Wer mit dem Flugzeug verreisen will, braucht derzeit an Flughäfen europaweit viel Geduld. Wie heikel die Lage ist, spiegelt sich auch auf Twitter wider. So berichtet etwa ein User von seinem Leid, das nicht nur ihn selbst, sondern ebenso den Rest seiner Familie mit zwei Kindern betreffe. Das Problem: Die Fluggesellschaft habe "kommentarlos" seine Flüge storniert. "Hotel und Mietwagen hängen mit dran", twittert er.
Damit ist er bei Weitem nicht der einzige, der aktuell Probleme mit dem geplanten Urlaub via Flugzeug hat. Ein anderer User twittert vom Flughafen Hamburg aus: "Es ist bemerkenswert, was man den Menschen so zumutet. Egal, ob Beschäftigte oder Passagiere – es ist kaum nachvollziehen."
Die Beschwerden reißen nicht ab. Die Rede ist von gestrandeten Passagieren, hunderten abgesagten Flügen und ungewöhnlich vielen Verspätungen. Die Ursache: Die Menschen wollen nach der Hochphase der Corona-Pandemie wieder reisen. Doch den Flughäfen und Airlines fehlt europaweit Personal. Schuldzuweisungen bleiben da nicht aus.
Von Parteien, Gewerkschaften und Luftverkehrsverbänden gab es am Wochenende wegen des Chaos' erneut wechselseitige Vorwürfe.
Der FDP-Politiker Christian Dürr fordert einen stärkeren Einsatz der Bundespolizei bei den Sicherheitskontrollen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) müsse mehr Bundespolizisten in die Flughäfen bringen, "damit die Schlangen an den Sicherheitskontrollen geringer werden", sagte der Fraktionsvorsitzende am Sonntag dem "Tagesspiegel".
Außerdem müsse Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dafür sorgen, "dass die Bodendienstleister schnell und unbürokratisch Leute einstellen können – gegebenenfalls mit befristeten Verträgen". Es sei denkbar, dafür auch Personal aus dem Ausland einzustellen. Die Bundesländer müssten alle Kräfte bündeln – "damit die Menschen möglichst bald wieder ohne Probleme reisen können", sagte Dürr.
CDU-Politiker Michael Brand zeigte sich über den Vorschlag der FDP verwundert. Die Forderung der Partei passe nicht zum Handeln des FDP-Finanzministers, teilte er ebenfalls dem "Tagesspiegel" mit. Statt neue Aufgaben für die Bundespolizei zu fordern, solle die Koalition erst den Weg für benötigtes Personal in anderen Bereichen frei machen. Dazu zählen Brand zufolge etwa steigende Herausforderungen bei Querdenker-Demos.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) dämpft die Hoffnung auf eine kurzfristige Besserung der Lage: "Die Situation im europäischen Luftverkehrssystem ist für alle eine enorme Herausforderung", sagte Wissing der "Bild am Sonntag".
Der Fachkräftemangel erreiche den Alltag der Menschen immer stärker. Kurzfristige Lösungen seien eher unwahrscheinlich.
Der CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange kritisierte Wissing scharf: "Er kann sich nicht einfach achselzuckend wegducken und die Menschen mit dem von der Ampel mitverschuldeten Verkehrschaos allein lassen."
Nach Einschätzung der stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden Christine Behle, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei der Lufthansa ist, wird sich die Situation noch zuspitzen. "Der Sommer wird chaotisch", sagte Behle der "Augsburger Allgemeinen" (Montag).
Ursache sei der europäische Zwangswettbewerb an den Flughäfen und die damit einhergehenden Einsparungen an Personalkosten um 30 bis 40 Prozent durch Outsourcing und Tarifflucht. Der Lockdown an den Flughäfen während der Corona-Pandemie habe außerdem zu Kurzarbeit und Entlassungen bei Dienstleistern geführt, zudem hätten sich Mitarbeiter andere Jobs gesucht. Dieses Personal fehle jetzt massiv, wo die Zahl der Buchungen wieder deutlich steige. "Es wird dramatisch werden", warnte Behle.
Wie dramatisch, lässt sich derzeit durch geteilte Erfahrungen von Reisenden und Flughafenpersonal bereits erahnen.
So zeigt sich auch eine Twitter-Userin mit Fotos einer langen Warteschlange fassungslos über die Situation am Flughafen: "Morgens um halb vier ist schon der ganze Flughafen voll?"
Auch die Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR), Marija Linnhoff, bezeichnete die Zustände an deutschen Flughäfen als "einfach unfassbar". Überraschend sei die Reiselust nicht, doch zwei Jahre Personalabbau rächten sich jetzt, sagte sie der "Bild am Sonntag". So kurz vor der Sommersaison müsse mit dem Schlimmsten gerechnet werden.
Die Airlines verteidigen sich. "Die Aufhebung der Reisebeschränkungen ist von den Regierungen sehr kurzfristig entschieden worden", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow. Deshalb habe es keine verlässliche Planbarkeit bei der Personalausstattung für die Wiederaufnahme des Verkehrs gegeben.
Seit Wochen gibt es an Deutschlands Flughäfen massive Probleme wegen Personalmangels in der Branche, allein die Lufthansa will im Juli 900 Flüge in München und Frankfurt streichen. "Das Wichtigste in dieser Lage ist, dass schnell mehr Personal angeworben wird und Dienstleistungen wieder selbst von den Flughafengesellschaften erbracht und die Beschäftigten dort angestellt werden", forderte Gewerkschafterin Behle.
Vom Personalmangel in allen Dienstleistungsbereichen am Boden wie Sicherheitskontrolle, Check-in oder Gepäckabfertigung sind Verdi zufolge besonders die großen Flughäfen wie Frankfurt, Hamburg, Berlin und Düsseldorf betroffen. Auch in München fehle Personal, allerdings sei die Lage dort besser, weil das Sicherheitspersonal nicht bei einer Privatfirma angestellt sei, sondern bei einer Firma im Staatsbesitz, die nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes bezahle.
(ast / mit Material von dpa-afxp)