Kim Jong-un wartet auf Donald Trump. Der setzt für die Kameras bei seiner Ankunft im Hotel Capella ein grimmiges – also entschlossenes – Gesicht auf, von dem fünf Minuten später beim Zusammentreffen mit Kim allerdings nichts mehr zu sehen ist. 9.04 Uhr Ortszeit, kurzer Handschlag, dann ein paar Meter weiter, wo die Dolmetscher warten. Da lachen die beiden schon – sie wissen, sie haben soeben Geschichte geschrieben.
Als sie anschließend in der Hotelbibliothek Platz nehmen, wird der US-Präsident aus dem kleinen Tross an Journalisten, der kurz rein darf, gefragt, wie er sich fühle. Am Wochenende hatte Trump gesagt, er würde schon an einer Minute wissen, ob das Treffen mit Kim erfolgreich werde. Jetzt sagt er: "Wir werden eine hervorragende Beziehung haben, daran habe ich keinen Zweifel." Ein typischer Trump-Satz. Kim sagt, es habe einige Hindernisse zu überwinden gegeben, aber jetzt sei man hier.
Trump zeigt also von Anfang seinen großen Willen, den Gipfel zu einem Erfolg zu machen, oder zumindest zu etwas, was man als Erfolg verkaufen kann. Kim betont eher die Schwierigkeiten. Trump hat schon einiges erreicht, etwa die Freilassung von drei Geiseln, braucht einen weiteren Erfolg aber dringlicher als Diktator Kim, für den das Treffen an sich schon eine enorme Aufwertung ist.
Nach dem historischen Handschlag zogen sich die beiden für rund 40 Minuten zu einem Vier-Augen-Gespräch zurück, also lediglich mit Dolmetschern, aber ohne Berater. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt. Als er am Montag bekannt wurde, reagierten in Washington erfahrene Diplomaten und Sicherheitspolitiker entsetzt. Es sei wichtig, bei solch hochrangigen Verhandlungen stets Berater zur Seite zu haben, hieß es unisono. Doch es entspricht genau Trumps Strategie, über den persönlichen Zugang einen Durchbruch zu erzielen.
In welchem Ausmaß ist Kim bereit, von seinem Atomwaffenprogramm abzurücken? Und welche Zugeständnisse wird Trump ihm dafür machen? Schon vor den Gesprächen ließen die Amerikaner durchblicken, dass sie Kim weitreichende Sicherheitsgarantien gewähren wollen. Was sie damit erreichen können, ist noch unklar. Trump und Pompeo behaupten seit Wochen, dass Kim zu umfassender Denuklearisierung bereit sei. Doch was bedeutet das? Beim Gang zu einem Arbeitsgespräch reagiert Kim drei Mal nicht auf entsprechende Reporterfragen. Den zweimaligen Zuruf "Werden Sie denuklearisieren?" ignorierte er ebenso wie den anschließenden Zuruf "Herr Kim, werden Sie Ihre Atomwaffen aufgeben?"
Nach dem Vier-Augen-Gespräch geht es mit den engen Beratern weiter. Neben Trump sitzen sein Außenminister Mike Pompeo, Stabschef John Kelly und SIcherheitsberater John Bolton. Letzterer ist besonders interessant, schließlich hatte er die Anbahnung der Gespräche erheblich erschwert: Sein Vergleich von Nordkorea mit Libyen erzürnte Pjöngjang derart, dass man per offiziellem Statement die "Abscheu" vor Bolton übermittelte. Auf der Gegenseite gewissermaßen die Spiegelreferenten: Außenminister Ri Yong Ho, Vorgänger Ri Su Yong und Kim Yong Chol, Nordkoreas Nummer zwei, den Trump vor zehn Tagen im Oval Office empfangen hatte. Auch hier betont Kim die Schwierigkeiten. Anschließend mit weiteren Beratern ein Arbeitsessen, es gibt unter anderem gefüllte koreanische Gurke und Rippe vom Rind an Rotweinsauce.
Weil man so wenig über Kim weißt, schaltet CNN, während Trump und Kim abgeschirmt von den Kameras zusammensitzen, zu Dennis Rodman. Der Ex-Basketball-Star ist begeistert von der Annäherung, er weint sogar. Rodman, der eine rote Make-America-Great-Again-Kappe trägt, war vor einigen Jahren zu Kim gereist und fühlt sich jetzt bestätigt. Er weint sogar, als er an die Anfeindungen zurück denkt, die ihm der Trip damals eingebracht hat. Als die Schalte vorbei ist, sagt der CNN-Moderator, Rodman "sei die beste Ressourcen um die beiden Männer", also Kim und Trump, "zu verstehen". Sein Studiogast, der frühere Geheimdienstchef James Clapper, stimmt ihm zu.
Journalisten von CNN hören eine Äußerung Kims, die sein Dolmetscher Trump übermittelt: Viele in der Welt würden das Treffen als eine "Form der Fantasie" sehen, sagt der Dolmetscher, "Fantasie aus einem Science-Fiction-Film". Für Kim mag es tatsächlich so wirken: Ein Treffen mit dem US-Präsidenten, nach über sechzig Jahren erbittereter Feindschaft zu den USA, hätte er sich bis vor kurzem nicht träumen lassen.
Während Trump den Vortag größtenteils im Hotel verbrachte, zeigte sich Kim, der die letzten Jahre Nordkorea nur drei Mal verlassen hatte, bei einem Abendspaziergang am futuristischen Hafen, machte ein Selfie mit Singapurs Außenminister und wurde in der Hotellobby wie ein Popstar beklatscht. Science Fiction? Zumindest eine surreale Aufwertung eines Diktators, der – egal was beschlossen wird – seinen größten Erfolg wohl schon vor der ersten Gesprächsminute errungen hat.
Dieser Artikel erschien zunächst auf t-online.de.