: Peter Ramsauer brachte Großprojekte wie Stuttgart 21 und den Hauptstadtflughafen BER kaum voran, für Alexander Dobrindt bedeutete Verkehrspolitik vor allem, neue Autobahnen und Ortsumgehungen zu bauen (besonders gerne im eigenen Wahlkreis). Aber die Pannenserie bei Scheuer ist schon bemerkenswert. Und es ist nicht nur das Maut-Debakel. Vier weitere Beispiele für gescheiterte Projekte, die Scheuer zu verantworten hat:
Andreas Scheuer ist laut Umfragen seit längerer Zeit der mit Abstand unbeliebteste Minister dieser Bundesregierung. Der jüngste Beleg: Der am 25. September aktualisierte repräsentative "Spiegel-Regierungsmonitor" ergibt für Scheuer einen Beliebtheitswert von -147 bei den befragten Bürgern – auf einer Skala, deren schlechtester Wert bei -200 und deren bester bei +200 liegt. Das ist der schlechteste Wert aller Minister. Zum Vergleich: Der alles andere als unumstrittene CSU-Innenminister Horst Seehofer kommt auf einen Wert von -59, Bundeskanzlerin Angela Merkel auf +20.
Für die CSU sind solche grottenschlechten Beliebtheitswerte Gift: Die Partei liegt momentan im Umfragehoch, in Bayern würden aktuell bei einer Landtagswahl fast 50 Prozent für sie stimmen. Parteichef Söder weiß, dass es eher unwahrscheinlich ist, bei der kommenden Bundestagswahl 2021 ähnlich stark abzuschneiden. Aber der Stratege Söder will alle Probleme aus dem Weg räumen, die seiner Partei Sympathie kosten können. Und Andreas Scheuer ist ein solches Hindernis.
Wer mit Politikerinnen und Politikern der Grünen spricht und den Namen Andreas Scheuer nennt, der bekommt oft ein Augenrollen zurück. Scheuer ist ein Grünen-Schreck. Wegen der Pkw-Maut, wegen seiner Haltung zu den Themen Feinstaub und Dieselfahrverbote. Und, weil er seit Jahren konsequent gegen ein Tempolimit auf Autobahnen eintritt. Im Januar 2019 sagte Scheuer sogar, eine Begrenzung sei "gegen jeden Menschenverstand".
In seiner Zeit als CSU-Generalsekretär hat er regelmäßig umstrittene bis fragwürdige Sätze über Asylbewerber gesagt, am bekanntesten bis heute ist dieser, den er im September 2016 aussprach:
Diese abschreckende Wirkung Scheuers auf die Grünen kann sich die CSU in absehbarer Zeit nicht mehr leisten. Die wahrscheinlichste Koalition nach der nächsten Bundestagswahl wird eine schwarz-grüne – oder zumindest eine, an der sowohl Union als auch Grüne beteiligt sind. Schwer vorstellbar, dass Andreas Scheuer darin noch Platz findet.
Am wahrscheinlichsten ist aber sowieso, dass er schon vorher seinen Platz im Verkehrsministerium räumen muss.