Ukrainische Kräfte feuern mit Artillerie auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.Bild: AP / Libkos
Analyse
Patrick Toggweiler / watson.ch
Es sind Bilder, die man nie mehr vergisst. Russische Soldaten versuchen, sich nach heftigem Beschuss ihres Schützengrabens in Sicherheit zu bringen. Ein Trupp aus drei Mann fällt zurück und bleibt für ein paar Sekunden auf offenem Feld stehen – ein Fehler, der sich als tödlich herausstellen sollte. Das Himars-Geschoss trifft punktgenau, Körperteile fliegen durch die Luft. Die Wucht der Detonation wirft Soldaten um, die dutzende Meter vom Einschlag entfernt sind.
Gefilmt wurde die Szene von einer ukrainischen Überwachungsdrohne in der Nähe der ehemaligen Stadt Bachmut in der Oblast Donezk. Wo früher 70.000 Einwohner lebten, existieren heute nur noch eine 15 Kilometer lange Grabenfront und Häuserruinen. Experten vergleichen die Situation hier mit den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs. Doch einen Unterschied gibt es: die vernichtende Präzision.
In Bachmut verlässt ein Anwohner sein Wohnhaus, das nach einem Beschuss in Flammen steht.Bild: AP / Libkos
Das Drohnenvideo ist eines von Dutzenden, das aktuell in verschiedenen Social-Media-Kanälen die Runde machen. Ein anderes zeigt einen Angriff auf eine russische Stellung an einer Straßenkreuzung. Wieder treffen die ukrainischen Artilleriegeschosse präzise ins Ziel. Die Infanteristen haben keine Chance. Genauso wie ein Zug russischer Einheiten. Dieser wird von einem ukrainischen Drohnenpiloten dabei beobachtet, wie er sich zwischen zerbombten Wohnhäusern in Stellung bringt.
Die Koordinaten werden weitergeleitet, den Rest übernimmt ein automatischer Granatwerfer, made in USA. Die Russen fliehen in Panik. Doch gegen den unsichtbaren Spion im Himmel sind sie machtlos. Einer nach dem anderen wird aufgerieben. Zurück bleibt ein Feld mit einem halben Dutzend Leichen.
Ein ukrainischer Soldat erhält Erste Hilfe in einem Krankenhaus in Bachmut.Bild: AP / Libkos
Russland soll in den letzten beiden Novemberwochen über 6000 Soldaten verloren haben. Das berichtet der ukrainische Generalstab. Laut Schätzungen des ehemaligen ukrainischen Obersts Sergei Grabsky kommen aktuell rund um Bachmut jeden Tag zwischen 120 und 250 russische Todesopfer dazu. Dabei soll es sich vor allem um Wagner-Söldner handeln, aber auch um frisch eingezogene Soldaten, die sich nicht vor der Mobilmachung drücken konnten.
Die täglichen ukrainischen Opfer beziffert Grabsky mit "30 bis 50 Soldaten". Die Zahlen können unabhängig nicht geprüft werden. Russland dementiert und berichtet selbst von massiven ukrainischen Verlusten. "Wir müssen akzeptieren, dass in diesem Konflikt die Verluste auf beiden Seiten enorm sind", sagt Grabsky weiter: "Die Russen entsenden eine Welle nach der anderen." Am Tag die schlecht ausgerüsteten Wehrpflichtigen, in der Nacht die Elitetruppen der Wagner. In dieser Art von Grabenkampf sind in der Regel die verteidigenden Kräfte im Vorteil. Auf Social-Media hat sich längst der Begriff "Meatgrinder" etabliert – "Fleischwolf".
Ein ukrainischer Soldat feuert einen Mörser auf russische Stellungen in Bachmut.Bild: AP / Libkos
Trotzdem ist die Region um Bachmut die einzige, in der Russland gelegentlich Territorialgewinne verzeichnen kann. Doch der Blutzoll ist enorm. Weshalb die Invasoren derart verbissen versuchen, die zerstörte Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen, ist umstritten. Es handle sich dabei um einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt, sagen die einen. Bachmut sei das letzte Puzzleteil bei der kompletten Eroberung des Oblasts Donezk.
Andere wie Grabsky spielen die strategische Wichtigkeit hinunter. Er glaubt, der unmenschliche Abnützungskampf sei eine Frage des Geldes. Die Söldnertruppe Wagner habe vom Kreml den Auftrag erhalten, die Stadt einzunehmen. Im Erfolgsfall winkt eine hohe Prämie. Auch politisch ist ein Erfolg für Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin kapital: Sein Status als ruchloser, aber erfolgreicher Feldherr würde damit zementiert. Und in Putins Gnaden würde er weiter aufsteigen.
Derweil zeigen auch russische Propagandakanäle ihre Erfolge bei Bachmut per Drohnenbilder. Das leuchtend gelbe Gebäude mitten in der Stadt liegt in Schutt und Asche. Es war einmal ein Kindergarten. Bereits sei der Bahnhof unter Kontrolle, berichtet ein russischer Staatssender und zeigt tschetschenische Truppen vor dem Bahnhofsgebäude. Doch die Sache hat einen Haken. Die bärtigen Herren sollen zum Bataillon "Scheich Mansur" gehören. Dieses kämpft auf der Seite der Ukraine.
Russland und das abgeschottete Nordkorea nähern sich politisch immer weiter an. Im Juni dieses Jahres besuchte der russische Machthaber Wladimir Putin Nordkorea. Es waren 24 Jahre seit seinem ersten Besuch vergangen.