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EU verbietet "vegane Wurst": Handel warnt vor Verwirrung für Kunden

Kammlach, Bavaria, Germany - June 25, 2025: Vegetarian barbecue in the garden: disposable grill with charcoal, barbecue food made from plant-based meat substitutes and cold beer on the summer meadow r ...
Fleischersatzprodukte erhitzen die Gemüter. Die Frage ist: Wem tun sie weh, außer der Fleischindustrie? Bild: imago images / Bihlmayerfotografie
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EU verbietet "vegane Wurst" – Handel warnt vor Verwirrung für Kunden

In Straßburg haben Konservative und Rechtspopulisten durchgesetzt, dass pflanzliche Produkte künftig keine Namen wie "Schnitzel", "Wurst" oder "Burger" mehr tragen dürfen. Die Branche reagiert auf Anfrage von watson mit scharfer Kritik.
08.10.2025, 17:0508.10.2025, 17:05

Es geht um Wörter, doch die Debatte ist größer. In Straßburg hat das Europäische Parlament beschlossen, dass vegetarische und vegane Produkte künftig keine Namen wie Schnitzel, Wurst oder Burger mehr tragen sollen. Es ist ein kulturpolitischer Konflikt: zwischen Tradition und Wandel, Landwirtschaft und Ernährungswende, Verbraucherschutz und politischem Symbolismus.

Die Entscheidung fiel mit knapper Mehrheit, getragen von Abgeordneten der EVP, der rechtsnationalen EKR und Teilen der rechtspopulistischen ID-Fraktion. Progressive und grüne Parteien hatten versucht, das Verbot zu verhindern, konnten sich aber nicht durchsetzen. Die Entscheidung ist allerdings nicht endgültig, sie geht nun in die Verhandlungen mit den 27 EU-Ländern.

Der Antrag kam von der französischen Konservativen Céline Imart, die vor "Irreführung" im Supermarkt warnte. Unterstützung bekam sie von CDU und CSU. "Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz in der ARD-Sendung "Caren Miosga".

Ziel der Reform sei laut EU-Kommission ursprünglich gewesen, unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittelkette zu verhindern. Nun warnen Lebensmittelkonzerne, Handelsketten und Verbraucherschützer vor einem Rückschritt – und einer Bevormundung der Konsument:innen.

Vegane Wurst im Supermarkt: Vertreter sehen Kundennachteil

Pflanzliche Alternativen wachsen seit Jahren zweistellig. Allein in Deutschland greifen laut Ernährungsreport 39 Prozent der Menschen regelmäßig zu Ersatzprodukten.

Die Auswahl an veganen Fleischersatz-Produkten des neuen REWE voll pflanzlich in Berlin Friedrichshain ist riesig.
Die Auswahl an Fleischersatzprodukten steigt stetig.Bild: REWE / Christoph Große

Auch auf EU-Ebene wächst der Markt rapide: Laut der Denkfabrik Good Food Institute Europe stieg der Umsatz pflanzlicher Alternativen im Jahr 2024 um rund 22 Prozent. In Ländern wie den Niederlanden oder Schweden ist der Anteil an Fleischalternativen im Einzelhandel bereits doppelt so hoch wie in Deutschland.

In den Regalen stehen sie häufig neben ihren tierischen Vorbildern, sprachlich getrennt nur durch ein Wort: vegan. "Ein Verbot der Verwendung fleischbezogener Begriffe würde die Orientierung der Kundinnen und Kunden deutlich erschweren", sagt Philipp Hennerkes, Geschäftsführer des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH), gegenüber watson.

Begriffe wie Schnitzel oder Frikadelle seien "im Sprachgebrauch fest verankert" und böten Kund:innen "eine schnelle, intuitive Vorstellung davon, was sie erwartet".

Hennerkes verweist auf die deutschen Leitsätze für vegane und vegetarische Produkte, die 2024 verabschiedet wurden: Es sei ein fein austariertes System, das erlaubt, was klar erkennbar bleibt. Es unterscheidet zwischen "üblichen" und "unüblichen" Anlehnungen, je nachdem, wie stark sich ein Produkt sensorisch ans Original annähert. Für den Handel sei das "ein Modell, das Rechtssicherheit schafft, ohne den Markt zu gängeln". Genau das, was seiner Meinung nach auf EU-Ebene fehlt.

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Es gibt viele Argumente, um auf Fleisch zu verzichten. Und nein, es geht für die meisten nicht um Geschmack. Bild: dpa / Marijan Murat

Rewe: Kundschaft darf nicht bevormundet werden

Tatsächlich positionieren sich nahezu alle großen Handelsketten gegen das EU-Vorhaben. Rewe-Sprecherin Kirsten Hensen sagte gegenüber watson, etablierte Begriffe gäben "eine klare Orientierung zu Geschmack, Konsistenz und Verwendung – ohne Irreführung". Ein Verbot würde "Transparenz mindern und die Innovationskraft eines wachsenden Marktsegments bremsen".

Die Rewe Group verweist zudem auf ihre sogenannte Proteinstrategie, die pflanzliche und alternative Proteinquellen gezielt fördern soll, ein zentraler Teil des Nachhaltigkeitsprogramms des Konzerns. "Unser Ziel ist es, Kund:innen eine Wahl zu bieten – nicht sie zu bevormunden", sagt Hensen. "Ob tierisch oder pflanzlich: Die Entscheidung sollte beim Verbraucher liegen, nicht bei der Politik."

Rügenwalder Mühle und Burger King: klare Kommunikation

Ähnlich warnt Claudia Hauschild, Kommunikationschefin der Rügenwalder Mühle: "Ein EU-weites Verbot vertrauter Begriffe wie 'Burger', 'Schnitzel' oder 'Wurst' gefährdet Verbraucherorientierung, Innovationsdynamik und das Wachstum der gesamten Kategorie."

Veganes im Supermarkt Regal. Immer mehr Produkte sind vegetarisch oder vegan. // 25.09.2025. Stuttgart, Baden-Württemberg, Deutschland *** Vegan products on supermarket shelves More and more products  ...
Na, hättest du die veganen Ersatzprodukte mit Fleischprodukten verwechselt?Bild: imago images / Arnulf Hettrich

Deutschland habe bereits transparente Regeln, die Verbraucherschutz und Rechtssicherheit gewährleisteten. "Wir erwarten, dass die weitere politische Debatte die Interessen von Verbraucher:innen, Landwirt:innen und Herstellern gleichermaßen berücksichtigt", sagt Hauschild gegenüber watson.

Das Familienunternehmen aus Niedersachsen gilt als Pionier im Bereich pflanzlicher Produkte. Bereits 2020 machte Rügenwalder die Hälfte seines Umsatzes mit vegetarischen und veganen Artikeln, mit steigender Tendenz. "Ein EU-weites Verbot würde nicht nur unsere Kommunikation erschweren, sondern auch Innovationen ausbremsen", heißt es aus Unternehmenskreisen.

Auch die Gastronomie schaltet sich ein. Burger-King-Managerin Yvonne von Eyb nennt das geplante Verbot gegenüber watson "eine unnötige bürokratische Hürde, die Gastronomen und eine Wachstumsbranche behindern würde". Vertraute Begriffe wie Burger oder Whopper böten "klare Orientierung" und seien längst nicht mehr exklusiv an Fleisch gebunden.

"Unsere Gäste wissen, dass ein Plant-based Whopper keine Fleischvariante ist – sie entscheiden bewusst", sagt von Eyb. "Die Bezeichnungen sind Teil eines klaren Kommunikationskonzepts, kein Täuschungsversuch."

Der Konzern verweist darauf, dass er gemeinsam mit 20 weiteren Unternehmen, darunter Aldi, Lidl und Proveg, einen offenen Brief an die EU-Abgeordneten unterzeichnet hat. Darin fordern sie, Innovation nicht durch Symbolpolitik zu behindern.

Von wegen Verwirrung: Kunden sind ja nicht dumm

Auch Verbraucherschützer widersprechen dem Narrativ der Irreführung. Astrid Goltz, Referentin für Ernährungspolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband, erklärt gegenüber watson: "'Veganes Schnitzel' wird laut unseren Studien von über 90 Prozent der Menschen richtig verstanden und zugeordnet."

Eine Bezeichnung wie "vegane panierte Stücke auf Seitanbasis" dagegen werde "deutlich schlechter verstanden". Für Goltz ist das geplante Verbot ein Rückschritt: "Statt funktionierende Begriffe zu verbieten, sollte man die Kennzeichnung – etwa durch ein sichtbares V-Label – stärken."

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Vegane und vegetarische Produkte sind durch die Kennzeichnung gut unterscheidbar.Bild: imago images / Guido Schiefer

Der vzbv sieht vor allem praktische Probleme: Längere Produktnamen könnten Verpackungen unübersichtlicher machen und Kaufentscheidungen verlangsamen. "Das Ziel sollte einfache, selbsterklärende Kennzeichnung sein – keine sprachliche Bürokratie", sagt Goltz.

Veganes und Vegetarisches sind für die Fleisch-Lobby ein Dorn im Auge

Damit steht sie nicht allein. Auch die EU-Verbraucherorganisation BEUC hat das Votum kritisiert: Das sei kein Verbraucherschutz, "sondern Lobbyismus im Dienste der Fleischindustrie".

Foodwatch bezeichnete die Abstimmung als "Kniefall vor der Agrarlobby". Die Organisation warnt, dass Verbraucher:innen "nicht durch Sprache, sondern durch politische Symbolpolitik in die Irre geführt" würden.

Der Streit um Worte ist ein Stellvertreterkonflikt: über Deutungshoheit und Identität. In der EU-Politik trifft hier symbolische Agrarpolitik auf die Dynamik einer Branche, die Ernährung neu denkt. Für viele Bürger:innen ist längst selbstverständlich, dass ein veganes Schnitzel kein echtes ist, und trotzdem so heißen darf.

Die Politik aber ringt mit der Semantik des Übergangs. Wer den Begriff schützt, schützt damit auch ein Weltbild: das einer agrarisch geprägten Vergangenheit. Wer ihn teilt, öffnet die Sprache und den Markt für Neues.

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. In den sogenannten Trilog-Verhandlungen müssen Rat und Kommission nun einen Kompromiss finden. Möglich ist, dass nationale Ausnahmen, etwa nach deutschem Modell, erhalten bleiben. Doch viele Beobachter:innen befürchten: Selbst ein symbolischer Beschluss könnte den europäischen Markt für Jahre verunsichern.

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