Feiertage. Die Uni hat zu, viele müssen nicht arbeiten, man verbringt oft Zeit mit der Familie. Doch irgendwann fällt einem die Decke auf den Kopf. Also raus, ab aufs Rad und eine Runde drehen.
Was auf dem Dorf jederzeit möglich ist, gestaltet sich allerdings in (Groß-)Städten, wie Berlin, oft als problematisch. Wohin nur? Und wie komme ich möglichst schnell und unfallfrei aus der Beton- und Blechwüste raus ins Grüne?
Denn nicht selten muss man zunächst mehrere Kilometer des städtischen Radnetzes, unzählige Ampeln und dutzende hupende Autos oder Busse in Kauf nehmen, um den Asphalt verlassen zu können. Doch wie steht es eigentlich um das Radnetz in Deutschland und was können wir von anderen Ländern lernen? Watson hat bei Zukunfts- und Mobilitätsforscher Stefan Carsten sowie dem Politiker der Klimaliste Berlin und Rad-Lobbyist Ingwar Perowanowitsch nachgefragt.
Generell steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht allzu schlecht dar, betont Ingwar Perowanowitsch. Zwar seien Länder, wie Dänemark oder die Niederlande um Längen voraus, aber "Berlin hat es als erste Stadt überhaupt geschafft, ein Mobilitätsgesetz zu verabschieden."
Darin festgehalten ist unter anderem, dass alle Hauptstraßen bis 2030 einen geschützten Radweg erhalten sollen. Das bedeutet, der Weg muss mindestens 2,50 Meter breit sein, sodass sich zwei Lastenräder überholen könnten. Er muss geteert sein und mit einem roten Anstrich versehen, damit er sich vom Rest der Straße abhebt.
Dennoch sei man davon noch weit entfernt, fasst der Fahrradaktivist zusammen.
"Eine Stadt kann nur fahrradfreundlicher werden, indem Spuren für Autos und Parkplätze reduziert werden und den Fahrradfahrern, Fußgängern und dem ÖPNV gewidmet werden", betont Stefan Carsten. "Das nenne ich Road Diet".
Zwar habe man in Berlin mit dem Mobilitätsgesetz einen ersten Ansatz geschaffen. Die neue Regierung um Kai Wegner werfe die Stadt allerdings um viele Jahre zurück.
Perowanowitsch unterstreicht in diesem Zusammenhang: "Als Fahrrad-Lobby sollten wir einfordern, in jeder Stadt eine flächendeckende Radinfrastruktur zur Verfügung gestellt zu bekommen." Und fügt hinzu: "Autofahrer werden auch nicht damit konfrontiert, dass ihre Straße plötzlich endet."
Komplett autofreie Städte wären dann der Bonus, allerdings hätten Radfahrer darauf kein Recht. Wohl aber auf eine sichere Radinfrastruktur.
Dabei reiche es allerdings nicht, ein Ziel vor Augen zu haben, gibt Zukunftsforscher Carsten zu bedenken. "Es braucht auch Verkehrsplaner und Mobilitätsplaner, die in der Lage sind, dieses Ziel umzusetzen."
Um eine fahrradfreundliche Stadt der Zukunft zu werden, müsse man sich zunächst die Frage stellen: Was ist das Ziel für die zukünftige Mobilität? "Das Zielbild ist im Moment, dass der Anteil des Autos sich um die 20 Prozent einpendeln soll und dass der Umweltverbund rund 80 Prozent Anteil hat", erklärt Carsten. Dieses Ziel sei nur zu erreichen, indem der gesamte Straßenraum und dessen Bürgersteige neu gedacht würden. "Da reicht es nicht, einfach eine Radspur hinzuzufügen."
Vielmehr brauche es eine Priorität und den klaren gesellschaftlichen Willen, dass das Fahrrad neben dem ÖPNV das Verkehrsmittel der Zukunft ist, fügt der Mobilitätsforscher hinzu.
Während man in Städten wie Berlin noch Schlangenlinien um Bäume fahren muss und Gefahr läuft, auf der Busspur – die oft auch zeitgleich die Radspur ist – überrollt zu werden, haben es Städte wie Paris, Brüssel oder Amsterdam verstanden.
In Amsterdam hat beispielsweise Anfang des Jahres die erste Unterwasser-Fahrradgarage eröffnet. Und in anderen Städten ist man mit dem Fahrrad in einer Parallelwelt unterwegs: eigene Ampeln, eigene Straßen, ein eigenes Verkehrssystem.
Solche Prestigeprojekte wie in Amsterdam sind wichtig, meinen Perowanowitsch und Carsten. Auch in Deutschland. "Wir brauchen positive Beispiele, um zu zeigen, wie eine zukunftsorientierte Fahrradstadt funktionieren kann", meint Carsten. Hamburg beispielsweise gehe mit einer in Teilen autofreien Innenstadt und zweistöckigen Parkgaragen für Fahrräder in Deutschland als Vorreiter voran.
"Prestigeprojekte können helfen, Anreize für mehr Fahrradfahren zu schaffen. Jede Stadt bräuchte ein solches Prestigeprojekt", fordert Fahrradaktivist Perowanowitsch.
Die Finanzierung der Verkehrswende sei dabei – entgegen vieler Kritiker:innen – kein Problem, betonen Carsten und Perowanowitsch. "Wir stecken extrem viel öffentliche Steuergelder in das System Auto. Und nur einen Bruchteil in Radwege. Es ist nur eine Frage der Priorisierung", sagt Carsten.
Er betont allerdings auch: "Volker Wissing ist nicht der richtige Akteur für eine zukunftsfähige Stadt und Mobilität. Da müssen wir auf die nächste Mobilitätsministerin warten."
Perowanowitsch führt vor allem an, dass die vom Bund bereitgestellten Gelder häufig nur nicht abgerufen würden. Woran es hingegen aber mangele, sei das benötigte Personal: "Es bewerben sich zu wenig Menschen auf den Posten des Radverkehrsplaners." Und am politischen und somit auch gesellschaftlichen Willen. Er fordert: "Es braucht mehr mutige Politiker, die auch einen Streit nicht scheuen. Autofahrer sind in vielen Städten eine laute Minderheit."