Mexiko: Die Vorstellungen von dem Land sind vielfältig. Seien es die Strände, Sombreros, farbenfrohen Feste oder das scharfe Essen. Oder die Schattenseiten des Landes wie etwa der Drogenkrieg der Kartelle oder die hohe Kriminalität bis hin zum Menschenhandel.
Die wenigsten denken bei Mexiko aber an einen Wirtschaftsgiganten. Oder an ein Land, das eng mit den USA ökonomisch sowie sozial verwoben ist. So eng, dass der Traum von Ex-US-Präsident Donald Trump von einer Mauer zwischen den Ländern unmöglich erscheint.
Zwischen den USA und Mexiko herrscht eine große gegenseitige Abhängigkeit, die es nicht zu unterschätzen gilt, meint Hans-Hartwig Blomeier im Gespräch mit watson. Er ist Leiter des Auslandsbüros Mexiko für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.
Laut ihm gibt es in Deutschland die Wahrnehmung, Mexiko gehöre zu Lateinamerika. Sprachlich und kulturell gesehen sei das zwar richtig, aber man dürfe den Blick nicht vor bestimmten Realitäten verschließen, sagt der Experte.
"In Mexiko gibt es den Stoßseufzer: So weit weg vom lieben Gott, aber so nahe an den Vereinigten Staaten. Und das trifft es sehr gut", meint Blomeier. Mehrere Faktoren prägen ihm zufolge die intensive Beziehung der zwei Länder.
Da wäre zum Beispiel der geografische Faktor: Laut Blomeier teilen sich Mexiko und die USA eine 3000 Kilometer lange Grenze, was eine "Hausnummer" sei. "Dieser Grenzraum ist durch eine unheimlich hohe Intensität von jeglichem Austausch geprägt", führt er aus. Menschen und Waren gehen demnach in beide Richtungen, ob legal oder illegal. Dazu kommen auch Finanzströme und Tourismus.
Auch müsse man die Geschichte im Auge behalten. Vor 200 Jahren verlief die Grenze noch ganz anders. Blomeier zufolge passt dazu sehr gut folgender Spruch: "Die Mexikaner sind nicht über die Grenze gegangen, sondern die Grenze ist über die Mexikaner gegangen."
Dem Experten zufolge müsse man im Hinterkopf bewahren, dass Texas, Arizona und ein großer Teil Kaliforniens früher einmal geografisch zu Mexiko gehörten. Das spiele etwa eine Rolle bei der intensiven Beziehung – auch auf der emotionalen Komponente. Dazu kommt der wirtschaftliche Faktor, der ebenfalls eine große Rolle spielt.
Wie zu Beginn erwähnt, denken die wenigsten wohl bei Mexiko an einen Wirtschaftsgiganten. Auch mag der Fakt überraschen, dass Blomeier zufolge Mexiko der wichtigste Handelspartner der USA ist.
Nicht umsonst gebe es den Spruch: "Wenn die USA einen Schnupfen hat, leidet Mexiko an einer Lungenentzündung." Doch dem Experten zufolge kann man inzwischen durchaus von einer Interdependenz, also einer wechselseitigen Abhängigkeit in beiden Richtungen, sprechen.
Das Ausmaß dieses Handelsvolumens verdeutlicht Blomeier mit folgendem Fakt: Addiert man das Bruttoinlandsprodukt der vier Bundesstaaten auf der Seite der USA (Texas, New Mexiko, Arizona und Kalifornien) und das der sechs Bundesstaaten auf mexikanischer Seite, erhält man die sechstgrößte Volkswirtschaft in der Welt.
Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht Mexiko derzeit an 15. Stelle der größten Volkswirtschaften. "Das passt alles nicht so zu diesem Kaktus-Sombrero-Image, aber ja, Mexiko ist ein Wirtschaftsgigant", meint Blomeier.
Er führt aus:
Sinnvoller wäre es, Mexiko als das zu verstehen, was es de facto längst sei: ein Teil Nordamerikas. Auch der politische Faktor beeinflusse die Beziehung der beiden Länder.
Laut Blomeier unterhält Mexiko mehr als 50 Konsulate, also Auslandsvertretungen, in den USA. Ihm zufolge ist das ein Zeichen dafür, dass Mexiko verstanden hat, wie wichtig die Beziehung zu den USA ist.
"Mexiko hat verstanden, dass man politischen Einfluss in den USA nicht nur in Washington ausüben kann und soll", sagt der Experte. Sondern auch in den Wahlbezirken und Bundesstaaten, wo die Abgeordnet:innen und Senator:innen herkommen, die in Washington Entscheidungen treffen. "Das machen sie sehr klug. Diese Konsulate betreiben durchaus auch politisches Lobbying", führt er aus.
Doch wie sieht es bei der Migrationspolitik aus? Mexiko schafft es oft in die Schlagzeilen aufgrund von Migrant:innen, die über die mexikanische Grenze in die USA gelangen wollen. Vor allem der Bundesstaat Texas geht rigoros gegen Männer, Frauen und Kinder vor, die es schaffen, Fuß auf US-amerikanischen Boden zu fassen.
Blomeier unterscheidet die Migrant:innen in vier Gruppen:
"Das sind enorme Distanzen, die diese Menschen zurücklegen. Dazu nicht ungefährlich: Es drohen Menschenhandel, Gewalt, Ermordung", sagt Blomeier. Doch das große Ziel, der Traum, ist ein besseres Leben in den USA.
Etliche Geflüchtete bleiben laut des Experten allerdings in Mexiko. Denn je mehr man in den Norden vorstoße, desto mehr gelange man in die wohlhabenden Gegenden des Landes. "Dort finden viele durchaus Arbeit, einige von ihnen integrieren sich. Demnach haben wir auch ein Integrationsphänomen von Migranten in Mexiko", sagt Blomeier.
Migration ist ein Reizthema zwischen den USA und Mexiko – vor allem, weil es eine große Rolle im Wahlkampf spielt.
Vor allem die Republikaner schlachten das Thema für sich aus, werfen der Biden-Regierung Versagen vor, die Grenze nicht ausreichend zu schützen. Dazu ist viel Desinformation in Umlauf.
Laut Blomeier ist die Ansage der Demokraten und Republikaner an Mexiko aber die gleiche: "Dämmt die Migration aus dem Süden ein." Trump habe sich damals als Präsident aber kräftig im Ton vergriffen.
Als zweites Problem nennt Blomeier den Drogenhandel. Seit über 20 Jahren tobt eine Opioid-"Pandemie" in den USA.
Fentanyl kostet Tausenden das Leben. Daher üben die USA Druck auf Mexiko aus, doch laut Blomeier reagiert das Land mit der Retourkutsche durch Schuldzuweisungen: Woher kommen die Waffen denn, mit denen sich die Drogen-Kartelle ausrüsten? Gelangen diese nicht aus Texas und Arizona über den Waffenshop über die Grenze? Wer kontrolliert also hier wen nicht ausreichend? Blomeier zufolge gibt es hier eine klassische gegenseitige Schuldzuweisung.
Trump möchte am liebsten die Vereinigten Staaten mithilfe einer Mauer von Mexiko abschotten. Doch so einfach sei das nicht. Am Ende seien weder Mexiko noch die USA ernsthaft an einem geschlossenen Grenzraum interessiert, meint der Experte. Es gehe um die Steuerung von Migration und nicht darum, die Grenze dichtzumachen.
Ob Trump dennoch an seinem Mauer-Projekt festhält, wird sich zeigen, sollte er es wieder ins Weiße Haus schaffen. Im November finden die Präsidentschaftswahlen in den USA statt. Dass sich die Mexikaner:innen Trump zurückwünschen, habe Blomeier jedenfalls vor Ort noch nicht gehört.
Aber ein Fan von Biden seien sie auch nicht unbedingt. "Hier gilt die Devise: Wer auch immer von den beiden gewinnt, es wird nicht einfacher", meint er.