Die Linke steckt in einer Krise: Sie verlieren Wählende, Polit-Promis der Partei schießen quer, ein #metoo-Skandal muss aufgeklärt werden. Erfolge gibt es kaum. Im Osten verliert die Partei ihre Stammwählerschaft unter anderem an die AfD – ein Wechsel, der rational kaum vorstellbar ist. Im Westen ist sie in den Stadtstaaten Berlin und Bremen in Regierungsverantwortung.
Aus den Landtagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, sowie im Saarland ist die Partei jüngst rausgeflogen. Auch bei der Bundestagswahl 2021 war es knapp. Nur dank der Grundmandats-Klausel konnte die Linksfraktion einziehen.
Und das, obwohl in Zeiten von Klimakrise und sozialen Ungerechtigkeiten – verstärkt durch die Coronapandemie – Kernthemen der Linken Konjunktur haben könnten. Ergebnisse von Grünen und SPD zeigen außerdem: das Potenzial, als progressiv-linke Partei Wählende zu überzeugen, ist da. Auch die Zusammensetzungen von Bundestag und Bundesrat verstärken den Eindruck, dass die deutsche Gesellschaft nach links gerutscht ist.
Braucht es eine Partei wie die Linke also gar nicht mehr?
Doch, meint der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin auf watson-Anfrage. Er sagt: "Im Kontext demokratischer Diskurse ist eine Partei wie die Linke notwendig und nützlich." Notwendig, weil die Partei einen Teil des breiten politischen Spektrums repräsentiere. Nützlich, weil sie ihre Anhängerschaft in das parlamentarische demokratische System integriere.
Dass die Linke aktuell unterzugehen droht, hat aus Sicht von Neugebauer mehrere Ursachen. Er listet diese in einem Leserbrief auf, der im Mai 2022 in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen ist – und den er watson zur Verfügung gestellt hat. Ein Punkt: Die Uneinigkeit der Partei über ihre Rolle in den Parlamenten. "Bewegungspartei" versus "Parlamentspartei". Also gemeinsames politisches Handeln mit der Zivilgesellschaft versus Anpassung an die strukturellen Anforderungen im Parlament.
Uneinigkeit herrscht in der Linken aber auch schon immer bei der Frage, ob sie eine Oppositionspartei sein wollen – oder vielleicht doch regieren. In Thüringen, Bremen und Berlin sind sie Teil der Koalition, sonst aber eher verhalten.
Viel gravierender sei aber das Problem, dass die Linke es nicht schaffe, ihre Themen an die Wählerschaft zu verkaufen – und Themen, die den Menschen wichtig sind, nicht aufgreife. Dass die Partei ihre Stammwählerschaft nicht erreicht hat, davon ist auch der Linken-Politiker Ates Gürpinar überzeugt. In einem Gespräch mit watson im Frühjahr dieses Jahres sagte er:
Seine Partei sei im Bereich Solidarität und soziale Gerechtigkeit gut aufgestellt. Ebenso, was das Thema Klimagerechtigkeit angehe. Aus Gürpinars Sicht liegt das Hauptproblem woanders: "Wir sind einfach noch viel zu wenige."
Um die Abwärtsspirale hinter sich zu lassen, braucht es in der Partei vor allem eine neue Form der Kommunikation. Es bedürfe eine Wende, zu der eine neue innerparteiliche Diskussionskultur sowie die Bereitschaft, Altes in Frage zu stellen, gehören müsse. So fasst es der Politikwissenschaftler Neugebauer zusammen. Wichtig sei außerdem, alte Positionierungen (zur Nato, zur EU, zu Russland) zu hinterfragen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln.
Nach dieser Überprüfung von Ideologien sieht es aktuell noch nicht aus. Die Linke will sich in Zukunft aber wieder stärker in Ostdeutschland engagieren und politisch Boden gutmachen. "Wir kämpfen für ein politisches Comeback im Osten", sagte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Ostbeauftragte der Linksfraktion, der Leipziger Sören Pellmann, meinte: "Der Osten ist die Lebensversicherung der Linken."
Schwerpunkte sollen der Einsatz für eine Angleichung von Löhnen und Renten sowie für eine Entlastung bei den stark steigenden Energiekosten sein, wie aus einem Strategiepapier der Fraktion hervorgeht.
Klar ist, dass die Linke Themen in ihrem Programm hat, die per se zu einer gerechteren Gesellschaft führen könnten. Solidarität, Gleichberechtigung, faire Arbeitsbedingungen und Löhne. Gerade in Krisenzeiten, wie jetzt, in denen die Inflation im Geldbeutel der Bevölkerung spürbar ist, müsste es der Partei gelingen, zu punkten. Um das zu schaffen, muss sich die Linke aber einigen, die krassen Vorwürfe im #metoo-Skandal aufarbeiten und interne Streitereien beilegen. Gegebenenfalls auch, indem sie sich von politischen Querschlägern, wie beispielsweise Sahra Wagenknecht trennt.
Schafft die Linke das, könnte die Partei innerhalb der Parlamente das Korrektiv hin zur solidarisch-antifaschistischen Gesellschaft sein.