Kürzlich sorgte eine Umfrage im Auftrag der "Washington Post" und von "abc" für Schlagzeilen. Sie besagt, dass sowohl Donald Trump als auch Ron DeSantis Joe Biden derzeit bei einer Wahl schlagen würde. Grund dafür sei das Alter des Präsidenten, so der Tenor der Befragten. Schafft Biden die Wiederwahl, dann ist er am Ende seiner zweiten Amtszeit 86 Jahre alt.
Die Aufregung hat sich wieder gelegt, denn inzwischen hat eine Umfrage des "Economist" ergeben, dass Biden derzeit mindestens sechs Prozentpunkte vor Trump liegt. Wahlumfragen sind zu diesem Zeitpunkt ohnehin sinnlos. Es dauert noch rund 18 Monate bis zur eigentlichen Wahl. Zudem haben die Demokraten in verschiedenen regionalen Wahlen deutliche und überraschende Siege errungen, so etwa in Jacksonville.
Die größte Stadt des Bundesstaates Florida ist in den letzten 45 Jahren ununterbrochen von der Grand Old Party (GOP) dominiert worden. Nun hat die Demokratin Donna Deegan die republikanische Herrschaft erstmals durchbrochen, und dies, obwohl ihr Gegenkandidat von Gouverneur Ron DeSantis unterstützt wurde.
Der Schock der "Washington Post/abc"-Umfrage mag damit überwunden sein. Doch Bidens Wiederwahl ist deswegen noch keineswegs gesichert. Das Alter des Präsidenten wird selbst von einer Mehrheit der Demokraten als Problem bezeichnet, vor allem deshalb, weil sich auch die Frage stellt: Was, wenn Biden während seiner zweiten Amtszeit sterben sollte? Oder dement wird? Dann würde automatisch die Vize-Präsidentin ins Oval Office rücken – und Kamala Harris hat ein gravierendes Image-Problem.
2020 wurde die Senatorin aus Kalifornien primär aus taktischen Gründen zu Bidens Running Mate ernannt. Als Frau und Schwarze spricht sie das Wählersegment an, das Biden aus biologischen Gründen nicht erreichen kann. "Damals war dies die richtige Wahl zur richtigen Zeit, moralisch und politisch", erklärt denn auch Matt Bai, Kolumnist in der "Washington Post".
Die Wahl im November 2024 wird jedoch unter ganz anderen Vorzeichen stattfinden. Biden wird seinen Wahlkampf diesmal nicht aus dem Keller seines Wohnhauses in Greenville (Bundesstaat Delaware) führen können, wie er das während des Lockdowns konnte. Gleichzeitig ist er physisch nicht mehr in der Lage, den Strapazen eines amerikanischen Wahlkampfes standzuhalten. Er wird daher gezwungen sein, seine Vize-Präsidentin an die Front zu schicken.
Dummerweise ist Kamala Harris nicht populär. 51,9 Prozent der Befragten erklärten kürzlich in einer Umfrage von FiveThirtyEight, sie mache keinen guten Job. Bloß 40 Prozent sind mit ihr zufrieden. Damit hat Harris noch schlechtere Werte als ihr Boss.
"Ihr wählt gar nicht Biden, sondern Harris", wird daher eine zentrale Botschaft des Wahlkampfes im nächsten Jahr werden. Die Vize-Präsidentin neigt auch dazu, unverständliche Statements abzugeben, und die Wahlstrategen der GOP werden dafür sorgen, dass dieser Wortsalat in einer Endlosschleife in der TV-Werbung gezeigt wird.
Die republikanische Kandidatin Nikki Haley ist bereits auf diesen Zug aufgesprungen. Sie sagt, Biden werde kaum die zweite Amtszeit vollumfänglich absolvieren, sondern vorzeitig zurücktreten. "Wenn ihr für Joe Biden stimmt, dann setzt ihr in Tat und Wahrheit auf Präsident Harris", erklärte sie in einem Interview mit Fox News. Haley wird als möglicher Running Mate für Donald Trump gehandelt.
Warum also lässt Biden Harris nicht ganz einfach fallen? Die Frage drängt sich auf, sie ist jedoch hypothetisch, nicht nur, weil ein solches Handeln dem sehr auf Loyalität bedachten Präsidenten fundamental widerspricht. Sie ist auch politisch undenkbar. Die Empörung bei Schwarzen und Frauen wäre riesig, und auf deren Stimmen sind die Demokraten angewiesen.
Amerikanischer Vize zu sein, ist ein sehr undankbarer Job, vergleichbar mit dem eines Ersatz-Torhüters. Man muss jederzeit bereit sein, ins Spiel einzugreifen, sitzt jedoch die meiste Zeit auf der Ersatzbank. Dem Vize werden auch die unangenehmsten Aufgaben zugewiesen. Harris beispielsweise wurde damit beauftragt, das Problem an der Grenze zu Mexiko zu lösen, unter den gegebenen politischen Umständen eine "mission impossible".
Unter keinen Umständen darf der Vize dem Präsidenten die Show stehlen. Geradezu archetypisch hat Mike Pence dies vorgelebt. Wie ein Ölgötze stand er jeweils hinter Trump, sagte kein Wort und ahmte sklavisch nach, was sein Chef tat. In einem legendären Video-Clip ist zu sehen, wie Pence sofort eine Wasserflasche auf den Boden stellte, nachdem Trump dies vorgemacht hatte.
Tritt ein Vize aus dem Schatten des Präsidenten, dann macht er sich ebenfalls unbeliebt. Dick Cheney galt in der Ära von George W. Bush als der eigentlich starke Mann im Weißen Haus. Nicht zuletzt deswegen handelte er sich den Übernamen "Darth Vader" ein. So heißt der Bösewicht in "Star Wars".
Vize-Präsidenten haben kaum einen Einfluss auf die Wahl des Präsidenten, lautet eine weit verbreitete Meinung. Das ist zumindest fraglich. John McCain hat seinerzeit seine Wahl gegen Barack Obama wohl auch deswegen verloren, weil er sich mit Sarah Palin als Running Mate fürchterlich vertan hatte.
Biden und sein Team müssen sich daher mit Kamala Harris etwas einfallen lassen. Zu ihrem Glück helfen die Republikaner dabei kräftig mit. Die GOP hat die Abtreibungs-Frage zu einem zentralen Wahlkampf-Thema erhoben und stellt sich damit gegen die überwiegende Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner. Kamala Harris ist prädestiniert, sich in diesem Thema zu profilieren und zu glänzen – wenn man ihr die Gelegenheit dazu gibt.