"Alerta, alerta Antifascista", ruft Jessica Rosenthal, sie reckt dabei ihre Faust in die Luft. Es sind die Worte, mit denen sie ihre Rede auf dem Bundeskongress der Jungsozialist:innen (Jusos) beginnt. Drei Tage tauschen sie sich in Oberhausen aus. Und sie machen deutlich: Nicht alles, was die Ampel gerade tut, finden sie gut.
Die wichtigsten Punkte des Kongresses fasst watson für dich zusammen.
Das große Thema bei dem dreitägigen Treffen: Solidarität.
Ein Initiativantrag fordert eine breite Unterstützung für die zivilgesellschaftlichen Verbände im Iran. Sowie ein Bekenntnis der gesamten Bundesregierung zur feministischen Außenpolitik. Außerdem: Sanktionen, die auch wirklich wirken. Viele Jusos erzählen ihre eigene Geschichte, die ihrer Eltern.
Emotionale Reden sind es, die den Bundeskongress prägen. Es wird sehr häufig, sehr persönlich. In vielen Anträgen wird außerdem deutlich, die Jugendorganisation will ihrer Mutterpartei weiter Druck machen. Damit diese in Regierungsverantwortung etwas verändert.
In einem Initiativantrag fordern die Jungsozialist:innen eine Zeitenwende, die diesen Namen ihrer Meinung nach verdient. Dazu gehöre unter anderem:
Gerade der Punkt Waffenlieferungen ist etwas, mit dem der Verband hadert. Deshalb wird in dem Antrag klargestellt: Mittel Nummer eins ist Diplomatie. Was sie ablehnen, ist das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. Denn: Dieser Topf könne die Probleme der Truppe nicht lösen und das Grundgesetz werde für militärische Zwecke ausgehöhlt. Besser fänden die Jusos eine Aussetzung der Schuldenbremse und gezielte Investitionen in Militär und Gesellschaft.
In Oberhausen gibt sich auch die Parteispitze die Klinke in die Hand: Die Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken, sowie Generalsekretär Kevin Kühnert kommen vorbei.
"Es sind turbulente Zeiten innenpolitisch, es sind aber auch turbulente Zeiten außenpolitisch", erklärt Klingbeil in seinem Grußwort. Es brauche in diesen Zeiten eine Debatte darüber, wie sich die Partei außen- und sicherheitspolitisch aufstelle.
Der Co-Parteichef macht deutlich: Das geht nur, wenn sich die SPD mit ihren Fehlern der Vergangenheit auseinandersetzt. Klingbeil wisse, dass es bei den Jusos Gegenwind zu seinen Äußerungen gebe, gerade im Bereich des Führungsanspruchs. Er erläutert, was der Begriff für ihn bedeutet – nämlich nicht ein antiquiertes Führungsbild, sondern Führung durch Begeistern.
Juso-Chefin Jessica Rosenthal stellt im Anschluss an die Rede klar: "Wir sollten nie wieder Führung übernehmen, wir müssen Verantwortung tragen." Deutschland sollte nicht anstreben, allen zu erklären, wie es geht. Sie legt Klingbeil nahe, den Antrag der Jusos zur Zeitenwende noch einmal zu lesen – und als Arbeitsgrundlage zu nutzen.
Sinem Tasan-Funke von den Jusos Berlin erklärt die Stimmung im Raum folgendermaßen: "Bei uns herrscht Ampel-Kater." Die SPD sei in gesellschaftlichen Debatten zu unsichtbar – eine Meinung, die der stellvertretende Vorsitzende Philipp Türmer teilt. "Mach weniger Regierungssprecher für Olaf und mehr Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Partei", wirft er Klingbeil vor.
Stinkig ist auch die Vorsitzende der Jusos Sachsen. Führungsmacht, meint Mareike Engel, sei ein Begriff, den auch die Demonstrierenden auf den Montagsdemos in ihrem Bundesland beklatschen würden. Sie sagt: "Herzlichen Glückwunsch, das war ein Griff ins Klo."
Der Parteichef reagiert auf die Kritik. Er halte an dem Begriff Führungsmacht fest, auch wenn das den Jusos nicht gefalle. "Ich möchte, dass wir auf der Grundlage unserer Werte außen- und sicherheitspolitischen Einfluss nehmen", sagt er. Eine progressive Regierung in Deutschland solle in Europa vorweg gehen.
"Ihr könnt das anders sehen, aber dann lasst uns das in der Sache diskutieren", stellt er klar. Klar sei auch: Die Parteispitze und die Regierung sollten nicht verfeindet sein – "Wir haben die Bundestagswahl gewonnen, weil wir eine SPD sind", sagt er. Gegeneinander zu kämpfen, mache die Partei schwach. Konstruktiv kritisieren müsse man einander dennoch.
Wohlwollender wurde die Co-Vorsitzende Saskia Esken von den Jusos empfangen. Aber auch sie hat einen Auftrag für den nächsten Koalitionsausschuss bekommen. Den Jusos reicht der "Doppel-Wumms" der Ampel nicht.
Sie fordern in einem Initiativantrag, stärkere Entlastungen. Wichtig sei außerdem, dass sich die SPD-Spitze stärker dafür einsetze, dass eine Vermögensabgabe eingeführt und die Schuldenbremse ausgesetzt wird.
Nur so, meinen die Jusos, sei es möglich, die Krisen zu meistern. Für sie ist klar: Zahlen sollen die, die Vermögen besitzen, nicht die, die nichts haben.
"Die Ampel ist nicht immer einfach – wir haben immer gedacht, die Groko sei schwierig, aber auch das jetzt ist echt nicht einfach", sagt Esken in ihrem Grußwort. Sie selbst spricht sich für eine Vermögenssteuer aus. Und erklärt, sie sei stolz auf die Jusos, die Teil der Bundestagsfraktion der SPD sind. Denn auch die seien dafür verantwortlich, dass die Gas- und Strompreisbremse kommen werde.
Diese Bremse reicht den Jungsozialist:innen aber nicht: Sie wollen weitere Entlastungen. Zum Beispiel eine zweite Übernahme der Heizkosten im neuen Jahr und eine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Es hat sich noch nicht "ausgewummst", sind sie überzeugt.
Ans Gesundheitssystem, darin sind sich die Jusos einig, muss die Regierung ebenfalls ran. Denn: Die Kliniken sind überlastet, die Patient:innenversorgung schlecht, der Personalschlüssel haut nicht hin. Schuld daran, unter anderem die Fallpauschale.
Fallpauschale bedeutet, dass Patient:innen nur so lange auf Kassenkosten im Krankenhaus bleiben können, wie die Behandlung im Durchschnitt braucht. Und, dass manche Operationen mehr Geld bringen, als andere. Das System wurde 2003 eingeführt – der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich bereits seit 2000 dafür eingesetzt.
Nabor Keweloh von den Jusos Hessen-Süd benennt den Elefanten im Raum:
Und nicht nur im Bereich der Gesundheitsversorgung muss sich aus Sicht der Jusos etwas ändern, sondern auch beim Thema spezifischer Krankheiten von Menschen mit Uterus. Genauer: Endometriose.
Noch immer, so sind die Jusos überzeugt, wird diese Krankheit zu spät erkannt. Ein Antrag fordert deshalb: Mehr Forschung, mehr Aufklärung.
Dass diese Krankheit bisher so wenig erforscht ist, ist für die Jusos eindeutig ein Problem des Patriarchats. Würden die Schmerzen auch Männer treffen, so sind die Antragsstellenden überzeugt, gäbe es mittlerweile bessere Behandlungsmöglichkeiten, als die Anti-Baby-Pille.
Die Jusos, so wird es auf diesem Bundeskongress deutlich, träumen von einer Welt, ohne Kapitalismus und Patriarchat. So zumindest würde für sie eine sozial gerechte Welt aussehen. Die große Revolution gegen die Mutterpartei und die Ampelkoalition bleibt an diesem Wochenende aus.