Parkinson, Krebs, eine psychische Krankheit – dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wurden in den vergangenen Wochen so einige Krankheiten nachgesagt.
Auf Bildern wirkt er aufgeschwemmt, bei Auftritten unsicher, fast schon zerbrechlich. Bei einem Treffen mit seinem Verteidigungsminister Sergej Shoigu zittert sein Bein. Ein anderes Mal hält er sich an der Tischkante fest. Das sind alles Beobachtungen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten machen ließen.
Wladimir Putin steht unter ständiger internationaler Beobachtung. Jedes Detail wird analysiert. Es werden Hinweise gesucht, die etwas über Putins brutalen Einmarsch in die Ukraine verraten.
Körpersprache-Experte Stefan Verra warnt allerdings vor Ferndiagnosen dieser Art. Um bei Putin eine Krankheit zu erkennen, müsste diese sehr offensichtlich sein, wie beispielsweise eine Gesichtsverletzung, sagt Verra im Gespräch mit watson.
Das bestätigt auch Körpersprache-Expertin Monika Matschnig auf Anfrage von watson:
Körpersprache könne keine inneren Vorgänge offenbaren, sagt Stefan Verra. Also weder, ob Putin in einem Gespräch gelogen, noch, dass er eine bestimmte Krankheit hätte.
"Es ist ein Schuldeingeständnis des Westens, dass sich eine Krankheit Putins herbei gewünscht wird", vermutet der Experte. Denn man habe bis wenige Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine noch Geschäfte mit Russland gemacht. Dann ist Putin aber einen Schritt zu weit gegangen und hat die Ukraine überfallen. "Jetzt will man sagen: Bisher war er ja okay, aber jetzt ist er psychisch oder körperlich krank. Deshalb können wir nichts dafür."
Verra betont allerdings: "Putins Körpersprache hat sich in den vergangenen Monaten nicht verändert." Es gebe nur einen Unterschied: Er ist mittlerweile knapp 70 Jahre alt.
Deshalb bewege sich Putin auch langsamer und seine Mimik sei noch weniger ausdrucksstark, als sie es ohnehin schon gewesen sei. Laut des Experten war diese schon immer enorm zurückhaltend, schon fast versteinert. Das Älterwerden verstärke das noch weiter.
Ein Video eines Treffens zwischen Putin und dem russischen Verteidigungsminister Sergej Shoigu im April wird aktuell häufig herangezogen. Damit sollen eventuelle Auffälligkeiten und Krankheitsanzeichen bei Putin zu dokumentiert werden. Stefan Verra sieht hier allerdings keine Anzeichen von Parkinson. Dafür habe sich Putin zu elegant auf den Stuhl gesetzt, ihn zu kraftvoll herangezogen. Auch ein Heben des rechten Daumens und seines Fußes würden nicht auf Parkinson hindeuten.
Der Stuhl sei einfach ungeschickt gewählt worden, sagt Verra. Die Armlehnen seien zu hoch für Putin. Daraus folgte, dass die Schultern hochgezogen wirkten und Falten unterhalb des Kinnes entstanden seien als Putin seine Arme aufstützte.
Putins Mimik sei hier – wie auch schon seit Jahrzehnten – nichtssagend und unbewegt. Sie solle vermitteln: Mit mir ist nicht zu spaßen.
Genau das sei Putins Erfolgsrezept, meint der Körpersprache-Experte. Allerdings nicht etwa in der Außenwirkung, sondern nach innen. Gegenüber seinem Volk. Putin müsse die russische Bevölkerung jetzt, mehr denn je, hinter sich behalten. Deshalb müsse er so unnachgiebig wirken, sagt Verra.
Putin ist an die Macht gekommen, als Russland von Oligarchen beherrscht wurde. Gegen diese habe er sich behauptet – und dabei sei seine harte Körpersprache enorm wichtig gewesen, sagt der Experte. Je mehr das körperliche Überleben der Bevölkerung im Fokus stehe, desto mehr Kraft müsste seitens des Präsidenten vermittelt werden.
"Die Körpersprache eines Spitzenpolitikers spiegelt immer das momentane Bedürfnis einer Bevölkerung wider", sagt Verra. Wenn das Volk das Gefühl habe, es werde chaotisch im Land, wolle es eine starke Führungsperson. Das biete Putin.
Das Treffen mit Shoigu sei, genau wie in vielen anderen Fällen in den letzten Jahren, inszeniert, meint Verra. Ein abtrünniger Politiker erstattet Bericht, sobald Putin das verlange. Reiche Unternehmer leisten – zunächst verweigerte – Unterschriften, sobald Putin dazu aufrufe. Und angeblich zufällig seien bei jedem dieser Treffen Medien vor Ort, die das Geschehen dokumentieren. Das demonstriert Macht, sagt Verra.
Genau das Gleiche lasse sich in der Türkei beobachten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan müsse ebenso wenig wie Putin um seine Wählerschaft kämpfen, meint der Experte. Ein großer Teil des Volkes sei auf ihrer Seite, die großen Medien gleichgeschaltet.
Anders als in Deutschland. Hier müssen Politikerinnen und Politiker spätestens alle vier Jahre um das Vertrauen der Bevölkerung kämpfen. Bei der vergangenen Bundestagswahl im September 2021 wollte Deutschland laut Verra lediglich eine emotionale Verlängerung von Angela Merkel. Also sei ein Politiker gewählt worden, der ihr in der Körpersprache am ähnlichsten ist: Scholz.
Durch den Krieg in der Ukraine habe sich allerdings das Bedürfnis der Deutschen verändert: Man will jetzt einen Politiker, der entscheidungsfreudiger ist. Einen, der durchsetzungsfähig durch eine Krise führen kann, sagt der Körpersprache-Experte.
Verra meint: Deshalb seien Robert Habeck und Annalena Baerbock aktuell so erfolgreich. Sie seien die einzigen, die klare Kante zeigen würden.