Die Flutkatastrophe in Westdeutschland, Waldbrände in Südeuropa und der Türkei sowie Berichte über einen sich abschwächenden Golfstrom – dieser Tage überschlagen sich die Meldungen zu den Folgen der klimatischen Veränderungen geradezu. Obwohl der Kampf gegen den Klimawandel zum Markenkern der Grünen gehört, scheinen sie mit Blick auf Wahlumfragen nicht automatisch stärker zu punkten. Liegt das womöglich an den persönlichen Fehlern von Annalena Baerbock, der grünen Kanzlerkandidatin?
Ihr Co-Parteivorsitzender Robert Habeck muss sich jedenfalls im ZDF-Sommerinterview zunächst einmal für einen "vermurksten Wahlkampf" rechtfertigen, wie es die Journalistin Shakuntala Banerjee ausdrückt. Jüngst erfuhr die Partei nämlich ihren nächsten Rückschlag: Die Landesliste der Grünen im Saarland bleibt nach parteiinternen Querelen von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Eine riesige Blamage.
"Das ist wirklich eine bescheidene Situation", sagt Habeck. Im Vorfeld habe man offensichtlich nicht genug getan, um den Ausschluss der Landesliste im Saarland zu verhindern, gesteht der 51-Jährige ein. Die Aufgabe der Grünen sei es jetzt, die Stimmen, die man dort nicht bekommen werde, an anderer Stelle doppelt einzusammeln. Sein eigener Wahlkreis sei beispielsweise so groß wie das Saarland.
Banerjee lässt jedoch nicht locker und will wissen, ob Habeck, Baerbock oder jemand anderes aus der Parteizentrale nicht vorab in das Saarland gereist sei, um den Ausschluss von der Bundestagswahl zu verhindern. Dieser Frage weicht der Grünen-Chef allerdings aus: Man habe immer wieder Kontakt gehabt, aber offensichtlich hätten es weder die Parteispitze noch der saarländische Landesverband geschafft, "das Problem frühzeitig zu lösen". Jetzt gelte es nach vorne zu schauen.
Doch Banerjee schaut zurück: Auf die Fehler von Annalena Baerbock und will von Habeck wissen, ob es aufgrund dessen nicht nötig sei, die Kanzlerkandidatin auszutauschen. Zumal sie deutlich niedrigere Sympathiewerte habe als Habeck selbst. Doch der Co-Parteivorsitzende wiegelt ab: "Frau Baerbock ist geeignet für das Kanzleramt und unsere Aufgabe ist es, dass die Grünen stark werden."
Insgesamt vergeht mehr als ein Drittel des 20-minütigen Sommerinterviews, bevor über konkrete Sachthemen gesprochen wird. Das ist wohl auch sinnbildlich für den bisherigen Wahlkampf, der weniger von inhaltlichen Debatten geprägt war und mehr von der öffentlichen Empörung über die persönlichen Verfehlungen der drei Kanzlerkandidaten.
Corona bleibt nichtsdestotrotz ein bestimmendes Thema. Rund 62 Prozent der deutschen Bevölkerung sind bereits einmal geimpft. Doch das Tempo der Impfkampagne hat in den vergangenen Wochen merklich abgenommen. Deshalb steht schon länger die Frage im Raum, wie mit Menschen ohne Impfung umzugehen ist. "Es wird einen Unterschied geben im Zugang von Rechten und in der Freiheit des Lebens zwischen Geimpften und Ungeimpften", sagt Habeck.
Es gehe nicht darum Ungeimpfte auszuschließen, sondern darum, geimpften Menschen "ihre Grundrechte und ein freies Leben zurückzugeben". Eine Impfpflicht lehnt der Grünen-Chef zwar ab, jedoch betont er:
Um eine bessere Impfquoten zu erreichen brauche es mehr niedrigschwellige Angebote, so Habeck, etwa vor Discountern, Tafeln oder Schulen. "Diese Mittel sind noch gar nicht ausgeschöpt, das ist der Weg."
Anders als das Bundesgesundheitsministerium fordert Habeck außerdem, dass Corona-Tests kostenlos bleiben – auch für Ungeimpfte. Es gehe darum zu erkennen, wo das Virus ist. Mit kostenpflichtigen Tests lege man jedoch die Hürde für diejenigen höher, die sich nicht impfen lassen wollen. Deshalb meint der Grünen-Chef: "Das ist die falsche Maßnahme, die Leute zum Impfen zu motivieren."
Eine ebenso klare Haltung haben die Grünen laut Habeck, wenn es um geflüchtete Menschen aus Afghanistan geht: Dorthin soll zu diesem Zeitpunkt niemand abgeschoben werden. Nachdem alle deutschen und ein Großteil der US-amerikanischen Truppen bereits abgezogen wurde, rücken die militant-islamistischen Taliban im Land immer weiter vor und haben bereits mehrere Provinzhauptstädte erobert.
Die Bundesregierung plant trotzdem keinen generellen Abschiebestopp für Menschen aus Afghanistan. Doch auch Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung schieben weiter in das Land ab, merkt Banerjee an. Ob das keine Doppelmoral sei, fragt sie Habeck.
Der Grünen-Chef weist den Vorwurf von sich, sieht stattdessen das Auswärtige Amt in der Verantwortung: Nach dem Truppenabzug habe sich die Sicherheitslage in dem Land verändert, dementsprechend müsse das Auswärtige Amt auch den Lagebericht korrigieren, auf dessen Grundlage Abschiebungen erfolgen.
"Wir wollen auch Verantwortung für die Geflüchteten aus Afghanistan übernehmen. Es ist nicht so, dass wir die 'Klimaschutzpartei only' sind", betont Habeck.
Auf den Klimaschutz kommt Banerjee tatsächlich erst kurz vor Schluss zu sprechen – nach Habecks Geschmack sicherlich zu spät. Schließlich hat seine Partei erst vor wenigen Tagen ein ambitioniertes "Klimaschutz-Sofortprogramm" präsentiert. Im Fall einer Beteiligung der Grünen an der nächsten Bundesregierung sieht es millardenschwere Investitionspakete in Klimaschutz-Maßnahmen vor.
Am Ende kann der Grünen-Chef nur rasch die angestrebte Finanzierung des Programms verteidigen, bevor die Journalistin zum Abschluss noch einmal den Blick auf die Bundestagswahl lenkt. Wo werden die Grünen in sieben Wochen landen? "Wir haben den Anspruch ums Kanzleramt zu kämpfen", sagt Habeck, "Und vor allem geht es aber darum, in die Regierung zu kommen."