Der Wahlkampf wird rauer, auch beim TV-Triell der Öffentlich-Rechtlichen.Bild: dpa-Pool / Michael Kappeler
Analyse
13.09.2021, 09:2013.09.2021, 12:47
Der Geruch von Bratwurst, Kaffee und Frittenfett. Ein Bierwagen und eine große Leinwand, auf der das Spiel Bochum gegen Hertha läuft. BSC-Spieler Suat Serdar hat gerade das zweite Tor geschossen. Doch so richtig interessieren tut das an diesem Sonntag kaum jemanden.
Statt Fußballtrikots werden Anzüge getragen, weiße Blusen, Blazer und Sakkos. Es geht nicht um Fußball, sondern um das zweite große Triell in der heißen Wahlkampfphase. Der Schlagabtausch findet an diesem Abend im benachbarten Studio in Berlin-Adlershof statt.
Maybrit Illner und Oliver Köhr moderieren das Triell an diesem Abend.Bild: dpa-Pool / Michael Kappeler
Die Anzugsträger und Blazerträgerinnen sind Politikerinnen, Journalisten und Referentinnen, die die Begegnung der beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU), sowie der Kandidatin Annalena Baerbock (Die Grünen) verfolgen.
Gastgeber an diesem Sonntag: Die ARD und das ZDF. 14 Tage vor der Wahl geht es um viel. Die SPD hat Oberwasser – laut einer Insa-Umfrage, die für die "Bild am Sonntag" konzipiert wurde, liegen die Sozialdemokraten am 11. September bei 26 Prozent. Die Union unverändert bei 20 Prozent und die Grünen bei 15 Prozent.
An diesem Abend wird deutlich: Der Wahlkampf wird heißer und die Kontrahenten konfrontativer. Moderiert wird die Live-Übertragung von der ZDF-Moderatorin Maybrit Illner und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr. Das Moderationsduo löchert die Konkurrierenden zu den unterschiedlichsten Themen: Koalitionswünsche, unliebsame Parteimitglieder, die stockende Impfkampagne, Klimawende, Mietendeckel und das liebe Geld.
Hängen bleiben von der Begegnung vor allem fünf Erkenntnisse.
Annalena Baerbock debattiert hart – und bleibt dabei fair
Annalena Baerbock zeigt sich trittfest. Sie kennt das Programm ihrer Partei, bleibt bei den Antworten präzise, lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Auch nicht, wenn ihr Kontrahent Armin Laschet von der Seite stänkert.
So zum Beispiel beim Steckenpferd der Grünen: der Klimawende. Laschet spricht sich im Triell gegen jegliche Verbote aus, stattdessen wolle er auf die Industrie und den deutschen Erfinderreichtum setzen. Baerbock nimmt in ihrem Plädoyer zur Wende und den damit verbundenen Kosten diese Kritik auf: Jedes Verbot sei auch ein Innovationstreiber.
Und mit Blick auf ihre beiden Kontrahenten sagt sie: "Sie haben gerade beide mit ihrer Vergangenheitsbewältigung deutlich gemacht, warum wir da stehen, wo wir heute stehen." Laschet und Scholz hatten sich vorher gegenseitige Verfehlungen vorgeworfen – und einander den Schwarzen Peter zugeschoben, warum es mit der Klimawende so langsam voranginge.
Das sei auch ein Ausdruck der bisherigen Politik. Die zentrale Lehre, die Baerbock aus der Coronakrise gezogen habe, sei deshalb: Schluss machen mit einer Politik, die auf Sicht fahre und nicht auf Vorsorge setze.
Grünen-Kanzlerinnenkandidatin Annalena Baerbock kommt mit ihrem Wahlkampf-Tourbus zum TV-Triell.Bild: dpa / Christophe Gateau
Wie schon bei früheren Interviews und Duellen präsentiert sich die Grüne an diesem Abend als Frau des Aufbruchs. Und das nicht nur, weil sie das Wort "Aufbruch" gebetsmühlenartig wiederholt, sondern auch, weil sie sich ganz klar gegen ein "Weiter so" stemmt. Und das in nahezu jedem Bereich. Sie engagiert sich für:
- sozial-gerechte Klimawende
- beschleunigte und umfassende Digitalisierung
- stärkeres Vorgehen gegen Steuerbetrug und Geldwäsche
- einen klaren Kampf gegen Rassismus
- eine Bürgerversicherung
Aus Sicht der Grünen-Politikerin beschäftigt sich ihre Konkurrenz in diesem Triell zu sehr mit der Vergangenheit und der weit entfernten Zukunft, zu wenig mit dem, was jetzt konkret wichtig ist. Beim Thema Renten nimmt sie sich den Unionskandidaten dementsprechend vor: "Herr Laschet spricht immer nur davon, was in 20 Jahren ist, dabei müssen wir auch schauen, was wir jetzt tun müssen." Sie wirbt für eine Bürgerversicherung, in die auch die Spitzenverdiener und Abgeordnete einzahlen – ebenso, wenn es um die Krankenversicherung geht.
Die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch hatte sich im Vorfeld eine kämpferische Kandidatin gewünscht – Baerbock dürfte diese Anforderung erfüllt haben. Jarasch ist die Spitzenkandidatin der Grünen für die Wahl des Berliner Abgeordnetenhaus, die am selben Tag wie die Bundestagswahl stattfindet.
Gegenüber watson sagt Jarasch: "Natürlich hat das Triell auch Auswirkungen auf die Wahl für das Abgeordnetenhaus. In diesem Jahr liegen alle Wahlen enger zusammen und da nützt natürlich eine starke Annalena. Sie hat ja in diesem Wahlkampf auch schon bewiesen, dass sie Krise kann."
Armin Laschet ist im Angriffsmodus
Vor der Begegnung wünschte sich die Christdemokratin Diana Kinnert, dass es Armin Laschet gelingen würde, auch seine eigenen Themen setzen zu können. Das sei in einem von Moderatoren geführten Gespräch aus ihrer Sicht immer die größte Schwierigkeit, vor allem dann, wenn nicht viel Zeit zum Antworten ist. Gegenüber watson erklärt sie: "Ich glaube, auf Basis unseres Programms gibt es viel zu erzählen."
Dieser Anforderung wird der CDU-Politiker gerecht. Er geht in der Debatte voll auf Angriff, lässt sich nicht abwürgen und wirkt dabei zeitweise aggressiv. Gerade Vizekanzler und SPD-Kandidat Olaf Scholz bekommt die volle Breitseite ab. Bei vielen Themen richtet sich Laschet direkt an seinen Kontrahenten, greift ihn an, fällt ihm ins Wort, wenn dieser antworten will.
Neuste Umfragewerte sprechen gegen ihn: Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet.Bild: dpa / Christophe Gateau
Besonders bei der jüngst im Finanzministerium durchgeführten Razzia wittert Laschet Morgenluft und geht voll auf das Thema: Hintergrund der Razzia sind Ermittlungen gegen Verantwortliche der Financial Intelligence Unit (FIU), die beim Zoll angesiedelt ist. Die FIU analysiert Verdachtsmeldungen zum Geldwäschegesetz.
Scholz verteidigt sich daraufhin und wirft Laschet vor, die Tatsachen bewusst zu verdrehen. Ein Faktencheck von Funk ergibt: Die Aussage von Scholz, dass die Razzia nichts mit dem Ministerium zu tun habe, stimmt möglicherweise nicht. Vielmehr habe die Staatsanwaltschaft Osnabrück bei der Razzia auch feststellen wollen, ob und inwieweit Vorgesetzte in die FIU eingebunden waren.
Laschet kritisiert Scholz aber nicht nur dafür, sondern nutzt den Moment, um auch den Fall Wirecard und die CumEx-Geschäfte aufs Tablett zu bringen. Bei letzteren ging es um Steuerhinterziehungen im großen Stil, auch eine Hamburger Bank war darin verwickelt, und zwar während der Zeit, in der Scholz dort Bürgermeister war.
Auskunftsfreudig ist Laschet, wenn es um die Themen Klimaschutz (dafür, und zwar durch Technologien, die noch erfunden werden müssen), Enteignungen (dagegen, stattdessen lieber schneller bauen, und zwar ohne Mietendeckel) oder Digitalisierung (wir sind zu langsam) geht.
Geht es allerdings um Kritik an seinem eigenen Verhalten, macht Laschet dicht. So zum Beispiel bei der Frage, ob er Hans-Georg Maaßen wählen würde. Der frühere Verfassungsschutz-Chef ist in der Vergangenheit immer wieder aufgefallen, zum Beispiel mit der Forderung nach einer Gesinnungsprüfung von Journalisten. "Er ist Mitglied der CDU und muss sich an meinen Kurs halten", mehr bekamen weder Illner noch Köhr aus dem Christdemokraten heraus.
Olaf Scholz bleibt bei seinem Pokerface
SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken fürchtete schon vor dem Triell, dass Armin Laschet auf Krawall gebürstet sein wird. Gegenüber watson sagt sie: "Ich höre von CDU und CSU nichts anderes, als dass sie nach allen Seiten austeilen. Das ist ein bisschen dünn, eine Rote-Socken-Kampagne zu betreiben und einzelne Personen – vor allem mich oder Kevin Kühnert – durch die Republik zu treiben." Was sie von dem Abend erwarte: Einen Olaf Scholz, der sich großartig schlage.
Und tatsächlich: Olaf Scholz steht von Beginn an unter Beschuss. Trotzdem bleibt er wie auch in vergangenen Interviews und Triellen cool. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, einzig als Laschet ihn von einer Antwort abhält, indem er sogar seine Hand in abwehrender Haltung von sich streckt, verengen sich die Augen des Sozialdemokraten ein wenig.
Durch die Angriffe seines Kontrahenten kann Scholz allerdings nicht wie sonst in der Deckung bleiben, sondern muss parieren. So beim Vorwurf wegen Wirecard: Am Ende hätte sich nicht herausgestellt, dass er Schuld habe. Dafür habe er aber Konsequenzen gezogen und das Verfahren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) weiterentwickelt – entschuldigt bei den Menschen, die wegen des Betrugs des Zahlungsanbieters viel Geld verloren haben, hat sich Scholz auch in dieser Debatte nicht.
Laut aktuellen Umfragen haben Kanzlerkandidat Olaf Scholz und seine SPD Oberwasser.Bild: dpa / Christophe Gateau
Ein weiteres Thema, mit dem Laschet Scholz in die Ecke zu drängen versucht: die Möglichkeit einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Er fordert von Scholz, sich klar dagegen zu positionieren. Scholz hingegen stellte sich gegen konkrete Aussagen. Er erklärt: "Wir sollten auf dem Boden der Dinge bleiben. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die wählen." Und dann folgt der Merkel-Moment des Abends: "Jeder, der mich kennt, weiß, was er kriegt." Die Aussage erinnert an Merkels "Sie kennen mich."
Laschet sah das anders: "Die Bürgerinnen und Bürger bescheren uns ein Wahlergebnis und wir müssen schauen, was wir draus machen. Und sie glauben Ihnen nur, wenn sie es jetzt klipp und klar sagen."
Thematisch wird in dem Triell klar, Scholz und Baerbock liegen eng beieinander, gerade wenn es um mögliche Koalitionen und die Sozialpolitik geht. Auch bei der Außenpolitik sind sich die beiden einig: Raus aus der Nato ist keine Option.
Umfrage: Baerbock am sympathischsten, Scholz am überzeugensten
Baerbock bleibt in diesem Triell die lachende Dritte. Laschet arbeitet sich an Scholz ab, dieser pariert. Die Umfrage zum Triell ergab trotzdem, dass die meisten (41 Prozent) der von "infratest dimap" Befragten Olaf Scholz am überzeugendsten fanden – trotz des Beschusses durch Armin Laschet und einer souveränen Annalena Baerbock.
27 Prozent der Befragten sprachen sich für den Kandidaten der Union aus, 25 Prozent für Baerbock. Dafür war sie den Zuschauenden am sympathischsten. Das zumindest gaben 39 Prozent der Befragten an.
Gewählte Sympathieträgerin des Abends: Annalena Baerbock.Bild: dpa-Pool / Michael Kappeler
Ein unerbittliches Moderationsduo
Maybrit Illner und Oliver Köhr machten ihre Sache an diesem Abend gut. Sie fragten nach, ließen sich nicht abwimmeln, hatten kein Problem damit, möglicherweise als unangenehm wahrgenommen zu werden.
Sie verhinderten, dass sich die Kandidaten unbemerkt um Antworten drückten. Wollten sie wie Armin Laschet partout keine Aussage treffen, wurde das genau so kommuniziert. Letztlich schafften sie es in 95 kurzweiligen Minuten ein vielfältiges Potpourri an Fragen zu stellen und trotzdem Diskussionen unter den Kandidierenden zuzulassen.