Sechs Wochen war Liz Truss nur Premierministerin von Großbritannien. Jetzt ist sie zurückgetreten.Bild: AP / Kirsty Wigglesworth
Analyse
Nur sechs Wochen im Amt – und schon ist die britische Premierministerin Liz Truss wieder weg vom Fenster. Experten ordnen die Lage ein.
Zwei Sätze, die Großbritannien erneut erschüttern: "Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann." Und: "Ich habe mit Seiner Majestät dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Vorsitzende der Konservativen Partei zurücktrete."
Liz Truss bei ihrer Rücktrittserklärung vor der Downingstreet 10.Bild: PA / Kirsty O'Connor
Liz Truss' Karriere gehört der Vergangenheit an. Ihr politisches Selbst: ein Trümmerhaufen.
Doch was bedeutet dieser Schritt? Und: Wie geht es jetzt weiter?
Der emeritierte Professor Roland Sturm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen meint, der jetzige Schritt von Truss sei erwartbar gewesen – vor allem, nachdem am Mittwoch auch noch ihre Innenministerin Suella Braverman zurückgetreten war.
Kürzeste Amtszeit: Truss geht in die Geschichte ein
"Nachdem ihre finanzpolitischen Pläne den Bach runtergingen, hatte Truss keine Vision mehr", erklärt Sturm gegenüber watson. In den nur sechs Wochen an der Regierungsspitze hatte die konservative Politikerin zunächst mit umstrittenen Steuersenkungsplänen für Turbulenzen an den Finanzmärkten gesorgt. Sie wechselte ihren Finanzminister aus, weil der vorherige Schatzmeister Kwasi Kwarteng ihre Pläne nicht mittragen wollte. "Truss hat ja alle aus dem Weg geräumt, die nicht auf ihrer Linie waren", sagt Sturm.
Der neue Finanzminister Jeremy Hunt machte jetzt allerdings quasi alle von Truss angekündigten Steuererleichterungen rückgängig. Sogar die Laufzeit des staatlichen Energiepreisdeckels verkürzte er von zwei Jahren auf sechs Monate.
Neue Margaret Thatcher? Wohl eher nicht
Dabei wollte Liz Truss die neue Margaret Thatcher sein. Steuern senken und Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Liberaler Konservatismus war ihr Zauberwort.
Die "Eiserne Lady" – Margaret Thatcher bei ihrem zehnjährigen Jubiläum als Premierministerin.null / imago images
Doch so einfach war das nicht – vor allem, wie Sturm erklärt, weil das britische Bruttoinlandsprodukt zu 30 Prozent auf dem Finanzsektor beruht. Und Truss hat den Finanzmarkt mit ihren Plänen ziemlich auf den Kopf gestellt.
"Wenn man diesen Sektor verärgert, wenn man Schulden macht, um Steuern senken zu können – das lässt sich nicht vermitteln", erklärt Experte Sturm. "Sie war einfach keine Thatcher", meint er. Auch wenn sie sich im Parlament "einigermaßen gehalten" habe. "Die Debatten waren schon sehr aggressiv."
Gereicht hat das allerdings nicht. Immer mehr konservative Politiker:innen forderten mittlerweile den Rücktritt der erst sechs Wochen amtierenden Premierministerin. Truss geht als Premier mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte des Königreichs ein.
Bis zum Ende der Woche will die konservative britische Partei, die Tory-Partei, einen oder eine Nachfolger:in gefunden haben. Im Gespräch dafür ist aktuell erneut Verteidigungsminister Ben Wallace. Sturm geht nicht davon aus, dass die gesamte Partei in diese Entscheidung mit einbezogen wird. Dafür bräuchte man mehr Zeit – Zeit, die man aktuell nicht hat.
Ben Wallace wurde bereits mehrfach gefragt, ob er den Vorsitz der Tories übernehmen wolle. Er lehnte immer ab.Bild: AP / Alberto Pezzali
Denn die Tories sind extrem angeschlagen. Vier abtrünnige Premierminister:innen in nur sechs Jahren. Und begonnen hat alles mit der Brexit-Abstimmung. Danach kündigte der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt an. Dann kam Theresa May. Ihr folgte Boris Johnson, der erst vor wenigen Wochen zurückgetreten war. Jetzt wird Liz Truss in der Versenkung untergehen.
Tories liegen weit hinter der Labour-Party
Und in zwei Jahren sind wieder Wahlen auf der Insel. "Wenn die Tories hier überhaupt noch eine Chance haben wollen, dann müssen sie jetzt schleunigst in die Spur kommen", sagt Sturm. In aktuellen Umfragen liegen die Tories mit mindestens 30 Prozent hinter der Konkurrenz, der Arbeiterpartei, der Labour-Party. Ein Desaster für die Konservativen, die doch die Führung des Landes aktuell für sich beanspruchen.
Aber werden sie überhaupt noch diese zwei Jahre durchhalten?
Ja, meint Sturm. "Es geht ja gar nicht anders, die Verfassung lässt nichts anderes zu." Die Tories haben die Mehrheit im Parlament. Neuwahlen können nicht von der Opposition eingefordert werden. "Sicherlich werden sich die Tories keinen Neuwahlen stellen, wenn Umfragewerte wie die aktuellen vorliegen", sagt der Politikwissenschaftler. Und auch das Volk werde die Entscheidung der Regierungspartei vermutlich mittragen. Auch, wenn man in Großbritannien alles andere als glücklich ist: Inflation, Gaspreise – und zusätzlich streiken Eisenbahner für höhere Löhne.
"Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ."
Schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sieht das anders. Sie will Neuwahlen. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb die Schottin am Donnerstag auf Twitter. "Es gibt gar keine Worte, um diesen Scherbenhaufen angemessen zu beschreiben", meint Sturgeon. Normale Bürgerinnen und Bürger müssten dafür den Preis zahlen. Die Interessen der konservativen Tory-Partei, die innerhalb einer Woche eine Nachfolge für Truss finden will, dürften keine Rolle spielen.
Aber auch wenn die Tories weiter an der Macht bleiben – und davon geht Sturm aus. "Es wird keine Aufstände geben", meint der Experte.
Die scheidende Regierungschefin hat im Übrigen nicht nur ihr Amt verloren – sondern auch einen Wettbewerb gegen einen Salatkopf. Das Krawallblatt "Daily Star" kürte den Salat am Donnerstagnachmittag zum Sieger des hauseigenen Contests, den die britische Boulevardzeitung am vergangenen Freitag ausgerufen hatte.
In ihrer damaligen Ausgabe stellte die Redaktion angesichts der enorm unter Druck geratenen Regierungschefin die Frage: "Kann Liz Truss länger halten als dieser Salat?" Zeitgleich startete der "Daily Star" auf Youtube eine Live-Übertragung, auf der ein Foto der Premierministerin neben einem Salatkopf mit aufgeklebten Augen zu sehen war. Das Magazin "Economist" hatte Truss zuvor unterstellt, die Haltbarkeitsdauer eines Salats zu haben.
(Mit Material von dpa)
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