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"Ostmullen": Wie rechte Netzwerke Videos von jungen Frauen missbrauchen

Man consuming online content on smartphone device, selective focus
Ist der "Trend" wirklich ein Trend oder viel mehr eine ideologische Inszenierung?Bild: Getty Images / BitsAndSplits
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"Ostmullen": Wie ein rechter Männertraum zur Medienfalle wird

Der Begriff "Ostmulle" und die damit verbundenen Tiktoks, die vor allem stark geschminkte Frauen zeigen, kursieren seit Wochen mehr in den Medien als im Netz selbst. Der Hashtag stammt allerdings aus der rechten Bubble – und genau dort beginnt das Problem.
12.05.2025, 12:3012.05.2025, 12:30
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Das Hashtag ist provokant. Die Ästhetik ist laut. Und der Diskurs dazu ist bereits losgetreten – vor allem in rechten Kreisen. Viele Medienhäuser halten sich bedeckt, berichten nicht, andere setzen auf reißerische Schlagzeilen.

Statt aufzuklären, wird ein abwertendes Bild von Frauen gezeigt, während gleichzeitig übersehen wird, dass es vor allem rechte Männer sind, die diesen Begriff verbreiten und den Diskurs darüber steuern. Der Begriff an sich wurde von einem westdeutschen, rechten Mann als Hashtag eingeführt.

Doch gehen wir zunächst ganz zum Anfang zurück.

Der Begriff "Ostmulle" ist abwertend und frauenfeindlich. Trotzdem taucht er auf Social Media immer häufiger auf: als Hashtag, in Kommentaren oder als Suchbegriff.

Gemeint sind meist stark geschminkte, oft tätowierte junge Frauen, die sich mit nationalen Symbolen – etwa passenden Emojis – in Szene setzen und ihre Videos mit Musik rechtsradikaler Bands unterlegen. Und nein, diesen Namen haben sich die Frauen nicht selbst gegeben.

Hinweis der Redaktion
Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, in diesem Artikel rechte Akteure namentlich zu nennen: Wir wollen ihnen und ihren Ansichten keine Plattform bieten oder zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen.

"Ostmulle": Der Hintergrund des Begriffs ist vielschichtig

"Mulle" ist ein klar abwertender und antifeministischer Begriff. Damit gemeint ist eine stark geschminkte Frau, die als "billig" oder unseriös gilt. In Kombination mit "Ost" entsteht ein Wort, das nicht nur ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild produziert, sondern auch gesellschaftliche Klischees über Frauen aus Ostdeutschland bedient: rückständig, leicht zu beeinflussen, angepasst.

In diesem Bild erscheint die ostdeutsche Frau als anti-emanzipiert, äußerlich attraktiv, aber politisch beeinflussbar. Eben eine Frau, die dem Mann nicht widerspricht, sondern seine Ideologie still unterstützt. Eine Frau, die die alten Werte und Traditionen aufrechterhalten möchte. Und ganz nebenbei noch schön anzusehen ist.

Juliane Lang, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Gießen, forscht seit über 20 Jahren zur extremen Rechten, mit einem besonderen Fokus auf rechte Frauenbilder.

Sie rät zu einer genauen Trennung: "Wir müssen unterscheiden zwischen dem Phänomen an sich – also stark gestylten Frauen, die sich in kurzen Tiktok-Videos inszenieren – und der Debatte über sie." Letztere sei, so Lang, oft viel aufschlussreicher als das, was in den Videos tatsächlich zu sehen ist.

Dahinter steckt eine bewusste Strategie: Rechte Männer nutzen die auffällige Selbstinszenierung der Frauen, um ein Gegenbild zum medial präsenten, feministisch geprägten Frauenbild zu setzen. Und: um feministische Stimmen schlechtzumachen.

Die versteckte Botschaft dahinter lautet laut Lang: "Wenn es auch rechte Frauen gibt, dann kann der Feminismus nicht für alle Frauen sprechen." Sie dienen als Projektionsfläche, für die Lust an Abgrenzung, für rechte Männerfantasien und für die Strategie, das rechte Weltbild zu normalisieren. Und das sieht man auch in den Kommentaren wieder, die hauptsächlich von männlichen Usern abgegeben werden.

"Ostmullen" als kleines Phänomen mit großer Inszenierung

Es ist das Ziel, aus wenigen Tiktoks eine Kultur zu formen. Aufmerksamkeit zu erlangen, möglichst viele Menschen zu mobilisieren. Lang macht deutlich: "Das Ganze soll noch größer wirken, als es ist – genau das ist Teil der rechten Taktik." Wenn man den Hashtag auf Social Media eingibt, kommen auf Instagram weniger als 100 Beiträge, auf Tiktok sind es genau vier Videos, die mit dem Tag versehen wurden.

Anders der Algorithmus: Gibt man "Ostmulle" als Begriff ein, werden unzählige Videos ausgespielt. Tiktok erkennt also, welches Video ins "Ostmullen"-Schema passen könnte. Betonung auf "könnte", denn manchmal reicht es schlichtweg, ein Video als Frau in Ostdeutschland hochzuladen.

Hinter der bewussten Vergrößerung eines "Trends", dessen sich manche Frauen nicht bewusst sind, steckt der Versuch der rechten Bubble, eine Lücke zu schließen: Nicht jede Frau kann sich mit dem idealisierten Bild der "Tradwife" – also der stillen Ehefrau und Mutter – identifizieren.

Die "Ostmulle" bietet eine andere Selbstdarstellung an: laut, selbstbewusst, sexuell aufgeladen und mit ihren Reizen spielend. Sie soll das rechte Gegenmodell zur linken Feministin sein – und jungen Frauen, die sich zwischen der "Tradwife" und der Feministin nicht wiederfinden, scheinbar eine neue Identität anbieten.

Es ist nicht falsch, über rechte Frauenbilder zu berichten. Im Gegenteil: Es ist dringend notwendig. Aber es ist ein Unterschied, ob man ein Phänomen analysiert oder ob man es durch Darstellung erst groß macht.

Denn damit wird auch eine mediale Falle aufgestellt: Je mehr Aufmerksamkeit das Phänomen bekommt, desto realer erscheint es. Und genau das ist das Ziel hinter der Strategie: Zuspruch durch Aufmerksamkeit, die ohne diese Polarisierung niemals stattgefunden hätte.

Juliane Lang fasst das so zusammen: "Die Debatte über "Ostmullen" ist Teil eines rechten Kulturkampfes. Wer sie unkritisch weiterträgt, übernimmt ungewollt die Erzählung der Männer, die diese Frauen politisch instrumentalisieren." Und so spielt die vermeintlich harmlose Berichterstattung über das Thema dabei mit, Frauen ungewollt in eine Ideologie zu rücken, hinter der sie selbst vielleicht gar nicht stehen.

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