"So wie es im Augenblick ist, kann es nicht bleiben. Die Bahn kann und sie muss besser werden." So hatte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor fast genau einem Jahr gemeinsam mit Bahn-Chef Richard Lutz sein Konzept für die kommenden Jahre angekündigt.
Passiert ist … erst einmal nicht viel. Wissing deklarierte die Bahn als Sanierungsfall, eine Generalüberholung soll her. Pünktlicher soll die Bahn sein, ein attraktiveres Angebot solle geschaffen werden.
Stattdessen klang es für Bahnreisende auf den Bahnsteigen weiterhin häufig so: Zug muss umdrehen, weil Personal zerstritten, Schwarzzug blockiert das Gleis oder aber: "Der Kollege mit den Wurstfingern hat leider alle Einfahrgenehmigungen gelöscht".
Nun sind neue Pläne an die Öffentlichkeit gelangt: Volker Wissing will die Bahn verändern. In kleinen Schritten – ein Reförmchen also eher als eine Reform. Doch offen bleiben weiterhin die Fragen der Finanzierung.
Damit sollen die im Koalitionsvertrag von Grünen, FDP und SPD angekündigten Schritte umgesetzt werden. Darin festgehalten wurde unter anderem die Gründung einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte, die zu 100 Prozent im Eigentum der bundeseigenen Deutschen Bahn stehen sollte.
Laut Regierungskreisen soll diese neue Aktiengesellschaft nun ab Anfang 2024 unter dem Projektnamen "InfraGo" laufen. Darin sollen die DB Netz AG und die DB Station sowie die Service AG miteinander verschmolzen werden.
An den Plänen gab es bereits reichlich Kritik. Und Reisende müssen sich wohl weiterhin auf Verspätungen, Zugausfälle und immer wieder Streiks der Gewerkschaften einstellen. Doch was wird dagegen unternommen? Watson hat bei der Deutschen Bahn, dem Fahrgastverband ProBahn und dem Verkehrsministerium sowie dem Bahnbeauftragen der Bundesregierung nachgefragt.
Die Bundesregierung ließ ihre Bahn jahrelang am ausgestreckten Arm verhungern – was dazu führte, dass die Situation für Fahrgäste in Deutschland nun so ist, wie sie ist. Eine Privatisierung des Betriebs scheiterte bereits vor Jahren. Auch in Wissings Reform ist keine Trennung von Netz und Betrieb vorgesehen. Die Bahn soll als sogenannter integrierter Konzern erhalten bleiben.
Dabei könnte Zugfahren so angenehm sein. Wie in Spanien, zum Beispiel. Spaniens Eisenbahn wird seit geraumer Zeit als Vorbild für die Deutsche Bahn gehandelt: Sie ist pünktlich, komfortabel und gut organisiert. Die Trennung von Netz und Betrieb hat hier zu niedrigeren Preisen geführt.
Deutschland könnte also etwas von seinen Nachbarn lernen. Wobei es laut dem Verkehrsministerium rund 120 Jahre für den Bau einer neuen Strecke dauern würde.
Genaugenommen ist es auch nicht die Deutsche Bahn, die lernen muss, sondern die Politik, sagt Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, auf Anfrage von watson.
Konkret müsse der Staat dem System des öffentlichen Verkehrs mehr Geld geben, damit bessere Arbeits- und Gehaltsbedingungen geschaffen werden. Als Beispiel nennt Naumann die Schweiz: Sie gibt fast viermal so viel aus wie Deutschland pro Einwohner und Jahr.
Zudem kritisiert Naumann die Situation für die Fahrgäste im Streikfall. Vor allem in den vergangenen Wochen wurden Reisende mit vielen Zugausfällen aufgrund von Streiks der Gewerkschaften konfrontiert. Anfang der Woche teilte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit: Vorerst wird es keine Warnstreiks geben, die Tarif-Verhandlungen mit der DB dauern an.
Die Politik müsse laut Naumann hier dafür sorgen, in "Friedenszeiten" einen Streikfahrplan zu erstellen, um dann im Streikfall ein verlässliches Restangebot zur Verfügung zu stellen.
Denn generell ließen Streiks im öffentlichen Verkehr das System für Neukunden unzuverlässig erscheinen, erklärt Naumann und gibt zu bedenken: "Das kann so manche vom Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn abhalten – mit den entsprechenden Folgen für die Verkehrswende."
Gefühlt wurde vor allem in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres besonders viel gestreikt – oft zum Ärgernis für die Reisenden. Allerdings wichtig für die Arbeitnehmer:innen der Deutschen Bahn: Sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen.
Dieses Dilemma prangert auch Naumann an. Er sagt: "Die Dienste bei den Bahnen sind ungünstig und es herrscht ein Personalmangel." Die Gewerkschaften würden auf mehr Personal hoffen, wenn es bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen gibt.
Was diesen Konflikt begünstigt: Es gebe konkurrierende Gewerkschaften, die jeweils um Mitglieder und Einfluss kämpfen: die EVG des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und die Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) des Deutschen Beamtenbundes und Tarifunion.
Der Deutschen Bahn sind die Ausfälle und Verspätungen bewusst. Und man muss ihr zugestehen: Sie wirbt auch nicht, wie etwa Japan, damit, 100 Prozent pünktlich zu sein. Dort hatte sich die Bahngesellschaft vor einiger Zeit dazu gezwungen gesehen, sich wegen einer 20-sekündigen verfrühten Abfahrt zu entschuldigen. Davon können Reisende in Deutschland nur träumen.
Zwar gebe es auch immer wieder externe Eingriffe in den Bahnverkehr, weshalb Züge ausfallen würden oder sich verspäten, dennoch gesteht die DB auf watson-Anfrage:
Weiter beschreibt ein Sprecher der Bahn das aktuelle Chaos: "Die steigende Nachfrage trifft auf ein Streckennetz, das nicht für die aktuellen Belastungen und künftiges Wachstum ausgelegt ist. Viele Gleise, Weichen, Brücken und Stellwerke sind überaltert und damit störanfällig." Die Auslastung auf den hoch belasteten Streckenkilometern liege derzeit bei 125 Prozent.
Deshalb werde das Netz ausgebaut – was allerdings zu noch mehr Umleitungen, Staus und Verspätungen führe, erklärt der Sprecher. Mit Bund und Branche werde an einer Generalsanierung zum Hochleistungsnetz gearbeitet und die Fernverkehrsflotte modernisiert.
Das Verkehrsministerium hat sich auf Anfrage von watson nicht zu dem aktuellen Bahn-Chaos geäußert.
Die Bundesregierung hat eigens für die Reformen am Schienennetz einen Bahnbeauftragten, Michael Theurer (FDP), eingesetzt. Auf Anfrage von watson betont er:
Damit spielt Theurer auf die geplante Generalsanierung an. Einzelne Maßnahmen sollen dabei nicht über mehrere Jahre verteilt stattfinden, sondern in nur fünf Monaten gebündelt umgesetzt werden. So könnten auch daraus resultierende Verspätungen reduziert werden.
Ob sich das allerdings wirklich so umsetzen lässt, ist mindestens anzuzweifeln.
(Mit Material der dpa)