"Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin."
Giorgia Meloni von der nationalistischen Partei "Fratelli d'Italia" beginnt ihre Wahlkampfauftritte häufig auf diese Weise. Sie könnte die nächste Regierungschefin werden. Meloni eint das rechte Lager. Italien steht vor einem Rechtsruck.
Die Neuwahlen in diesem Herbst waren notwendig geworden, nachdem der scheidende Ministerpräsident Mario Draghi keinen Rückhalt mehr in seiner Koalition hatte.
Noch bevor die Menschen in Italien überhaupt wählen konnten, ist Meloni ein Bündnis mit zwei anderen Parteien eingegangen. Mit der konservativen "Forza Italia" von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und mit der rechtspopulistischen "Lega" von Matteo Salvini.
Für die rechte Politikerin ein Vorteil, denn: Das Wahlgesetz in Italien fördert es, vor der Wahl Bündnisse einzugehen, meint Politikwissenschaftlerin Maike Heber im Gespräch mit watson.
Grund dafür: Das Mehrheitswahlrecht in vielen Wahlkreisen. Es genüge eine Stimme Vorsprung vor der Konkurrenz, um das Mandat fürs Parlament zu gewinnen. "Wenn man sich zusammenschließt und dann die Wahlkreise unter sich aufteilen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel höher, diese Wahlkreise zu gewinnen."
Die Italien-Expertin arbeitet an der Technischen Universität Dresden und hat den Wahlkampf in Italien beobachtet.
Mit den jetzigen Umfragen werde das rechte Lager um Spitzenkandidatin Meloni sehr wahrscheinlich eine Mehrheit erlangen. Es bestehe sogar die Gefahr, dass sie eine Zweidrittelmehrheit erreichen könnten. Damit könnte das rechte Lager sogar die Verfassung ändern.
Doch wofür steht die 45-jährige Meloni politisch?
Meloni steht selbstbewusst auf der Bühne. Die Politikerin peitscht ihre Unterstützer:innen an. Sie brüllt zuweilen ins Mikrofon. Mit einer Art Kulturkampf geht sie auf Stimmenfang: "Ja zur natürlichen Familie. Nein zur LGBT-Lobby. Ja zu sicheren Grenzen. Nein zu Masseneinwanderungen. Ja zur Unabhängigkeit der Völker. Nein zu den Bürokraten in Brüssel." Mit einer Politik gegen Minderheitenrechte und Europaskepsis steht sie mit ihrer Partei "Fratelli d'Italia" bei rund 25 Prozent.
Dabei lag ihre Partei bei der vorherigen Parlamentswahl 2018 noch unter fünf Prozent. Wie kann sie in der kurzen Zeit diesen Sprung in der Wähler:innen-Gunst machen? Das italienische Wahlvolk bevorzugt neue Gesichter, meint die Italien-Expertin Heber.
Meloni war zwar schon mal Ministerin, unter dem damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Doch das ist nun mehr als zehn Jahre her. Das politische Langzeitgedächtnis ist in Italien nicht sehr ausgeprägt, meint die Expertin. Daher steht auch nicht im Mittelpunkt dieser Wahl, dass Meloni eine neofaschistische Vergangenheit hat.
Sie war in der Parteijugend der neofaschistischen "Movimento Sociale Italiano" (Italienische Sozialbewegung). In dieser Partei sammelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Faschisten aus der Zeit von Benito Mussolini. Die grün-weiß-rot lodernde Flamme im Parteilogo der Neofaschisten findet sich auch im Wappen von Melonis "Fratelli d'Italia".
"Das spielt in Italien aktuell eine relativ geringe Rolle", sagt Heber dazu. "Der Faschismus ist trotz aller Bemühungen immer noch etwas, das ein Stück weit verharmlost worden ist." Und es gebe "sehr viele Konservative, die mit diesem Spektrum wenig Berührungsängste haben".
Diese Wählerschichten spricht Meloni mit ihrer Rhetorik an. Gegen Geflüchtete, gegen LGBT-Rechte und auch gegen Frauenrechte. Mit einer kruden Formulierung macht sie konservativen Wähler:innen Angst vor einem "Abtreibungs-Zwang" und forderte "das Recht, nicht abtreiben zu müssen".
Italien-Expertin Heber meint: "Den größten Preis werden tatsächlich, wenn sie an der Regierung sein wird, die Minderheiten zahlen müssen. Dort wird es eher wieder eine Rückentwicklung geben."
In der Wirtschaftspolitik würde Meloni eher einen gemäßigten Weg einschlagen, meint Heber. Sie sagt:
Umgekehrt würde es mit einer Ministerpräsidentin Giorgia Meloni für die EU schwieriger, meint Heber. Nicht zwingend aus konkreter europapolitischer Politik. Doch wenn Meloni über Europa spreche, dann "aus einem starken Minderwertigkeitsgefühl heraus".
Sie fordere Souveränität und die Verteidigung italienischer Interessen auf europäischer Ebene. Die bei Rechtspopulisten beliebte Forderung "unser Land zuerst" taucht ebenfalls auf.
Das Problem sei: Wenn alle ihre nationalen Interessen verträten, würde es auf europäischer Ebene schwieriger, einen Kompromiss zu finden.
Heber führt aus:
Im rechten Lager sei diese Haltung des "Italien zuerst" sehr verbreitet. Damit kann Meloni viel Zustimmung ernten. Sie spiele mit dem Narrativ, dass sich in Wahrheit Deutschland über die EU in die italienische Politik einmische. Deutschland habe Italien vorgeschrieben, wie die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu sein habe. Gerade bei der Eurokrise habe sich dieses Gefühl bei vielen Italiener:innen verfangen. "Auch wenn die Einflussnahme eigentlich immer eine indirekte war."
Zumindest fordere Meloni nicht, aus der EU auszutreten. Darin sei sie weniger populistisch und trete weniger aggressiv auf als etwa Matteo Salvini. Wenn dieser aber mit in der Regierung säße, könnten doch noch "etwas radikalere Forderungen" eingebracht werden.
Italien-Expertin Heber sieht darin Hindernisse für die Zeit nach der Wahl:
Es gebe eine starke Konkurrenz zwischen Meloni und Salvini. Vor allem in außenpolitischen Fragen können sich Konflikte innerhalb des rechten Lagers entzünden. Salvini zeigt seine Sympathien für Russland. Nach Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar dieses Jahres, wollte er nach Moskau reisen. Unter anderem Meloni habe ihn davon abgeraten. Letztlich blieb er zu Hause.
Aber mehrmals habe er darüber gesprochen, dass die Sanktionen angeblich völlig wirkungslos seien. Man solle sich mit Putin ins Benehmen setzen, um die aktuelle Energiekrise zu lösen. Und auch Berlusconis Haltung gegenüber Russland könnte für Melonis Bündnis ein Problem werden.
Meloni dagegen sei auf der Seite der Ukraine und habe in diesem Punkt eine starke Bindung an die polnische Regierungspartei PiS aufgebaut.
Heber sagt dazu:
Noch sind die Stimmen nicht angegeben. Am Sonntag öffnen die Wahllokale um 7 Uhr. Bis 23 Uhr sind mehr als 51 Millionen Wahlberechtigte zur Abgabe ihrer Stimme aufgerufen. Doch es wird eine geringe Wahlbeteiligung erwartet. Nach aktuellen Umfragen sind etwa 40 Prozent der Wahlberechtigten unentschlossen. Erste Ergebnisse werden für den Montagmorgen erwartet.